Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Skizze zur Übung: Klasse – Rasse – Masse: Lebt die Demokratie vom Ausschluss?

Black lives matter. Die Tatsache, dass wir diesen eigentlich selbstverständlichen Satz noch immer laut sagen müssen, spricht Bände. Sie weist uns darauf hin, dass wir bestimmte gesellschaftliche Ausschlusskriterien noch immer nicht überwunden haben. Zwei davon – Class und Race – wurden im Kontext der Übung „Klasse – Rasse – Masse: Lebt die Demokratie vom Ausschluss?“ beleuchtet.

Dabei näherten wir uns dem Gegenstand des Seminars zunächst auf theoretischer Basis, indem Texte gelesen wurden, die ein Basiswissen darüber vermitteln, was Rassismus und Klassismus eigentlich sind, was die Phänomene ausmacht, woran man sie erkennt, wie sie sich in ihren Erscheinungsformen historisch entwickelt haben und welche definitorischen Schwierigkeiten mit den Begriffen einhergehen. Auch wurde mit einem Text von Balibar und Wallenstein ein Gespür für den Zusammenhang von Klassismus und Rassismus geschaffen, um das Konzept der Intersektionalität vorzustellen und in die Diskussion einzubringen. In einem zweiten Schritt schufen wir eine ideengeschichtliche Basis, indem einschlägige Texte der Klassiker – von Locke, Kant und Tocqueville – gelesen und hinsichtlich Rassismus und Klassismus hinterfragt wurden. Anlässlich der Aktualität des Themas war es wohlmöglich nie wichtiger, die etablierten Denker*innen der politischen Theorie kritisch zu hinterfragen und ihre Positionen zumindest neu auszuleuchten, wenn nicht neu zu bewerten. Der dritte Teil des Seminars widmete sich praxisorientierten und aktuellen Beispielen. Dabei standen Themen wie Racial Profiling, die Verbindung von Sprache und Rassismus/Klassismus (speziell am Beispiel der Diskussion um den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz), die Black-Lives-Matter-Bewegung oder Klassismus und Rassismus im Alltag im Fokus. Durch die Auseinandersetzung mit Tupoka Ogettes Bestseller „Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen“ und einigen Songs der Black-Lives-Matter Bewegung endete unser Seminar schließlich mit der Frage danach, welche Abhilfemechanismen gegen (strukturellen) Rassismus und Klassismus existieren und wie Rassismus in einem populärwissenschaftlichen oder gesamtgesellschaftlichen Kontext behandelt und aufgearbeitet wird. Auch hier stand die Frage danach, wie wir die einzelnen Lösungsvorschläge bewerten, im Vordergrund. Hierbei wurde beispielsweise die Frage nach der Verantwortlichkeit von Individuen und politischen Institutionen oder auch die Rolle der politischen Bildung thematisiert. In der Abschlussdiskussion stellten wir unsere Erkenntnisse schließlich in einen größeren Zusammenhang, um aufzugreifen, wonach schon der Titel der Veranstaltung fragt und was auch in einigen Textauszügen, zum Beispiel bei Tocqueville, behandelt wurde: Lebt die Demokratie als System der Gleichheit denn nun eigentlich vom Ausschluss? Auf inhaltlicher Ebene hat die Übung also angestrebt, einen möglichst breiten Zugang mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten zu gewährleisten, um zu verdeutlichen, wie präsent die Diskussion um Rassismus und Klassismus in den unterschiedlichsten Bereichen der Politikwissenschaft, aber auch der Gesellschaft an sich ist. Unsere Diskussionen wurden dabei ständig durch aktuelle Ereignisse befeuert. Als Beispiel sei hier die Debatte genannt, die entflammte, als die Verwendung von rassistischen Begriffen im WDR-Talkshowformat „die letzte Instanz“ von vier weißen Gästen verharmlost wurde.

 

Dieser möglichst vielseitige Zugang spiegelte sich aber nicht nur in den Inhalten, sondern auch in der methodischen Konzeption der Übung wider. So hat sich der Kurs durchaus „klassischer“ Herangehensweisen bedient, indem ideengeschichtliche Textauszüge oder Einführungstexte zum Thema Rassismus und Klassismus gelesen wurden. Um noch einmal, auch auf methodischer Ebene, zu verdeutlichen, in wie vielen Bereichen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens das Thema des Kurses präsent ist, aber auch um ein möglichst abwechslungsreiches, ansprechendes Programm für die Studierenden zu gestalten und den Zeitgeist aufzugreifen, sind darüber hinaus auch andere Formate gewählt worden. So haben wir uns im Kontext des Racial Profilings beispielsweise mit einem Theaterstück, das auf einem wahren Fall basiert, befasst, haben Podcasts, etwa zum Thema Rassismus in den USA und Auszüge aus einem Hörbuch gehört, über den Blindcast einer Netflix-Serie gesprochen und Songtexte und Musikvideos der Black-Lives-Matter-Bewegung analysiert. Auch journalistische Texte und Beiträge in den sozialen Netzwerken fanden als „Zusatzlektüre“ den Weg in unsere Diskussion. Das Seminar hat hier angestrebt, zeitgenössische Informationsquellen miteinfließen zu lassen und dabei eine kritische Lektüre vorzunehmen, die sich nicht nur auf die Inhalte, sondern auch auf die Quellen bezieht.

