Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Kompetenzen aktiv fördern und rückmelden

Kursvorbereitung: kompetenzorientierte Ausgestaltung der Lehr-/Lernziele:

Erstes Ziel des Projekts „Kompetenzen aktiv fördern und rückmelden“ ist die konsequent kompetenzorientierte Ausgestaltung der Lehre im Modul. Dem hochschuldidaktischen Prinzip des Constructive Alignment folgend wurde daher in der Neukonzeption des Moduls Statistik I die Kursvorbereitung rückwärts ausgerollt: Basierend auf einer Analyse hochschuldidaktischer und fachdidaktischer Literatur wurden zunächst vier übergeordnete Gesamtlehrziele und drei relevante Kompetenzdimensionen identifiziert. Im nächsten Schritt wurden die entwickelten Lehrziele in beispielhafte Operationalisierungen überführt, um damit die Kursprüfung vorzubereiten. Erst danach erfolgte die Planung der einzelnen Lehrveranstaltungen.

Am Anfang der Planung einer einzelnen Lehrwoche stand immer die Festlegung eines einzigen Kernlehrziels für die Woche. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass neben der Lehre in der Vorlesung auch in den Tutorien wichtige Lehre geleistet wird, wurde die Ausdifferenzierung des Kernlehrziels in Unterziele und die Auswahl dazu relevanter Fachinhalte in jeder Woche jeweils gemeinsam mit einer Tutorin/einem Tutor vorgenommen. Damit hatte jede Woche eine*n neue*n Expert*in für die didaktische Konzeption der Woche. Diese Person hat dann in der wöchentlichen Teamsitzung die anderen Tutorinnen und Tutoren in die Überlegungen eingeführt. Die für die Woche relevanten Übungsaufgaben wurden dann im Lichte der didaktischen Konzeption der Lehrziele gemeinsam im Team entwickelt.

Kernlehrziel und Unterlehrziele wurden auch den Studierenden transparent gemacht, damit diese die Lehre in ihrer Konzeption nachvollziehen und sich selbst darin besser reflektieren konnten. Auf diese Weise ergab sich eine Lehre im Modul Statistik I, die konsequent an den Lehrzielen und ihrer Systematik ausgerichtet war. Alle beteiligten Akteur*innen waren jederzeit eingebunden, die hauptsächlichen Lehrangebote (Videoaufzeichnungen als Vorlesungsersatz, Übungsaufgaben für das Selbststudium, Tutorien als synchrone Videokonferenzen) waren streng an den Zielen ausgerichtet.

Kursdurchführung: Aktivierung der Lernenden in der Erreichung der Lernziele

Um gesetzte Lehrziele adäquat erreichen zu können, legen Hochschuldidaktik und pädagogische Psychologie (kognitive) Aktivierung der Studierenden möglichst im gesamten Lehr-/Lernprozess als eines der wichtigsten Mittel nahe. Das Modul Statistik I bestand zuvor aber aus einer frontal gehaltenen Vorlesung, Übungszetteln als PDF und Tutorien, die sich mit der Vorführung der Musterlösungen begnügten. Daraus entstand eine Kultur der Passivität, in der viele Studierende sich nicht selbst mit den Inhalten befasst haben und andere Studierende durch fehlende Hilfe schon bei geringen Problemen aufgaben.

Das zweite Ziel des hier vorgeschlagenen Projekts war daher die umfassende Umgestaltung der Lehrpraxis hin zu einer Förderung von kognitiv aktivem Lernen der Studierenden. Das Setting von über 700 Studierenden im Kurs mit Vorlesung sowie Tutorium als Kernveranstaltungen war dabei aber nicht zu ändern, schon gar nicht kurzfristig. An der Arbeit zu diesem Ziel war aber bereits seit dem Vorjahr gearbeitet worden. Als ein Ursprung der Passivität der Studierenden wurde der Mangel an Hilfsangeboten identifiziert, sodass Studierende insbesondere im Selbststudium sehr alleingelassen waren. Wünschenswert wäre, wenn Studierende in dem Moment, in dem sie in ihrem Lernprozess ins Stocken geraten, Zugriff auf Hilfsangebote hätten. Begrenzte Ressourcen machen eine individuelle persönliche Betreuung aber natürlich unmöglich.

In Kooperation mit einem Kollegen aus der Wirtschaftsinformatik entstand daher 2018 die Idee, dieser Situation mit der Entwicklung eines digitalen Tutors Abhilfe zu schaffen. Die technische Entwicklung der letzten Jahre macht es mittlerweile möglich, dass technische Systeme textliche fachliche Fragen von Studierenden verstehen und entsprechend beantworten können. Eine Prototypversion dieses KI-gestützten Chatbots wurde bereits im Sommersemester 2019 erstmals in der Statistik I eingesetzt. Studierende konnten darin fachliche und organisatorische Fragen zum Modul vergleichbar mit bekannten Messaging-Apps zeit- und ortsabhängig stellen und bekommen unmittelbar eine Antwort. Um diesen Chatbot zu einem umfänglichen digitalen Tutor auszubauen, wurden auch die Bereitstellung von Materialien und der Übungsaufgaben in das System integriert. Innerhalb des Projektes wurde der digitale Tutor erstmals mit all seinen Funktionalitäten eingesetzt. Dazu gehören: das Chatten, die Bereitstellung von Unterlagen, ein Audience Response System, die Quizfunktionalität für die Übungsaufgaben, ein Videoplayer für Vorlesungsvideos, zwei „Quiz des Tages“ und ein Hörsaal-Jeopardy.

