Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Armaments and International Relations

Autor: Lucas F. Hellemeier

Die öffentliche Diskussion seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine verdeutlicht eine Leerstelle in der deutschen akademischen Landschaft im Bereich der wissenschaftlichen Befassung mit Fragen des Krieges sowie der Kriegsführung. Die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung leistet wichtige Beiträge, so zum Beispiel zur viel besprochenen Verhandlungsthematik. Allerdings fehlt hier eine Befassung mit den materiellen Grundlagen der Kriegsführung sowie mit dem Verhältnis zwischen Kriegstaktik und politischer Strategie. An der Universität Potsdam gibt es einen expliziten „War Studies“ Studiengang, welcher jedoch eher geschichtswissenschaftlich orientiert ist. Das von mir konzipierte Seminar kann die Leerstelle im militärpolitischen Diskurs nicht füllen, leistet jedoch einen Beitrag zu einem besseren Verständnis des Krieges und der Rolle von Waffen in der internationalen Politik. Das ist über den Krieg in der Ukraine hinaus notwendig, da die Bundesrepublik seit Jahrzehnten zu den weltweit größten Rüstungsexporteuren gehört. Dabei orientierte ich mich vor allem an dem „Summer Workshop on the Analysis of Military Operations and Strategy“, der von Columbia und Cornell University angeboten wird und an dem ich im Sommer 2021 teilnehmen konnte.

Um den Studierenden ein besseres Verständnis des politisch-ökonomischen Prozesses der Rüstungsbeschaffung zu vermitteln, schlug ich zu Beginn des Seminars eine besondere Praxissitzung zum Thema Rüstungsbeschaffung vor. Hierfür würde ich eine Vertreterin eines Rüstungsunternehmens (Karla Kuss, MBDA Deutschland) sowie einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten (Fritz Felgentreu, SPD), der sich über zwei Legislaturperioden im Verteidigungsausschuss mit der Thematik beschäftigte, einladen. Bei der Einladung zu dieser Praxissitzung wurde explizit auf Geschlechterparität geachtet. Die Studierenden konnten anonym über die Durchführung dieser Sitzung abstimmen und entschieden sich mit überwiegender Mehrheit dafür. Mithilfe anschaulicher Texte zu dieser ansonsten recht technischen Thematik konnten sich die Studierenden gut auf die Sitzung vorbereiten. Nach den Eingangsstatements der Gäste hatten die Studierenden Zeit und Raum, ihre Fragen zu stellen. So konnten auch kontroverse Themen wie Rüstungsexporte oder komplexe Themen wie Rüstungskooperation ausführlich besprochen werden. Aus den Reaktionen der Studierenden wurde deutlich, dass die Praxissitzung sehr geschätzt wurde. Beide Gäste empfanden die Diskussion als sehr aufschlussreich. Daher werde ich auch bei zukünftigen Lehrveranstaltungen solche Praxissitzungen in den Lehrplan einfügen.

Im ersten Teil des Seminars verschafften sich die Teilnehmenden einen Überblick über grundlegende IB-Texte mit dem Fokus auf der Rolle von Rüstung und Militärtechnologie für die Schlussfolgerungen der verschiedenen Denkschulen. Der zweite Teil beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen Rüstungsdynamiken und Krisenstabilität. Dabei verglichen wir die Abschreckungstheorie mit dem Spiralmodell unter Bezugnahme auf die „offense-defense theory“. Dieser Teil schloss mit der Analyse der Rolle von Militärtechnologie in konventioneller Kriegsführung und in der Nuklearstrategie verschiedener Staaten. Im Seminarplan waren neben Literaturangaben weitere Medienformate wie TV-Dokumentationen und Vorlesungen auf YouTube integriert. Das ermöglichte einen didaktisch abwechslungsreichen sowie niedrigschwelligen Zugang zum Thema. Die Studierenden erarbeiteten in Gruppenarbeit kurze Analysen anhand empirischen Materials aus dem Krieg in der Ukraine. Des Weiteren schrieben sie Politikempfehlungen zur iranischen Nukleardebatte aus verschiedenen Perspektiven. Der letzte Teil des Seminars beschäftigte sich mit der politischen Ökonomie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dabei analysierten wir wie zeitgenössische rüstungspolitische Phänomene wie Globalisierung, Rüstungshandel, zunehmende technologische Komplexität und vor allem Krieg, diese Prozesse beeinflussen.

 

 

Über den Autor:

Lucas F. Hellemeier forscht als Ph.D. Student am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität zur Globalisierung der Rüstungsindustrie. In seiner Dissertation befasst er sich mit europäischen rüstungspolitischen Entscheidungen unter den Bedingungen US-amerikanischer Dominanz im Rüstungsbereich.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2023 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Lena Partzsch für ihr Lehrprojekt „Stockholm+50: Fünf Jahrzehnte globaler Umweltpolitik“ im Sommersemester 2022 an der Freien Universität Berlin verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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