Neben den klassischen Referaten mit Handout und optionaler PowerPoint-Präsentation sollten die Studierenden gelegentlich einige „Recherche-Aufgaben“ erledigen, um zusätzlichen Input für unsere Diskussionen beizusteuern. Diese sollten sie teils allein, teils in kleineren Gruppen bearbeiten. Hierbei stand neben der inhaltlichen Bereicherung im Vordergrund, den Studierenden trotz der Corona-Situation eine Vernetzung untereinander zu ermöglichen und den Raum für weiterführende Diskussionen, auch außerhalb des Kurses, zur Verfügung zu stellen. Die Veranstaltung fand aufgrund der Corona-Pandemie digital (via Zoom und der Online-Lernplattform GRIPS) statt und wurde von Bachelorstudierenden, die sich am Ende ihres Studiums befinden und Masterstudierenden der Politikwissenschaft und Demokratiewissenschaft belegt. Vereinzelt nahmen auch Studierende aus anderen Fachbereichen teil, was auch seitens der Kursteilnehmer*innen einen multiperspektivischen Zugang gewährte. Die Abschlussleistung erfolgte via Anfertigung eines Essays, das sich kritisch mit einem inhaltlichen Schwerpunkt des Kurses auseinandersetzen sollte.

Aufgrund der hohen Nachfrage zu Beginn des Semesters (43 Anmeldungen bei maximal 20 Plätzen), wurde die Übung zwei Mal angeboten. Das breite Interesse der Studierenden verdeutlicht einmal mehr die Wichtigkeit des Themas für die politikwissenschaftliche Hochschullehre. In beiden Kursen, die inhaltlich identisch aufgebaut waren, fanden außerordentlich rege und bereichernde Diskussionen statt. Im mündlichen Feedback-Gespräch in der letzten Sitzung, aber auch im anonymen Evaluationsbogen haben die Studierenden betont, für wie wichtig auch sie das Thema der Lehrveranstaltung im Rahmen ihres Studiums halten. Auch sind neben den fachlichen Weiterentwicklungen persönliche Weiterentwicklungen angesprochen worden. Nicht zuletzt sei an dieser Stelle erwähnt, dass außerdem hervorgehoben wurde, dass ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der Politischen Philosophie und Ideengeschichte innerhalb des Politikwissenschaftsstudiums stattgefunden habe. Keine graue Theorie, kein Schnee von gestern, sondern vielmehr der Nährboden für unsere heutigen Ideen, unsere Ansichten, Konzepte, Überzeugen und Wissenschaftstheorien sei dieser Fachbereich, der heute oft Rationalisierungsüberlegungen zum Opfer fällt.

Die Frage nach der Verantwortung von Wissenschaft ist oft gestellt worden. Wenn speziell die Politikwissenschaft eine gesellschaftliche Verantwortung hat, dann kann und sollte sie diese auch über die Wahl der Themen in der Hochschullehre wahrnehmen. Sich den Debatten, Meinungen und Vorkommnissen in Bezug auf Rassismus zu entziehen, war in den letzten Monaten unmöglich. Sich der wissenschaftlichen Analyse von Klassismus und Rassismus in der Ideengeschichte, im Zeitgeschehen und in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht zu stellen, wäre ignorant. Im Vergleich zu anderen Ländern, etwa der angloamerikanischen Hochschullehre, herrscht hier deutlicher Nachholbedarf.

Anhang: Seminarplan

 

Über die Autorin

Sarah Rebecca Strömel M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Regensburg und forscht schwerpunktmäßig zum Individualismus und der Demokratie bei Tocqueville.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“

Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2021 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der erste Lehrpreis Politikwissenschaft wurde an Sebastian Möller für sein Forschungsseminar „Schlüssel zur Welt: Die Bremischen Häfen in der Globalen Politischen Ökonomie“ im Sommersemester 2020 an der Universität Bremen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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