Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Wie rassistisch ist die Politische Theorie?

Autor*innen: Evein Obulor und Matthias Heil

 

Das Seminar Wie rassistisch ist die Politische Theorie? sollte diesen Impuls aufgreifen und dabei einen blinden Fleck der deutschsprachigen Politischen Theorie zumindest für zukünftige Politolog*innen verkleinern, indem es abseits der teilweise recht polemisch geführten öffentlichen Debatten einen (selbst)kritischen Blick darauf richtete, wie auch die eigene Disziplin rassistische Ausschlüsse (re-)produziert. Im Seminar wurden deshalb etwa epistemischer Rassismus und Rassismus im akademischen System sowie die Kanonisierungspraxis der Politischen Theorie diskutiert. Statt sich nur der in den Feuilletons beliebten Frage “War x ein Rassist?” zu widmen, sollten Möglichkeiten des differenzierten und reflektierten Umgangs mit Rassismus in Texten vorgestellt und erarbeitet werden. Dafür trat anhand von Sekundärtexten zu aus der Einführungsveranstaltung bekannten Theoretikern (Aristoteles, Locke, Kant, Rawls) eine Auseinandersetzung damit, wie andere Autor*innen mit entsprechenden Werken umgehen. Die Studierenden lernten so nicht nur eine neue Perspektive auf bekannte Theorien kennen, sondern bekamen auch Werkzeuge für eine Kernaufgabe der Politischen Theorie, den kritischen Umgang mit Texten, an die Hand.

Ablauf

Das Seminar bestand aus vier einführenden Sitzungen (zwei davon als Workshops), sieben Feedback-Sitzungen und zwei abschließenden Sitzungen. Im von Evein Obulor durchgeführten Workshop, der sich mit Rassismus und Sprache beschäftigte, wurden Grundlagen für den rassismussensiblen Umgang miteinander und für die Reflexion der eigenen Involviertheit im Themengebiet Rassismus besprochen. E. Obulor stand auch das ganze Semester über als Ansprechpartnerin für insbesondere Studierende of Color und Schwarze Studierende bereit, um einen sicheren Raum für Kritik und Vernetzung zu schaffen. Der zweite Workshop, durchgeführt von Danilo Gajic und Lisa Gleis, führte allgemein in die Frage „Wie umgehen mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in klassischen Werken der Philosophie?” ein. Er stellte interaktiv und praxisbezogen einige Techniken und Ansätze zum Umgang mit als problematisch empfundenen Textstellen an.

Als Vorbereitung für die Feedback-Sitzung lasen die Studierenden jeweils vorab bereitgestellte Texte. Der ausführliche Seminarleitfaden enthielt zur Unterstützung der Lektüre jeweils einige Leitfragen, Hinweise zu weiterführender Literatur und Vorschläge für mögliche Hausarbeitsthemen.

Auf Grundlage der Texte verfassten die Teilnehmer*innen Essays oder Exposés für ihre geplanten Hausarbeiten. Diese Texte wurden von den Kommiliton*innen gelesen und diskutiert und die Autor*innen erhielten in einem strukturierten Verfahren mit verteilten Aufgaben (die als mündliche Prüfungsleistung zählten) Lob, weiterführende Anregungen und Hinweise, was nicht nur als Wertschätzung für die eigene Arbeit wahrgenommen wurde, sondern auch die Qualität der Hausarbeiten spürbar steigerte. Die Möglichkeit, selbst Feedback zu geben, versetzte die Studierenden ebenfalls in eine neue Rolle: Ihre Meinung konnte nun zur Verbesserung der Hausarbeiten von Kommiliton*innen beitragen und wurde von diesen auch dankbar aufgenommen. Die vertiefte Beschäftigung mit den Texten anderer trug zudem zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, was einen guten politisch-theoretischen Text ausmacht, bei. Zusätzlich unterstützen die Diskussionen über die und anhand der Essays auch ein tieferes Verständnis der durchaus anspruchsvollen Seminartexte, sodass auf hohem Niveau diskutiert wurde. Das Format war auch ein Ergebnis der dem Seminar vorangegangen gemeinsamen Reflexion darüber, was es bedeutet, als weißer Dozent mit Studierenden über Rassismus zu sprechen. Das Ziel war auch, die klassische Seminarstruktur aufzubrechen und den weißen Dozierenden so zu dezentrieren.

Auf diese Weise wurde die rassismuskritische Arbeit zum gemeinsamen Projekt, in dem auch die Rolle des Lehrenden und seine Deutungshoheit hinterfragt werden konnte. Durch das kontinuierliche Einholen von Feedback während des Semesters und in speziell dafür vorgesehenen Reflexionssitzungen am Ende des Semesters wurde der Seminarablauf selbst zum Gegenstand des Austauschs unter und mit den Studierenden, um dem Anspruch des konstruktiven Umgangs mit Feedback auch selbst gerecht zu werden. Zum Abschluss des Kurses wurde dann auch die Frage besprochen, welche Konsequenzen sich für politisch-theoretisches Lehren, Lernen und Schreiben an der Universität ergeben – eine unserer Ansicht nach fruchtbare und notwendige Diskussion.

Anhang: Leitfaden

 

Über die Autor*innen

Evein Obulorist eine Schwarze Frau, Antidiskriminierungsbeauftragte mit Schwerpunkt Rassismus bei Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg und war in vielen zivilgesellschaftlichen antirassistischen Organisationen aktiv.

Matthias Heilist ein weißer wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg, wo er zum Thema „Schule und Revolution“ promoviert.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“

Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2021 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der erste Lehrpreis Politikwissenschaft wurde an Sebastian Möller für sein Forschungsseminar „Schlüssel zur Welt: Die Bremischen Häfen in der Globalen Politischen Ökonomie“ im Sommersemester 2020 an der Universität Bremen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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