Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Mit Beteiligung gemeinsam Probleme lösen.

Autor*innen: Daniel Oppold und Ortwin Renn 

 

 

Mit Beteiligung gemeinsam Probleme lösen

Bürgerbeteiligung ist in aller Munde. Sie wird als vielversprechende Möglichkeit betrachtet, um mithilfe des Alltagswissens und der Alltagserfahrung der Bürgerinnen und Bürger umfassendere Entscheidungsgrundlagen zum Umgang mit den komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu schaffen. Zugleich sollen Beteiligungsprozesse die kriselnde Demokratie stärken, indem sie in zusätzlichen politischen Diskursräumen neue Teilhabemöglichkeiten schaffen. Gerade in Beteiligungsprozessen auf der kommunalen Ebene können so zusätzliche politische Selbstwirksamkeitserfahrungen für die Teilnehmenden geschaffen werden - jenseits der beschränkten Partizipationsmöglichkeiten der repräsentativen Demokratie. Nicht selten gelingt so die Initialzündung für mehr politisches Engagement in der Bürgerschaft. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung der demokratischen Kultur zu einer Kultur des „gemeinsam-Probleme-lösens“.

Unter den Bürgerbeteiligungsformen, die aktuell zum Einsatz kommen, stechen insbesondere die sogenannten „Bürgerräte“ hervor. Sie bringen durch eine Zufallsauswahl möglichst vielfältige Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern zusammen, um gemeinsam Lösungsvorschläge oder Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Bereits etliche Kommunen haben dieses Prinzip genutzt, um zu erfahren, was Bürgerinnen und Bürger jenseits der „üblichen Verdächtigen“ zu drängenden Fragestellungen raten. Aber auch auf Landes- und Bundesebene kommen Bürgerräte bereits zum Einsatz.

Stakeholderbeteiligung ist und bleibt wichtig

Doch neben der Beteiligung der breiten Bürgerschaft spielt auch die Einbindung der sogenannten Stakeholder in politische Entscheidungsprozesse nach wie vor eine zentrale Rolle. Gerade bei vielschichten Herausforderungen, wie der Suche nach schnellen und wirksamen Möglichkeiten zur Eindämmung der Klimakrise, müssen Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen und Verbänden, die materiell betroffen sind oder direkten Anteil an der Politikgestaltung nehmen, wie Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen oder Nachbarschaftsvereine, in den politischen Prozess eingebunden sein. Hier sind geeignete Stakeholder-Beteiligungsprozesse gefragt - nicht trotz, sondern wegen der berechtigten Kritik an einem zu großen Einfluss einzelner Akteure auf politische Prozesse. Im Gegensatz zu intransparenten Lobby-Beziehungen schaffen sie einen nachvollziehbaren Prozess des Interessenaustausches, der auch kleineren und schwächeren Interessengruppen eine Stimme gibt, den gemeinsamen Suchprozess transparent gestaltet und die Suche nach einer für alle akzeptablen Lösung ermöglicht.

Bürgerbeteiligung und Stakeholderbeteiligung zusammen denken

Bislang werden Stakeholderbeteiligung und Bürgerbeteiligung häufig als getrennte Welten verstanden. Mehr noch: Oft wird auch versucht, die als lästig angesehene Auseinandersetzung mit organisierten Interessengruppen durch die Nutzung eines Bürgerrates zu ersetzen. Damit sperrt man aber wichtige Stimmen in der Gesellschaft aus. Zu empfehlen ist daher eine Kombination beider Beteiligungsstränge: Bürgerbeteiligung und Stakeholderbeteiligung können prozedural so miteinander verwoben werden, dass sie sich wechselseitig ergänzen und sich ihre Sichtweisen in den Ergebnissen widerspiegeln. Auch die blinden Flecken und Schwächen beider Beteiligungsformen lassen sich so teilweise ausgleichen.

