Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Wie demokratisch ist die EU?

Autor*innen:Julia Çetinkaya und Julian Plottka

Das Lehrprojekt „Wie demokratisch ist die EU?“ wird jährlich als Kooperation der Universitäten Magdeburg, Passau und Bonn angeboten. Es befähigt Studierende zur kritischen Reflexion der These vom Demokratiedefizit der EU, indem sie diese aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, und zur Durchführung eines ersten Forschungsprojekts, in dem sie eine der Thesen in einer Fallstudie empirisch überprüfen. Durch die zielgerichtete Integration von Online-Tools in die Präsenzlehre werden europaweit Studierende unterschiedlicher Universitäten und im Rahmen des „Online Round Table on European Democracy" mit Entscheidungstragenden und Expert*innen zusammengebracht.

Um die Studierenden an die Durchführung eines ersten Forschungsprojekts heranzuführen, ist das Seminar in die drei Blöcke Theorie, Methoden und Empirie gegliedert, die um Elemente mit konkretem Praxisbezug ergänzt werden. Im ersten Block „Theorie“ werden die Studierenden in verschiedene Thesen zum Demokratiedefizit eingeführt. Lernziel ist, die unterschiedlichen (normativen) Standards aufzuzeigen, die die einzelnen Thesen zur Bemessung der demokratischen Qualität der EU verwenden. Gerade mit Blick auf die Studierenden in den ersten Semestern geht es darum, zu vermitteln, dass universitäre Lehre keine definitiven Antworten und kanonischen Lehrinhalte vermittelt, sondern Anhaltspunkte zur Erarbeitung eigener Perspektiven und Erschließung weiterer Wissensbestände gibt. So können die Studierenden auch Einfluss auf die Seminarinhalte nehmen: In der ersten Seminarsitzung wird über die Auswahl der zu erarbeitenden Thesen vom Demokratiedefizit entschieden. Präsentiert von Studierenden in Form von Referaten oder Postern, diskutiert das Seminarplenum die Thesen zuerst vor dem Hintergrund eigener Erfahrung und ggf. vorhandenen Vorwissens.

Der zweite Block „Methoden“ beginnt mit einem wiederholenden Überblick über Techniken wissenschaftlichen Arbeitens und den Erwartungen an ein erstes Forschungsprojekt. Anschließend werden exemplarisch Methoden vorgestellt, wie qualitative Inhaltsanalyse, Frequenzanalyse oder Experteninterviews. Auswahlkriterium für die Methoden ist, dass sie im Rahmen einer Seminararbeit anwendbar sind. Ziel des Seminars ist nicht, die Einführung in die Methoden zu duplizieren, sondern darauf aufzubauen und die praktische Anwendung der Methoden zu vermitteln.

Im dritten Block „Empirie“ führen die Studierenden die Lehrinhalte der ersten beiden Blöcke selbständig zusammen, in dem sie für zuvor mit den Dozierenden abgesprochene Fallstudien Exposés verfassen. In einem Kolloquiumsformat stellen sie anschließend ihre Forschungsideen vor und diskutieren die Durchführbarkeit der angedachten Forschungsprojekte im Seminarplenum. Ziel ist es einerseits, grundlegendes Wissen zu den ausgewählten Fallstudien zu präsentieren und andererseits die Projektidee für das Verfassen der Seminararbeit nachzuschärfen. Am Ende der Vorlesungszeit verfügen alle Studierenden über ein Forschungsprojekt, das es in der vorlesungsfreien Zeit auszuarbeiten gilt.

 

Integration von praktischen Erfahrungen in die universitäre Lehre

Auch wenn der Fokus des Seminars auf der Einführung in den Forschungsprozess liegt, wird diese um praktische Elemente ergänzt. Schließlich wird nur ein Teil der Seminarteilnehmenden in der politikwissenschaftlichen Forschung arbeiten, während vielen Absolvent*innen praktische Erfahrungen fehlen, insbesondere, wenn sie nicht die Möglichkeit zu ausgiebigen Praktika haben. Deshalb integriert das Seminar mit dem „Online Round Table on Europe Democracy“ (siehe Kasten) und universitätsübergreifenden Online-Sitzungen praktische Erfahrungen in den universitären Lehralltag. So bietet der Round Table die Chance zum Austausch mit Entscheidungstragenden aus möglichen künftigen Berufsfeldern. Bei der Moderations-Challenge, bei der die zwei studentischen Moderierenden des Online Round Tables ausgewählt werden, setzen sich die Studierenden mit Moderationskonzepten auseinander und erproben sich in der Moderation. In der gemeinsamen Online-Sitzung mit Studierenden mehrerer Universitäten erarbeiten die Studierenden ferner konkrete Politikempfehlungen und lernen so, ihr theoretisches Wissen anwendungsorientiert im Bereich der Politikberatung zu nutzen.

Integration von Online-Tools in die universitäre Lehre

Neben diesen Hauptzielen des Seminars, zieht das Seminar Lehren aus dem eLearning während der Pandemie und versucht einzelne Elemente sinnvoll in die alltägliche Präsenzlehre zu integrieren. Neben dem Online Round Table on European Democracy ist dies insbesondere die Vernetzung mit Studierenden anderer Universitäten. Durch die gängigen Online Tools ist das Erleben anderer Universitätskulturen nicht mehr auf Austauschsemester beschränkt, sondern kann im laufenden Semester an der eigenen Universität stattfinden. Dabei stellt auch die Vernetzung zwischen mehreren deutschen Universitäten bereits einen Mehrwert dar.

Mit dem öffentlichen Online Round Table on European Democracy leistet das Seminar auch einen Beitrag zur weiteren europapolitischen Bildungsarbeit und bietet ein Schaufenster für die universitäre Lehre im Bereich der Europawissenschaften. An den bisher durchgeführten Online Round Tables on European Democracy nahmen sowohl weitere interessierte Entscheidungstragende aus Ministerien, Parlamenten und EU-Organen als auch interessierte Bürger*innen aus dem lokalen Umfeld der beteiligten Universitäten teil. Hier trägt das Seminar zu verstärkten universitären Bemühungen um Wissenschaftskommunikation bei.

Zur Erhöhung der Reichweite des Online Round Table on European Democracy wird ein Dozierenden-Netzwerk aufgebaut, zudem alle Dozierenden, die an dem Seminarthema Interesse haben, herzlich eingeladen sind. In dem Netzwerk geht es nicht nur darum, den Online Round Table on European Democracy konzeptionell fortzuentwickeln und regelmäßig durchzuführen, sondern idealerweise gibt das Netzwerk Anstöße zu neuen Projekten und bietet eine Plattform für den Austausch von „best practices“ universitärer Lehre.

 

 

 

 

Über die Autor*innen:

Julia Çetinkaya ist Dozierende, Projektmitarbeiterin und Doktorandin am Jean-Monnet-Lehrstuhl IMUDE der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit den Forschungsschwerpunkten europäische Integration, politische Repräsentation und Responsivität, vergleichende Politikwissenschaft sowie Diskursnetzwerkanalyse.

Julian Plottka ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und am Jean-Monnet-Lehrstuhl für europäische Politik der Universität Passau mit den Forschungsschwerpunkten Reform der EU-Institutionen, demokratische Legitimation der EU, EU-Außenbeziehungen gegenüber Zentralasien und dem Südkaukasus.

 

 

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2023 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Lena Partzsch für ihr Lehrprojekt „Stockholm+50: Fünf Jahrzehnte globaler Umweltpolitik“ im Sommersemester 2022 an der Freien Universität Berlin verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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