Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Ein Lied von Krieg und Frieden: Simulationsgestütztes Lernen der Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) mithilfe der Fantasyserie Game of Thrones

Wie können die Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) für Studierende verständlich erklärt und praxistauglich veranschaulicht werden? Diese Frage versuchten wir in einem eigens initiierten Lehrprojekt zu beantworten, dass die unterschiedlichen Theorien der IB in Verbindung mit der Fantasyserie „Game of Thrones“ verband. Übergreifendes Ziel des vom Referat Qualität in Studium und Lehre (RefQSL) der TU Kaiserslautern geförderten Lehrprojektes war es, Innovationspotenziale und Verständniserfordernisse in der universitären Lehre mit dem Lerngegenstand „Theorien der IB“ studierendennah und empirisch fundiert zu ermitteln. Praktisch wurde die Idee im Sommersemester 2020 in der Lehrveranstaltung „Ein Lied von Krieg und Frieden: Simulationsgestütztes Lernen der Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) mithilfe der Fantasyserie Game of Thrones“ umgesetzt. Die Lehrveranstaltung verknüpfte nicht nur die Theorien der IB mit einzelnen Sequenzen aus der erfolgreichen TV-Serie, sondern setzte mit der Konzeption einer die gesamte Lehrveranstaltung strukturierenden Simulation von „Game of Thrones“ didaktisch sowie methodisch neue Maßstäbe im Bereich der Didaktik der IB. Zu den Teilnehmer*innen des Proseminars gehörten insgesamt 13 Studierende, die sich aus den Studiengängen Lehramt Sozialkunde, Integrative Sozialwissenschaften und dem Orientierungsstudium der TU Kaiserslautern, „TUK Zero“, zusammensetzten.

Die staffelübergreifenden gewaltsamen Konflikte unter den Häusern des Kontinents Westeros laden förmlich zu unterschiedlichen politikwissenschaftlichen Erklärungsangeboten von Krieg und Frieden und simulationsgestützter Konzeptionen ein. Die Theorien der IB begegnen Studierenden im außenpolitischen Denken dabei täglich oftmals unbewusst, wobei die klassische didaktische Einführung in die Theorien durch eine lektürebasierte Kontextualisierung an exemplarischen Fallbeispielen nur statische Kenntnisse über die IB-Theorien provoziert (vgl. Sears 2018: 232). Bestandteil des Lehrprojektes war daher eine Umfrage im Pretest-Posttest-Design, die bereits vor der Lehrveranstaltung theoretische Verständnisschwierigkeiten bei den Studierenden ermittelte und eine gezielte Ausrichtung des Seminars ermöglichte. Lernpotential bestand demnach vor allem bei der liberalen Außenpolitiktheorie und sozialkonstruktivistischen Zugängen der Internationalen Beziehungen.

Abbildung 1: Selbstevaluation der Studierenden vor und nach der Simulation auf einer Skala von 1 bis 5 (n=13; 1: sehr wenig Wissen; 5 sehr viel Wissen)

 

Der Posttest bei den Studierenden ergab, dass das Verständnis beider Theorien signifikant verbessert und Wissenslücken geschlossen werden konnten. Während der Mittelwert beider Theorien auf einer Skala zur Einstufung des Wissens von -2 (sehr schwach) bis +2 (sehr stark) vor Beginn des Seminars teils noch deutlich im negativen Bereich lag, verbesserte sich dieser bei beiden Theorien auf einen Wert von 0,67. Auch wenn das Pretest-Posttest-Design im Rahmen der Lehrveranstaltung keine eindeutigen Aussagen zur Kausalität des Proseminares erlaubt (dafür hätte diese mit Werten aus einem regulären Proseminar verglichen werden müssen), deuten die schriftlichen Anmerkungen der Studierenden darauf hin, dass für den Wissenszuwachs der Studierenden vor allem die entlang der Fantasyserie „Game of Thrones“ konzipierte Lehrveranstaltung verantwortlich war. So berichtet ein Studierender, dass es ihn überrascht hat, „dass man Internationale Beziehungen und die Theorien [der Internationalen Beziehungen] so gut mit Game of Thrones verbinden kann“ und ein weiterer schreibt, dass ihm durch das Seminar und die Simulation von Game of Thrones „Konstruktivismus und auch die liberale Theorie […] viel zugänglicher geworden“ sind.

