Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Stockholm+50: Fünf Jahrzehnte globaler Umweltpolitik

Autorin: Lena Partzsch

 

Inhalt und Ziel des Lehrprojektes

Die Menschheit befindet sich bereits außerhalb des „safe operating space“ für mindestens vier von neun planetaren Grenzen: Klimawandel, Biodiversität, Landnutzungsänderung und biogeochemische Kreisläufe (Stickstoff- und Phosphorkreisläufe). Ziel des Lehrprojektes war es, anlässlich des UN-Gipfels „Stockholm+50: A Healthy Planet for the Prosperity of All – Our Responsibility, Our Opportunity” im Juni 2022 in einem größer angelegten Lehrprojekt die Bedeutung der Politikwissenschaft in diesem Zusammenhang zu vermitteln. Im Rahmen eines Master-Seminars organisierten die teilnehmenden Studierenden eine öffentliche Ringvorlesung (Offener Hörsaal, auf Englisch) im Hybridformat im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin. Parallel entstand ein Lehrbuch, an dem die Studierenden ebenfalls mitwirkten. Bei der Ringvorlesung stellten Studierende die Gastreferent*innen jeweils vor und moderierten eine Frage-Antwort-Runde im Anschluss an die Vorträge. Die Vorlesungen sind über die Homepage von Prof. Dr. Lena Partzsch und den YouTube-Kanal der Freien Universität Berlin online verfügbar.

Die einzelnen Gastvorträge basieren auf Kapiteln für ein Lehrbuch in Form eines Sammelbandes, der im Herbst 2023 bei Bristol University Press als Druck- und Onlineausgabe („open access“) erscheint. Die Kapitel führen jeweils in einen zentralen Bereich der Umwelt-Politikwissenschaft ein, angefangen bei der Forschung zu Klimapolitik über Wachstumskritik und Öko-Feminismus bis hin zur Rolle von Städten bei der Implementation nachhaltiger Entwicklung. Die verbindende Klammer ist die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals (SDGs). Die Kapitel bzw. Vorlesungen international renommierter Wissenschaftler*innen wie Lyla Mehta, Institute of Development Studies at the University of Sussex, und Philipp Pattberg, Vrije Universiteit Amsterdam, hängen sich an den ökologisch relevanten SDGs auf. Die Studierenden führten für den Sammelband Interviews mit den Gastreferent*innen, deren Transkripte in gekürzter Form mit in den Band aufgenommen wurden (mit den Studierenden als Autor*innen). Die Interviews heben die wichtigsten Punkte der Kapitel hervor und regen zum Lesen an.

Die Durchführung des Lehrprojekts

Im Master-Seminar diskutierten wir gemeinsam die Buchkapitel, die zu dem Zeitpunkt als fortgeschrittene Entwürfe (erste Überarbeitung nach Peer Review) vorlagen. Zusätzlich wurde optionale Fachliteratur zur Verfügung gestellt. Die Diskussionen wurden entlang der Leitfragen des Sammelbands strukturiert. Es ging um den Wandel der Wahrnehmung von Umwelt über die letzten Jahrzehnte, wichtige Akteure und Institutionen sowie innovative und alternative Formen von Governance im jeweiligen Bereich. Daneben wurden Forschungsansatz und Methode des jeweiligen Kapitels thematisiert. Der Vergleich der Kapitel erlaubte es, die Besonderheit des jeweiligen Umweltbereichs und der Forschung dazu herauszuarbeiten. Die Diskussion der Kapitel fand vor den einzelnen Gastvorlesungen statt, so dass wir offene Punkte mit in die Frage-Antwort-Runde nach den Vorträgen nehmen konnten. Die Ergebnisse der Diskussionen flossen zudem in das Synthese-Kapitel für den Sammelband ein.

Als Teilnahmeleistung waren die Studierenden jeweils zu zweit oder dritt für eine Vorlesung zuständig, einschließlich der Vorstellung der Gastreferent*innen und der Moderation der Frage-Antwort-Runde. Alle Studierenden waren auch an mindestens einem Interview beteiligt. Für eine benotete Prüfungsleistung mussten sie eine schriftliche Zusammenfassung des zur Vorlesung gehörenden Kapitelentwurfs unter Berücksichtigung der Leitfragen, wie sie in der Seminarsitzung diskutiert wurden, sowie ihre Interviewtranskripte in voller Länge (einschließlich Referenzen zum Kapitelentwurf und weiterer Fachliteratur) und in der für das Buch gekürzten Version einreichen.

