Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Sympathien für Putin: Eine Folge politischer Entfremdung

Autoren: Lucca Hoffeller und Nils Steiner

 

 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 wurde und wird von der großen Mehrheit der politischen Öffentlichkeit Deutschlands scharf verurteilt. Besonders Wladimir Putin wird als zentrales Gesicht des russischen Regimes immer wieder direkt für den Krieg und das daraus folgende Leid verantwortlich gemacht. Aber nicht selten kommt es auch zu Bekundungen von Sympathie oder sogar impliziter Unterstützung für Putin, etwa in Teilen der radikalen Rechten und radikalen Linken oder der Verschwörungsszene im Land. Diese kleine, oft aber verhältnismäßig laute Minderheit zieht immer wieder öffentliches Interesse auf sich. Insbesondere eine Frage steht dabei im Fokus: Was bewegt Menschen in demokratischen Gesellschaften wie Deutschland dazu, Sympathien für den Anführer eines autokratischen Regimes im Ausland zu äußern, auch nach seiner Entscheidung einen Angriffskrieg zu beginnen?

Was wir bisher wissen – und was nicht

Die bisherige politikwissenschaftliche Forschung zu dieser Frage ist überschaubar. Wir wissen bisher nur wenig darüber, warum Menschen in Demokratien zu Sympathien für ausländische Autokraten und ihre Regime neigen. Konkret zum Fall Putin und Russland gibt es aber durchaus verwandte Forschung, die uns einen Eindruck von möglichen Beweggründen vermitteln kann. So zeigt Forschung zu den Gemeinsamkeiten pro-russischer Parteien und Wählerschaften, dass positive Einstellungen gegenüber Putin und seinem Regime vor allem in populistischen, oft radikalen Parteien vertreten werden. Sie zu einen scheint vor allem ihre „anti-establishment“-Haltung. In eine ähnliche Richtung deuten auch Befunde zur Empfänglichkeit für russische Desinformationsnarrative. Diese erreichen und beeinflussen vor allem Menschen, die eine tiefe Unzufriedenheit und generelle Entfremdung von der liberalen Demokratie äußern. Bisher wurden diese Ergebnisse kaum systematisiert und gemeinsam betrachtet, obwohl sie in die gleiche Richtung deuten: Sympathien gegenüber Putin und dem russischen Regime scheinen besonders dort vertreten zu werden, wo Menschen sich aus unterschiedlichen Gründen von ihren demokratischen Systemen entfremdet haben. Diese politische Entfremdung äußert sich in einem generellen Gefühl allgemeiner Ernüchterung und Unzufriedenheit mit dem politischen System, seinen etablierten Eliten und Diskursen.

Die Rolle politischer Entfremdung: Das Balanceargument

Warum aber führt eine solche Entfremdung zu Sympathien gegenüber einem ausländischen Autokraten? In unserem neu erschienenen PVS-Artikel argumentieren wir, dass diesem Zusammenhang ein intuitiver psychologischer Mechanismus zugrunde liegt. Nach der sozialpsychologischen Balancetheorie neigen Menschen in ihren sozialen Beziehungen zu Balance und wollen inkonsistente Einstellungen gegenüber Personen und Entitäten vermeiden. Um diese Balance herzustellen, neigen sie dazu, die Freunde ihrer Freunde zu mögen oder alternativ – und für unseren Fall entscheidender – auch die Feinde ihrer Feinde. Für unseren konkreten Untersuchungsfall heißt das: Personen, die sich vom deutschen politischen System entfremdet haben, könnten Putin – selbst ein prominenter „Gegner“ des Systems, das sie nicht unterstützen – als Verbündeten in ihrer Entfremdung betrachten und folglich Sympathien gegenüber Putin und seinem Regime hegen. Diese „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Logik scheint besonders gut geeignet, um zu erklären, warum eine ansonsten ideologisch sehr heterogene Gruppe an den Rändern des politischen Spektrums positivere Ansichten gegenüber Putin und seinem Regime zu teilen scheint.

Wir begreifen und operationalisieren politische Entfremdung bewusst breit. Die für uns relevante Entfremdung geht über das einfache Fehlen politischen Vertrauens hinaus. Sie äußert sich auch in einer diffuseren Entfremdung von der demokratischen Idee und dem gesellschaftlichen Diskurs insgesamt, bis hin zu einer allgemeinen Neigung zu Verschwörungsglauben als Ausdruck eines tiefsitzenden und generalisierten Misstrauens gegenüber politischen und gesellschaftlichen Eliten.

