Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Planspielarrangements für unterrichtsübergreifende Kernkompetenzen

Autoren: Matthias Busch und Michell Dittgen

Bei einem beträchtlichen Teil der Politikstudierenden handelt es sich um Lehramtsstudierende, die einmal an einer Schule arbeiten werden und dort unsere Disziplin vertreten werden. Vor dem Hintergrund ihrer fachwissenschaftlichen, didaktischen und pädagogischen Ausbildung werden sie politische Bildung im Fachunterricht und im Schulleben gestalten, Teil der Schulgemeinschaft sein und die Schul- und Unterrichtsentwicklung prägen. Da sich auf das dort zum Tragen kommende komplexe Zusammenwirken von individuellen Kompetenzen, systemischen Rahmenbedingungen und schulspezifischen Implikationen sowie auf die professionelle Kooperation der an der Schul- und Unterrichtsentwicklung Beteiligten nach unserem Dafürhalten in herkömmlichen hochschuldidaktischen Lehr-Lern-Settings allein kaum adäquat vorbereiten lässt, möchten wir neue Wege gehen und haben situativ eingebettete, handlungsorientierte Lernarrangements für die Lehrer*innenbildung konzipiert, erprobt und evaluiert. Dabei schlüpfen die Studierenden in die Rolle von Lehrkräften, initiieren und reflektieren in interdisziplinärer Zusammenarbeit Schulentwicklungsprozesse, die in ihren Handlungsszenarien den späteren berufsspezifischen Anforderungssituationen und Kompetenzbereichen entsprechen (zu den Potenzialen der Planspielmethode in der Hochschullehre auch Eberle/Kriz 2017).

Konkret haben wir über diesen Zugang bislang die schulischen Querschnittsaufgaben Demokratiebildung und digitalitätsbezogene Bildung hochschuldidaktisch aufbereitet. Als Politikdidaktikern war uns dabei wichtig, die politische Dimension sowie zentrale politikwissenschaftliche Hintergründe und Implikationen von Anfang an mitzudenken und auch innerhalb der Planspielszenarien zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen. Erprobt haben wir bislang den hybriden Einsatz der digitalgestützten Lehr-Lernsettings als wöchentliche Veranstaltungen mit 2 SWS, wobei sich ein Planspiel einschließlich Einführung und Evaluation jeweils über ein gesamtes Semester erstreckte. Dabei fanden regelmäßige Präsenzsitzungen vor Ort statt, die durch die von uns entwickelten digitalen Spielmaterialien und eine digitale Arbeitsplattform gestützt wurden und im Rückgriff auf selbige von den Studierenden vor- und nachbereitet wurden.

Abbildung 1: Planspielphasen

Planspiel „Demokratiebildung“

Am einfachsten lässt sich der Lehr-Lernprozess am Beispiel des jüngsten Planspiels, „Demokratiebildung“, bebildern: In der letzten Lehrer*innenkonferenz vor Beginn des neuen Schuljahrs stellt die Figur der Schulleiterin in ihrer Ansprache, einem Animationsvideo, fest, ihre Schule müsse sich dringend „viel stärker um den Bereich Demokratiebildung kümmern“. Jedes Jahr werde die Schulgemeinschaft vielfältiger, gleichzeitig sei man immer häufiger mit extremen und menschenverachtenden Parolen, Fake News, Gewalt und Ausgrenzung konfrontiert. Die Probleme in der Klasse und auf dem Schulhof wüchsen und auch, dass die Demokratie gesamtgesellschaftlich durch Phänomene wie Populismus, Extremismus, sinkende Wahlbeteiligung, sozio-ökonomische Ungleichheit und Polarisierungstendenzen unter Druck geraten sei, treibe sie als Pädagogin um. Mit dem gemeinsamen Ziel, für ihre (fiktive) Schule ein Konzept zur systematischen Förderung und Verankerung von Demokratie und Demokratiebildung in Schulleben und Unterricht zu entwickeln, organisieren sich die Studierenden fortan in Teams und Konferenzen selbst.