Jede dieser Komponenten hat auf ihre eigene Weise zur Aktivierung der Studierenden beigetragen. Das Chatten beantwortete Fragen vor allem im Selbststudium und erleichterte dies dadurch. Das Audience Response System wurde in jedem Tutorium genutzt, um von den Studierenden aktive Beteiligung oder auch Rückmeldungen zu bekommen. Die Quizfunktionalität ermöglichte das Aufspalten der Übungen in übersichtlichere Häppchen und ein direktes Feedback durch das System. Der Videoplayer ermöglichte die Arbeit mit den Lehrinhalten on Demand und bot die Möglichkeit, zu pausieren, zurück zu spulen oder das Abspieltempo zu reduzieren (was alles umfänglich genutzt wurde). Die zwei Quiz des Tages motivierten zu einer regelmäßigen Interaktion mit dem Lerngegenstand. Da auch alle notwendigen Materialien über den digitalen Tutor zur Verfügung gestellt werden konnten, ist er als All-in-One-Lösung mit sprachlicher Kommunikation zu einem echten Partner im Lernen für die Studierenden geworden.

Neben der starken technischen Komponente in der Aktivierung der Studierenden ergänzten andere Bausteine das Gesamtkonzept. In den synchronen Tutorien wurden beispielsweise über Gruppenarbeiten, Think-Pair-Share und weitere didaktische Konzepte alle Studierenden aktiv eingebunden. Da durch fehlende persönliche Begegnungen die Möglichkeiten für niederschwellige Nachfragen (etwa nach Ende einer Vorlesung) genommen waren, wurde eine Schnellfragesprechstunde angeboten. Dort waren Tutorinnen und Tutoren einen Nachmittag in der Woche in einer Videokonferenz erreichbar, um bei Problemen zu helfen, die den Chatbot noch überforderten.

Reflexion der Lehre: Kontrolle der Zielerreichung und kontinuierliche Reflexion der Lehre

Neben der kognitiven Aktivierung ist Feedback für Studierende eine weitere wichtige Unterstützung zur Erreichung der Lehrziele. Das dritte Ziel des Projekts war daher Studierenden Feedback zu geben, aber auch als Lehrende und Projektverantwortliche ständig Rückmeldungen zu bekommen und zur Reflexion zu nutzen. Der oben beschriebene digitale Tutor ermöglichte dabei als technisches System eine Umsetzung von individuellem Feedback auch für über 700 Personen im Kurs. Alle Interaktionen mit dem digitalen Tutor werden (schon für den reibungslosen Betrieb des Systems) pseudonymisiert gespeichert. Das wissenschaftliche Feld Learning Analytics bietet hier Ansätze, solcherlei Daten für die Lehre wie auch für die Erforschung von Lehre nutzbar zu machen.

Unter dem Motto „Studierenden Zugang zu ihren eigenen Daten ermöglichen“ wurden die Systemdaten in einem dafür konzipierten Dashboard aufbereitet und den Studierenden als eigene Komponente im digitalen Tutor zur Verfügung gestellt. Studierende konnten darüber Rückmeldungen über ihren eigenen Lernerfolg, ihre Lerngeschwindigkeit und auch über Vergleichswerte aus dem Kurs bekommen. Um Studierende aufzufangen, die nach diesen Informationen nicht wissen, wie sie ihr Lernverhalten günstig ändern können, wurden Learning Analytics-Sprechstunden eingerichtet. Dort wurden Studierende zu Metaaspekten des Lernens beraten. Dieselben Daten aggregiert über alle Studierenden wurden außerdem genutzt, um in wöchentlichen Zyklen den momentanen Verlauf der Lehre zu evaluieren. Wöchentlich hat eine Tutorin oder ein Tutor die Daten analysiert und in der Teambesprechung vorgeschlagen, wie die nächste Lehre auf den momentanen Stand der Studierenden adaptiv eingehen kann. Die Nutzung von Learning Analytics hat damit nicht nur individuelles Feedback für über 700 Studierende ermöglicht, sondern auch dem Team regelmäßig Rückmeldung gegeben und geholfen, das Projekt kontinuierlich zu evaluieren.

 

Über den Autor

Florian Berens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen, lehrt dort quantitative Methoden der Sozialwissenschaften und forscht im Bereich Social Data Science und Survey-Methoden.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“

Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2021 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der erste Lehrpreis Politikwissenschaft wurde an Sebastian Möller für sein Forschungsseminar „Schlüssel zur Welt: Die Bremischen Häfen in der Globalen Politischen Ökonomie“ im Sommersemester 2020 an der Universität Bremen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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