Ergebnisse

In unserem Beitrag untersuchen wir die Bedeutung politischer Entfremdung für Sympathien gegenüber Putin und seinem Regime empirisch anhand von Längsschnittdaten der German Longitudinal Election Study (GLES). Diese Daten erlauben es uns, Sympathien gegenüber Putin vor und nach dem Beginn der Invasion im Februar 2022 zu vergleichen und eben jene Faktoren zu identifizieren, die auch nach der Invasion noch Sympathien begünstigen.

Ein deskriptiver Blick auf die Daten in Abbildung 1 zeigt, dass die befragten Deutschen in der überwiegenden Mehrheit deutlich negativ auf die Invasion der Ukraine durch Russland reagiert haben: Der Anteil derer, die Wladimir Putin auf einer elfstufigen Skala mit der schlechtmöglichsten Wertung (-5) einschätzen, stieg von 34,5% vor der Invasion im Dezember 2021 auf 72,9% im Mai 2023. Aber: Auch zwei Jahre nach der Invasion gibt es eine nicht zu vernachlässigende Minderheit von 13,5%, die Putin mindestens neutral gegenüberstehen. Immerhin 6,5% geben auch im Mai 2023 noch immer eine positive Bewertung ab.

 

 

 

In verschiedenen Regressionsschätzungen führen wir die Bewertungen Putins nach der Invasion auf vor der Invasion gemessene Indikatoren politischer Entfremdung und eine Reihe an Kontrollvariablen zurück. Die Ergebnisse in Abbildung 2 bestätigen den von uns vermuteten Zusammenhang: Je geringer das politische Vertrauen, je geringer die Unterstützung für die Demokratie als Regierungsform, je größer die Entfremdung vom politischen Diskurs und je ausgeprägter die Verschwörungsmentalität, desto eher äußern Individuen auch nach dem Krieg noch Sympathien für Putin (s. Ergebnisse in blau). Besonders eindrucksvoll wird der Zusammenhang, wenn wir diese vier Facetten politischer Entfremdung in einem gemeinsamen Faktor zusammenfassen (s. Ergebnisse in orange). Diese Ergebnisse gelten nicht nur für Sympathien für Putin persönlich, sondern auch für positive Einstellungen gegenüber Russland und dem Putin-Regime insgesamt.

 

 

Ähnliche Ergebnisse erhalten wir auch, wenn wir die intra-individuelle Veränderung der Bewertung Putins im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Invasion als abhängige Variable heranziehen (Abbildung 3). Entfremdete Individuen neigen demnach weniger dazu, im Angesicht der Invasion ihre Bewertung von Putin „nach unten“ anzupassen. Politische Entfremdung spielt dabei als übergeordneter Faktor und insbesondere in Form des mangelnden politischen Vertrauens und der Neigung zu Verschwörungsglauben eine bedeutende Rolle.

 

Fazit: Die Relevanz politischer Entfremdung für internationale Fragen

Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass politische Entfremdung ein zentrales Motiv dafür ist, warum deutsche Bürger*innen (noch immer) mit Putin und seinem Regime sympathisieren. Politische Entfremdung hat nicht nur für die nationale Politik Konsequenzen, sondern beeinflusst auch die Einstellungen zu internationalen Fragen. In Zeiten zunehmender internationaler Systemkonkurrenz und den Versuchen autokratischer Staaten - allen voran Russlands - den öffentlichen Diskurs in westlichen Gesellschaften zu beeinflussen, bekommen diese Ergebnisse eine besondere Relevanz. Diese internationale Herausforderung ist einer von vielen guten Gründen, die vielfältigen Ursachen und Folgen politischer Entfremdung in Deutschland und anderen westlichen Demokratien besser zu verstehen und ernst zu nehmen.

Über die Autoren:

 

Lucca Hoffeller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt. Er beschäftigt sich mit politischen Einstellungen und politischem Verhalten, mit einem Schwerpunkt auf den Ursachen und Konsequenzen (geringer) politischer Unterstützung in Demokratien.

Nils Steiner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschung beschäftigt sich mit politischen Prozessen in entwickelten Demokratien, insbesondere mit den politischen Einstellungen und dem politischen Verhalten von Bürger*innen.