Abbildung 2: Bildschirmabdruck der Planspielwebsite

Bei der Erprobung im Wintersemester 2022/23 analysierten sie zunächst grundsätzlich, welche thematischen Anknüpfungspunkte sie als Fach oder Fächergruppe (z. B. Gesellschaftswissenschaften, MINT oder Sprachen) zur Demokratiebildung identifizieren können und welche fachlichen Beiträge sie zu selbiger leisten können. In diesem Sinne und unter Bezugnahmen auf den jeweiligen Fachlehrplan nahmen sie sodann exemplarische Reihen- und Stundenplanungen vor. Den „Demokratietag“ ihrer Schule widmeten sie dem Schwerpunkt „Politische Partizipation“ und entwickelten in den Jahrgangsteams dazu passende Schüler*innenworkshops mit jahrgangsspezifischen Themenschwerpunkten. In Arbeitsgemeinschaften wandten sie sich dem Schulleben zu und entwarfen beispielsweise Konzepte für AGs, Workshops, Projektwochen, Kommunikations- und Partizipationsstrukturen. Diese präsentierten und diskutierten sie auf einem „Markt der Möglichkeiten“, wie man ihn vielleicht von Schulfesten oder dem „Tag der offenen Tür“ kennt. Und schließlich suchten sie immer wieder auch nach Lösungen und Konzepten für konkrete Probleme, die aus der „Schulgemeinschaft“ über Animationsvideos und elektronische Nachrichten an sie herangetragen wurden und fachliche oder pädagogische Antworten im Sinne der Demokratiebildung erforderten – zum Beispiel im Umgang mit Konflikten auf dem Schulhof und im Lehrerzimmer, mit Fällen von Gewalt und Diskriminierung oder mit Enttäuschungserfahrungen von Schüler*innen im Rahmen ihres schulischen und außerschulischen (politischen) Engagements. Im Umgang mit Schüler*innen, Eltern und vor allem in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen galt es, ein demokratisches Miteinander zu suchen, Konflikte konstruktiv aufzulösen und mitunter auch Kompromisse zu schließen.

Im Laufe des Semesters entstand auf diese Weise ein umfassendes Demokratiebildungskonzept von 131 Seiten, das demokratierelevante Fragestellungen und Phänomene in den Fokus sehr unterschiedlicher Fächer und auch fächerübergreifender Lehr-Lernsettings rückt und auf eine demokratisch-partizipative Schul- und Unterrichtskultur abzielt. Im Sinne der Schulöffnung besuchten die Studierenden schließlich noch das kommunale Jugendparlament, erfuhren dort von politischen Erfahrungen der Jugendlichen inner- und außerhalb der Schule, erhielten Feedback zu ihren Ideen für die Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie Impulse für eine stärkere Vernetzung von schulischer Demokratiebildung und kommunaler Jugendpolitik. Am Ende des Seminars stand schließlich die Auswertung und Evaluation („Debriefing“) des Planspiels, die – neben der veranstaltungsbegleitenden Führung eines Lehrer*innentagebuchs – wesentlich dazu beiträgt, Erlebtes zu reflektieren, Gelerntes zu sichern und die im Planspiel erzielten Arbeitsergebnisse vor dem Hintergrund theoretischer Modelle und empirischer Forschungsbefunde zu evaluieren.