Erkenntnisse aus kombinierten Beteiligungsprozessen

In unserem Artikel „Partizipative Klimapolitik: Wie die Integration von Stakeholder- und Bürger*innenbeteiligung gelingen kann“ werfen wir ein Schlaglicht auf zwei Beteiligungsprozesse, die ein solches integratives Vorgehen bereits erfolgreich erprobt haben. Die Erstellung des Klimaplans für Baden-Württemberg im Jahr 2012 und der Klima-Aufbruch Erlangen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass integrierte Gesamtbeteiligungsprozesse nicht nur sachlich fundierte und politisch anschlussfähige Ergebnisse erzeugen können, sondern auch zu einem besseren Verständnis und toleranterem Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven beitragen. Die gesteigerte Wirksamkeit, die sich aus der Kombination beider Beteiligungsansätze ergibt, beruht darauf, dass bei richtiger Steuerung des wechselseitigen Kommunikationsprozesses eine Verständigung zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Stakeholder und der breiten Bürgerschaft zustande kommt und zum Teil kreative Lösungen für komplexe Probleme oder Konflikte erarbeitet werden. Die kombinierten Verfahren bringen Prozessergebnisse hervor, in die sowohl die relevanten Interessen und Werte von Organisationen und Gruppen als auch die auf das Gemeinwohl hin ausgerichteten Urteile der Bürgerschaft eingeflossen sind. Dazu kommt der Legitimationseffekt: Es fällt leichter, einen Beteiligungsprozess nachzuvollziehen und gut zu finden, wenn man sieht, dass darin Personen und Akteure mitwirken, mit denen man sich identifizieren kann. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ergebnisse in der breiten Bevölkerung aber auch von privaten Akteuren akzeptiert werden und in den Gremien der repräsentativen Demokratie Mehrheiten finden.

Die beiden Fälle aus Baden-Württemberg und Erlangen zeigen, dass es ein kreatives Gesamtdesign, eine konstruktive Motivation aller Beteiligter und eine pragmatische Grundhaltung bei dem Organisationsteam und den beauftragenden Gremien braucht, um politische Entscheidungsfindungsprozesse mit Aussicht auf Erfolg partizipativ zu öffnen. Das bloße Kopieren bereits etablierter und erprobter Verfahren reicht nicht aus. Stattdessen gilt es, Beteiligungsverfahren von ihrem Beteiligungszweck her zu konzipieren und die Auswahl von Zielgruppen, Methoden und Moderationstechniken daran auszurichten. Bei Fragen der Klima-Governance, die letztlich Alle betreffen, aber eben auch den Einflussbereich jener Akteure berühren, auf die eine Kommune oder ein Bundesland oft nur mittelbaren Einfluss hat, sind kombinierte Beteiligungsprozesse besonders vielversprechend.

 

Über die Autor*innen:

Ortwin Renn war von 2016 bis 2022 Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) (seit 1.1.2023 Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit - Helmholtz Zentrum Potsdam). Bis zu seiner Pensionierung war er ordentlicher Professor für Umwelt- und Techniksoziologie an der Universität Stuttgart.

Daniel Oppold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam

 

Über die Reihe:

Diese Reihe geht auf den Themenschwerpunkt „Demokratieinnovationen, Repräsentation und Politikwandel“ in dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management (1-2023), herausgegeben von Nora Freier, Volker Mittendorf und Detlef Sack, zurück. Den vielfältigen Krisentendenzen demokratischer Regime begegnen unterschiedliche Demokratieinnovationen. Diese weisen direktdemokratische oder deliberative Formen auf, etwa Volksentscheide oder Bürgerräte. Nach einer Phase, die sich besonders der Input-Seite der Demokratieinnovationen gewidmet hat, werden in der Debatte deren Effekte zunehmend in den Mittelpunkt gerückt. Damit werden Partizipationsforschung und Policy-Analyse neu kombiniert. Dies ist nicht spannungsfrei!

Weitere Beiträge in der Reihe: