Mit 18,2% in Hessen und 14,6% in Bayern erreicht die Alternative für Deutschland (AfD) 2023 ihr bislang höchstes und dritthöchstes Ergebnis bei einer westdeutschen Landtagswahl. Drückt sich darin allgemeine Unzufriedenheit mit der Demokratie und der Ampel-Koalition aus oder zeigt sich hier ein rechtsradikales Wählerpotenzial, welches bereits in früheren Wahlerfolgen von Republikanern, NPD oder DVU sichtbar wurde? Wir greifen diese Diskussion auf und untersuchen den AfD-Erfolg mit Wahlergebnissen und sozioökonomischen Daten auf Gemeindeebene in Bayern und Hessen.
Dazu berechnen wir verschiedene Regressionsmodelle, die die Stimmenanteile der AfD 2023 und ihre Zugewinne gegenüber 2018 auf Stadt- und Gemeindeebene untersuchen. Eine solche Aggregatdatenanalyse ist mit Unsicherheit behaftet. Sie kann aber aufgrund der großen Anzahl der betrachteten Gemeinden auf mögliche Erklärungen hinweisen. Die zentrale unabhängige Variable sind die Wahlergebnisse der Republikaner bei den Landtagswahlen 1990 in Bayern und 1999 in Hessen. Diese Wahlergebnisse identifizieren als Proxy-Variable die räumliche Konzentration eines rechtsautoritären und anti-liberalen Wählerreservoirs. Viele Studien haben auf die Bedeutung dieser Wählergruppen für rechtsradikale Parteien hingewiesen und gezeigt, dass es durch ein entsprechendes politisches Angebot – etwa in Form der NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre oder von Republikanern, DVU oder NPD in den 1990er Jahren, mobilisiert werden kann (vgl. etwa Schwander und Manow 2017; Goerres et al. 2018; Stecker und Debus 2019).
Zugewinne der AfD resultieren aus neuen Wählergruppen
Die Regressionsergebnisse sind in Abbildung 1 zusammengefasst. Sowohl in Hessen als auch in Bayern zeigt sich, dass frühere Erfolge der Republikaner stark mit der heutigen AfD-Unterstützung (blauer Koeffizient) zusammenhängen. Konkret kann die AfD in den Gemeinden für jeden früheren Republikaner-Prozentpunkt heute in Hessen etwa 0,9% und in Bayern 0,3% der Stimmen einstreichen. Die frühen Erfolge der Republikaner können allerdings nicht die Zugewinne der AfD gegenüber der letzten Landtagswahl 2018 erklären. Möglicherweise hatte die AfD das rechtsradikale Wählerpotential in beiden Bundesländern bereits 2018 ausgeschöpft. Auch eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass sich die Neuwähler*innen von der Stammwählerschaft der AfD unterscheiden. Die Neuwähler*innen weisen u.a. einen höheren Frauenanteil auf und kennzeichnen sich durch ein geringeres Vertrauen in die Partei. Sie sind zudem weniger ablehnend gegenüber Migration oder der Bekämpfung des Klimawandels eingestellt (Hövermann 2023). Ein weiteres Indiz für die Expansion der AfD-Wählerschaft über traditionell rechtsautoritäre Wählermilieus hinaus ergibt der Blick auf die Veränderung der Wahlbeteiligung. Wo mehr Menschen als 2018 zur Wahl gegangen sind oder diese weniger stark sank, schneidet die AfD 2023 sehr gut ab und kann gegenüber 2018 Zugewinne erzielen. Dies weist möglicherweise auf eine erfolgreiche Mobilisierung von Nichtwähler*innen hin, die sich auch in Umfragen andeutet.
Unser Regressionsmodell berücksichtigt auch weitere Erklärungen für die AfD-Unterstützung. So wird die AfD-Unterstützung oft in strukturschwachen und sogenannten “abgehängten” Räumen vermutet (siehe Haffert 2022). Buchstabiert man die Strukturschwäche in konkrete Variablen aus, ergeben sich allerdings keine konsistenten Ergebnisse. So erzielt die AfD in Bayern in Gegenden mit höherer Arbeitslosigkeit bessere Ergebnisse und gewinnt gegenüber 2018 stärker hinzu. Auf Hessen trifft dies allerdings nicht zu; hier ergibt sich für die Distanz zum nächsten Fernbahnhof ein schwacher, aber statistisch signifikanter und positiver Effekt auf den AfD-Stimmenzuwachs. In beiden Bundesländern hat die AfD in Gegenden mit Bevölkerungsrückgang allerdings weder signifikant besser abschnitten oder dazugewonnen. Auch für die lokale Arztdichte, Industriearbeiteranteil und Ausländeranteil ergeben sich keine eindeutigen Effekte. Eindeutig ist jedoch, dass die AfD in Gegenden mit niedriger Akademikerquote besser abschneidet und an diesen Orten im Vergleich zu 2018 auch stärker hinzugewinnt. Korrespondierende Befunde finden sich in einer noch unveröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung, welche die gegenwärtige Zunahme an AfD-Unterstützung in niedrig gebildeten Bevölkerungsgruppen verortet (Betschka 2024).
Bestehende rechtsradikale Wählermilieus und sozialstrukturelle Merkmale können also zum Teil den jüngsten Erfolg und Zugewinn der AfD in Bayern und Hessen erklären. Ein noch genauerer Blick auf die Rolle von Einstellungen zur Demokratie und zu konkreten Sachfragen erlaubt uns die Volksabstimmung in Hessen, die parallel zur Landtagswahl im Jahr 2018 stattfand. In dieser Volksabstimmung sollten die Bürger*innen über verschiedene Änderungen der hessischen Landesverfassung entscheiden, darunter die Streichung der Todesstrafe, die Verankerung eines Bekenntnisses zur europäischen Einigung und zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen – Themenbereiche, in denen Rechtspopulist*innen häufig klare Positionen einnehmen. Abbildung 2 zeigt, wie die Stimmenanteile der Parteien bei der Landtagswahl 2023 mit dem Anteil an Nein-Stimmen zu diesen ausgewählten Abstimmungsfragen korrelieren. Dabei wird deutlich, dass die AfD in den Städten und Gemeinden 2023 deutlich bessere Ergebnisse erzielt, wo überdurchschnittlich viele Menschen die Abschaffung der Todesstrafe aus der Landesverfassung ablehnten. Gleiches gilt für die Ablehnung des Bekenntnisses zur europäischen Einigung und die Stärkung der geschlechtlichen Gleichberechtigung. Interessant ist zudem, dass sich ein entgegengesetzter Zusammenhang am stärksten für die Stimmenanteile der Grünen ergibt.
Schlussbetrachtung
Unsere kleinräumliche Analyse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigt, dass die AfD heute besonders in Gegenden stark ist, in denen die Erfolge der Republikaner in den 1990er Jahren bereits auf ein bestehendes rechtsautoritäres Wählermilieu hinwiesen. Allerdings können diese womöglich weiterhin bestehenden Wählermilieus nicht mehr die Zugewinne der AfD seit 2018 erklären. Dies deutet darauf hin, dass die AfD inzwischen breitere Wählerschichten außerhalb einer rechtsradikalen Kernwählerschaft anspricht. Auch wenn unsere Analyse keine Schlüsse auf individuelle Wahlmotive zulässt, könnten zukünftige Betrachtungen der AfD-Wählerschaft von einer stärkeren Differenzierung zwischen Kernwähler*innen und neueren Wähler*innen profitieren. Auffallend ist, dass die AfD in Gegenden mit niedriger Akademikerquote besonders erfolgreich ist und dort auch stärker als anderswo hinzugewinnen konnte. Sozioökonomische Prekarität und räumliche Abgehängtheit (wie z. B. Arbeitslosigkeit oder schlechte Verkehrsanbindung) zeigen keine so deutlichen und eindeutigen Effekte. Für Hessen können wir zusätzlich zeigen, dass die AfD ein günstiges Umfeld in Gemeinden findet, die bei einer Volksabstimmung im Jahr 2018 seltener dafür stimmten, die Todesstrafe aus der Verfassung zu streichen sowie ein Bekenntnis zur Europäischen Einigung und zur Gleichberechtigung von Mann und Frau hinzuzufügen. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie sehr sich die Unterstützung der AfD auch in westdeutschen Bundesländern in Regionen verankert, in denen Skepsis und Ablehnung gegenüber Kernbestandteilen liberaler Demokratien verbreitet ist.
Über die Autoren:
Marc Debus ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.
Julius Kölzer ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft der Christian-Albrechts-Universiät zu Kiel und dem Kiel Institut für Weltwirtschaft.
Christian Stecker ist Professor für das Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme an der TU Darmstadt.