Konzeptionell liegt dem Planspiel ein demokratiepädagogischer Demokratiebegriff zugrunde, der Demokratie als „Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform“ differenziert und sie demzufolge gleichermaßen in institutionalisierter Politik, in der Zivilgesellschaft und in sozialem Alltagsleben bzw. individuellen Werthaltungen verortet. Als zentrale (schulische) Bildungsziele werden etwa die fünf „Demokratie-Kompetenzen“ „Perspektivenübernahme“, „Konfliktfähigkeit“, „sozialwissenschaftliches Analysieren“, „politische Urteilsfähigkeit“ und „Partizipationsfähigkeit/demokratische Handlungskompetenz“ adressiert. Schließlich knüpft die simulierte Schul- und Unterrichtsentwicklung auch an die Empfehlungen zur „Umsetzung in der Schule“ aus der KMK-Strategie „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ an.

Zur Unterstützung während des Planspiels erhalten die Studierenden zur jeweils ersten Sitzung einer jeden Arbeitsgruppe bzw. Konferenz Unterlagen mit einem Vorschlag für die Tagesordnung und einer Anlage mit editierbaren Dokumentenvorlagen, die zur Strukturierung von Lehr-Lernideen oder fachlichen Analysen herangezogen werden können. Fachwissenschaftliche, pädagogische, didaktische, rechtliche, schulorganisatorische und unterrichtspraktische Expertise wird über eine digitale Lehrer*innenbibliothek bereitgestellt. Auch (digitale wie analoge) Exkursionen, (Mikro?)Fortbildungen und Austauschtreffen mit Expert*innen und sonstigen schulrelevanten Akteur*innen inner- und außerhalb der Universität lassen sich mit den im Planspiel angestoßenen Interessen und Abläufen gut verbinden. Typische Probleme und mögliche Stolpersteine aus dem Schulalltag werden über Animationsvideos und elektronische Nachrichten (fiktiver) Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen induziert. Das umfangreiche Materialangebot, das wir dank der Förderung aus dem Programm zur Digitalisierung an den Hochschulen des Landes Rheinland-Pfalz entwickeln konnten, wird in den nächsten Monaten mit einer Handreichung für Dozierende versehen und als freie Bildungsmaterialien (OER) publiziert. Die Einbindung in OER-Repositorien und etablierte Lernplattform wie OpenOLAT, Stud.IP und Moodle wird geprüft.

Den Einsatz der Planspiele in anderen Fächern, den Bildungswissenschaften und eine Übertragung auf andere Hochschulstandorte sowie in adaptierter Form auch in die dritte Phase der Lehrer*innenbildung (Referendariat/Vorbereitungsdienst) begrüßen und verfolgen wir ausdrücklich, sodass im Idealfall künftige Lehrkräfte aller Fächer sich wenigstens einmal im Laufe ihrer Ausbildung mit für ihre Profession zentralen Fragen von Demokratie, Gesellschaft, dem konkreten schulischen Miteinander sowie geeigneten pädagogisch-didaktischen Antworten auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen auseinandersetzen.

Die Materialsammlung wird derweil weiter ausgebaut, mit einer Handreichung für Dozierende versehen und voraussichtlich noch im Laufe des Jahres 2023 kostenfrei publiziert. Die Einbindung in OER-Repositorien und ausgewählte Lernplattformen wird zurzeit vorbereitet.

Über den Fortgang im Projekt „Planspielarrangements für unterrichtsübergreifende Kernkompetenzen“ (PauKer) und die Bereitstellung der Lernarrangements wird auf der Projektwebsite informiert. Dort kann man sich bereits jetzt für einen kostenlosen, anlassbezogenen Newsletter registrieren.

 

 

Über die Autoren:

Matthias Busch ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Trier. Er hat die Leitung des Projekts „PauKer“ inne.

Michell Dittgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich „Didaktik der Gesellschaftswissenschaften“ der Universität Trier. Er ist zurzeit insbesondere für das Projekt „PauKer“ zuständig und hat die Planspiele in seinen Seminaren und Übungen bereits mehrmals eingesetzt.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2023 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Lena Partzsch für ihr Lehrprojekt „Stockholm+50: Fünf Jahrzehnte globaler Umweltpolitik“ im Sommersemester 2022 an der Freien Universität Berlin verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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