Die Seminarsitzungen fanden wöchentlich jeweils vor den Ringvorlesungen statt. Die Interviews mit den Referent*innen wurden von den Studierenden größtenteils direkt vor der Vorlesung im Seminarraum des Arbeitsbereiches durchgeführt. In Vorbereitung auf die Seminarsitzungen lasen die Studierenden den jeweiligen Kapitelentwurf für die kommende Vorlesung und ab der dritten Sitzung die dann bereits vorliegenden Zusammenfassungen der Kapitel und Interviewtranskripte mit den Referent*innen der vorangegangenen Vorlesungen. Alle Materialen (Kapitelentwürfe, Zusammenfassungen, Interviewtranskripte, Fachliteratur) standen auf der Online-Plattform Blackboard für die Studierenden zur Verfügung.

Die Seminarsitzungen in der Praxis

Zu Beginn hatten die Studierenden die Möglichkeit, in Stichpunkten mit Markern mehrfarbig auf einem Flipchart festzuhalten, was ihnen aus dem jeweiligen Interviewtranskript mit den Gastreferent*innen besonders gefiel und in die gekürzte Version fürs Buch aufgenommen werden sollte. Das Flipchart wurde diskutiert und besprochen, bis diejenigen, die das Interviewtranskript kürzen mussten, sich dazu in der Lage sahen (insg. ca. 20 Min.). Es wurden Kleingruppen zu den Leitfragen in Bezug auf das zu diskutierende Kapitel mit 3-5 Studierenden gebildet. Bei mehreren Kapiteln wegen vorangegangenem Feiertag erfolgte die Diskussion vergleichend. Nachdem es sich in der ersten Sitzung als zu zeitaufwendig herausstellte, dass alle Kleingruppen alle Leitfragen diskutierten, fokussierte sich jede Gruppe auf nur eine Frage. Die Studierenden hielten ihre Ergebnisse wiederum auf einem Flipchart fest (ca. 20-30 Min.). Die Flipcharts wurden aufgehangen und vergleichend vorgestellt, wodurch sich eine gemeinsame Diskussion des Kapitels ergab. Ergebnis der gemeinsamen Diskussion waren die Fragen für die folgende Frage-Antwort-Runde und das anstehende Interview, die in der Präsentation zur Sitzung festgehalten wurden (ca. 30-40 Min.). Zum Abschluss wurde gemeinsam der weitere Ablauf von Seminar und Ringvorlesung geplant (ca. 10 Min). Im Anschluss wurden alle Folien sowie Fotos aller Flipcharts auf Blackboard hochgeladen.

Evaluation des Lehrprojektes

Es waren 27 Studierende zum Seminar angemeldet, von denen acht eine Teilnahme- und 16 eine benotete Prüfungsleistung erbrachten. Dies ist aufgrund der Rahmenbedingungen des Studiengangs eine außergewöhnlich hohe Quote (keine Anwesenheitspflicht, keine Konsequenzen bei Nicht-Abschluss o.ä.). Auch waren die Studierenden außergewöhnlich motiviert und sehr gut vorbereitet für die einzelnen Sitzungen, u.a. fertigten sie Notizen zu Leitfragen für gelesene Kapitel und zu Interviews an. So ergab sich gerade mit Blick auf den Sammelband eine fruchtbare Verbindung von Forschung und Lehre. Die hybriden Gastvorlesungen hatten teilweise mehrere hundert Zuhörende.

Durch die Aufzeichnungen wird online weiter ein breites Publikum auch über den deutschsprachigen Lehrraum hinaus erreicht, z.B. wurden die Vorlesungen bereits in der Lehre am Center for Environmental and Sustainability Social Sciences (CESSS) an der Örebro Universitet in Schweden eingesetzt. Dies zeugt für eine internationale Anerkennung des Projekts über die Politikwissenschaft hinaus. Den Erfolg macht sich aber vor allem an den positiven Rückmeldungen der Studierenden und der bei ihnen geweckten Begeisterung für die Umwelt-Politikwissenschaft fest.

Weitere Unterlagen

 

 

Über die Autorin: 

Lena Partzsch ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2023 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Lena Partzsch für ihr Lehrprojekt „Stockholm+50: Fünf Jahrzehnte globaler Umweltpolitik“ im Sommersemester 2022 an der Freien Universität Berlin verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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