Begleitet wurde die Simulation zusätzlich mit Ausschnitten aus der Serie, die Ereignisse aus der Geschichte von „Game of Thrones“ zeigten und exemplarisch die theoretischen Grundkonzepte und normativen Bezügen widerspiegelten. Die Besprechung und Diskussion der Ereignisse im Plenum des Seminars ermöglichte den Studierenden zudem nicht nur eine tiefergehende Reflektion der Serie, sondern auch die praktische Übertragung theoretischer Konzeptionen der internationalen Politik an popkulturellen Phänomenen. Die Konzeption der Lehrveranstaltung knüpfte damit an neueste Forschungsergebnisse an, die zeigen, dass der Einsatz von Populärliteratur und –filmen motivationale Aspekte unter Studierenden fördern und durch die entstehenden aktiven Aneignungsprozesse erworbenes Wissen besser behalten werden kann (vgl. dazu Lobasz/Valeriano 2016). So berichtet einer der Studierenden in der abschließenden Lehrevaluation, dass der Grundgedanke des Seminars nicht nur „sehr schön“ war, sondern „auch besonders hilfreich“, da an den Videosequenzen der Serie „die Theorien sehr schön greifbar wurden und auch zugänglicher“. „Der popkulturelle Einstieg macht es flüssiger“, so der Studierende in seinem abschließenden Fazit und auch ein zweiter Studierender schreibt, dass das zusätzliche „Anschauen von passenden Videoausschnitten“ sehr geholfen hat.

Die Simulation von „Game of Thrones“ hat zugleich ein besonderes Augenmerk auf genderbezogene Subjektivierungsprozesse gerichtet. Zahlreiche Studien belegen, dass gerade Frauen trotz gestiegener Sichtbarkeit in Politik und Wirtschaft immer noch dazu neigen, traditionellen Geschlechterrollen in der Kommunikation zu folgen (siehe bspw. Wahl-Jorgensen/Ye 2015). Während Männer vor allem einem Konkurrenzdenken unterliegen und dadurch oftmals ein selbstsicheres Auftreten zeigen, orientieren sich Frauen an bestehenden Beziehungs- und Kommunikationsgefügen und bevorzugen eine emotionale Kommunikation. Da in der Serie Protagonist*innen um Cersei Lannister, Daenerys Targaryen und Sansa Stark im Zentrum stehen, konnten wir diverse geschlechterspezifische Konstruktionen des Akteursverhaltens in den IB überprüfen und problematisieren. Die Simulation autonomer politischer Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse, begleitet durch die theoretische Reflektion über Identität und Rollenerwartungen, trugen letztlich dazu bei, dass geschlechtsspezifische Kommunikationsformen reflektiert und die Studierenden traditionelle Rollenerwartungen hinterfragten.

Die SARS-CoV-2-Pandemie sorgte dabei für eine schnelle Digitalisierung des Projekts. So konnten wir eine digitale Version der Simulation entwickeln, die auch „geheime“ Interaktionen zwischen den Studierenden mittels virtueller Lernräume auf der Lernplattform OpenOLAT zuließ.

Anhang: Simulation Set-up

 

Über die Autoren

Dr. Lukas D. Herr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Technischen Universität Kaiserslautern.

Dr. Marcus Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Technischen Universität Kaiserslautern.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“

Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2021 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der erste Lehrpreis Politikwissenschaft wurde an Sebastian Möller für sein Forschungsseminar „Schlüssel zur Welt: Die Bremischen Häfen in der Globalen Politischen Ökonomie“ im Sommersemester 2020 an der Universität Bremen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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