Seit einigen Jahren lässt sich in Folge der Digitalisierung ein grundlegender Wandel des wissenschaftlichen Publizierens beobachten. War es vor 10-15 Jahren noch üblich, dass Fachaufsätze in Bibliotheken gelesen oder kopiert wurden, man Zeitschriften privat oder auch am Institut abonniert hatte, so sind heutzutage viele Aufsätze und in zunehmenden Umfang auch Bücher bequem und schnell auf den eigenen Bildschirm abrufbar. Open Access und in Deutschland das Deal-Abkommen stellen Entwicklungen dar, die die Zugriffsmöglichkeiten auf wissenschaftliche Beiträge erheblich erleichtert haben. Gerade Wissenschaftler*innen an kleinen Universitätsstandorten mit geringem Budget haben dadurch einen leichteren Zugang zu vielen wissenschaftlichen Zeitschriften bekommen. Zugleich werden durch die Deal-Verträge einige wenige große Verlage gestärkt, was etwa den Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2017 zu einer Beschwerde vor dem Bundeskartellamt bewegte, die jedoch zurückgewiesen wurde.
Zu diskutieren ist, wie sich aus Sicht der Wissenschaftler*innen diese Konzentration auf wenige Verlage darstellt. Könnte auch Open Access zu einer Entdemokratisierung der Wissenschaft führen? Könnte sich ein solcher Nebeneffekt etwa dadurch einstellen, dass Open Access-Gebühren bei Verlagen (in der Regel zwischen 2.000 und 3.000 Euro pro Artikel), die nicht am Deal-Abkommen beteiligt sind, nur von wenigen finanzstarken wissenschaftlichen Einrichtungen getragen werden können? Gerade da Open Access für die Sichtbarkeit von Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase immer wichtiger wird, könnte für Karriereverläufe weniger die jeweilige wissenschaftliche Eignung als die Kontingenz des Standortes einen nicht unerheblichen Ausschlag geben. Ein weiterer Aspekt des Themas ist das sogenannte Wissenschaftler-Tracking, also die kommerziell motivierte Sammlung von Nutzer*innendaten durch Wissenschaftsverlage.
Ziel der Diskussionsrunde ist es, vor diesem Hintergrund über die Chancen und Risiken des digitalen Wandels des Publizierens zu diskutieren. Damit wollen wir mithin zu einer Sensibilisierung für einen Wandel beitragen, der vielleicht neue Möglichkeiten eröffnen und zu einer weiteren Demokratisierung der Wissenschaft beitragen, zugleich aber auch zu neuen Ungleichheiten führen könnte. Die Leitfrage der Diskussionsrunde lautet: Was sind in diesem Prozess eigentlich die genuinen Interessen derjenigen, die den wissenschaftlichen Inhalt produzieren, und wie kann dafür Sorge getragen werden, dass diese nicht wissenschaftsfremden Interessen zum Opfer fallen?
Organisation der Diskussionsrunde: Redaktion der Politischen Vierteljahresschrift / German Political Science Quarterly (PVS)
Prof. Dr. Dirk Jörke, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. Petra Gehring, Professorin für Philosophie, Technische Universität Darmstadt
Dr. Anne K. Krüger, Forschungsgruppenleiterin, Weizenbaum-Institut
Dr. Philipp Mayr, Teamleiter „Information & Data Retrieval“ in der Abteilung „Knowledge Technologies for the Social Sciences“, GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Köln, und Fachinformationsdienst Politikwissenschaft (Pollux)
Timon Oefelein, Senior Academic Affairs Manager, Springer Nature
Dirk Jörke ist seit 2014 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Darmstadt. Er forscht zur Geschichte des Demokratiebegriffs und zu den Herausforderungen gegenwärtiger Demokratien. Er ist seit Anfang 2019 Mitglied der Redaktion der Politischen Vierteljahresschrift und seit Herbst 2021 Mitglied im Vorstand der DVPW. | |
Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt. | |
Anne K. Krüger ist Co-Leiterin der Forschungsgruppe "Reorgansation von Wissenspraktiken" am Weizenbaum-Institut Berlin. Sie ist promovierte Soziologin mit Schwerpunkten in der Organisationssoziologie und Wissenschafts- und Technikforschung und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit digitalen Infrastrukturen der Leistungsbewertung in der Wissenschaft. Zu ihren Veröffentlichungen gehört das bei utb erschienene Studienbuch "Soziologie des Wertens und Bewertens". | |
Philipp Mayr ist Teamleiter am GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in der Abteilung „Knowledge Technologies for the Social Sciences“. Er promovierte 2009 in Angewandter Informatik und Information Retrieval an der Berlin School of Library and Information Science der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsgruppe „Information and Data Retrieval“ beschäftigt sich mit Methoden und Techniken des interaktiven Informations- und Datenretrievals und entwickelt Informationssysteme für die Sozialwissenschaften. | |
Timon Oefelein ist Senior Academic Affairs Manager bei Springer Nature. Er hat Politik, Volkswirtschaft und Journalismus in Großbritannien studiert und arbeitet seit 2000 in verschiedenen Bereichen bei Springer Nature. 2018 erweiterte sich seine Rolle um die strategische Partnerschaftsarbeit zu Open Science, bevor er im Sommer 2022 in seine neue Rolle als Senior Academic Affairs Manager wechselte, wo er für Skandinavien, Belgien, die EU und das nicht-frankophone Afrika verantwortlich ist. |