Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Migration und Wege der politischen Partizipation

Autorin: Anke Freuwört

Das Lehrforschungsprojekt „Migration und Wege der politischen Partizipation“ hat im B.A. Studiengang Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen im Sommersemester 2023 stattgefunden. Ziel des Forschungsprojektes war es, den Studierenden die im Studium erworbenen Fach- und Methodenkenntnisse z. B. in der Politikwissenschaft oder der Soziologie in interdisziplinär angelegten Lehrforschungsprojekten zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zu erfassen, fachlich und methodologisch zu reflektieren und problemorientiert und partizipativ in Forschungsgruppen zu bearbeiten.

Die Studierenden, die über insgesamt vier Semester eine fachliche Theorieausbildung absolviert haben, können diese fächerübergreifend zusammen mit ihren Kommiliton*innen in Lehrforschungsprojekten anwenden. Dies gelang unter einem qualitativen Forschungsansatz, der die schwerpunktmäßig quantitative Forschung politikwissenschaftlicher Erhebungen bereichert. Unter besagter qualitativer Analysebrille wurden politische Beteiligungsformate mit einem Bezug zum Forschungsfeld „Migration“ untersucht. Aus den unterschiedlichen fachlichen Hintergründen heraus entstanden Forschungsgruppen, die sich in drei thematische Analyseperspektiven unterteilen lassen und das Seminarthema umfänglich untersuchten:

  • Gesamtgesellschaftliche Vereinigungen: Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Jugendparteien, Diskriminierungsstrukturen in Fridays for Future;
  • Migrationsspezifische Vereinigungen: Beteiligung von Migrant*innen in Integrationsräten, Antirassismusarbeit in Neuen Deutschen Organisationen (NDO), Herkunftssozialisationseffekte auf die politische Wahrnehmung von Migrant*innen;
  • Anlassbezogene Vereinigungen/Phänomene: Wahlverhalten von in Deutschland lebenden Türk*innen zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl 2023, die Folgen von rassistischen Events für die Antirassimusarbeit migrantischer Vereine.

Das wöchentliche Lehrforschungsprojekt fand dreistündig statt und wurde durch eine einstündige Übung begleitet, die ebenfalls zum Modul gehört. Die Forschungszeit der Studierenden neben den Seminarsitzungen war ungleich höher. Der in-class-Unterricht unterschied sich nach den jeweiligen Arbeitsphasen der Studierenden. Die Struktur des Seminars entspricht damit forschungsorientierten Lernmodellen und der damit einhergehenden offenen und bedarfsorientierten Gestaltung der Sitzungen. Die Flexibilität in der Lehre wird auch positiv durch die Studierenden herausgefordert.

Ideen, Bedürfnisse und Forschungsinteressen der Studierenden werden flexibel in die Lehre implementiert. Gleichzeitig verlangt die Selbstgestaltung des Forschungsprozesses den Studierenden eine hohe Organisationskompetenz in der laufenden Vorlesungszeit und Motivation ab.

Zu den vermittelten Inhalten zählte die Setzung des thematischen Rahmens, der Methoden- und Theorieauswahl, dem Feldzugang, der Erstellung von Leitfragen für semi-strukturierte Interviews, dem Abfassen von Interviewnotizen, der Transkription und der Datenauswertung. Die Studierenden haben sich in ihren Forschungsgruppen zu den vermittelten Inhalten und ihrem eigenen Forschungsprozess ausgetauscht und Forschungsschritte geplant.

Die Auswertung der selbst erhobenen Daten wurde in Zusammenarbeit mit Thorsten Pehl von Audiotranskription über die Bereitstellung von Lehrlizenzen für die Programme f4 und f4-Analyse unterstützt.

Das Forschungsexposé

Die Forschungsgruppen sollten ihre Forschungsideen in Form von Forschungsexposés einreichen. Die Studierenden waren dadurch nicht nur angehalten, ihre Forschungsideen frühzeitig schriftlich zu formulieren, sondern diese auch verständlich für Dritte darzulegen. Das Exposé stellt gleichzeitig eine Übung für die sich später anschließende Bachelorarbeit dar.

Für die Forschungsexposés galten spezifische Kriterien: Die Studierenden waren angehalten dem Plenum ihre Forschungsfrage und das gesellschaftliche Phänomen darzulegen, welches untersucht werden sollte. Hierzu wurden erste Forschungsstände rezipiert, theoretische Bezüge hergestellt, der methodisch geplante Aufbau erläutert und erste Fragen für Leitfadengestützte Interviews vorgestellt. Anfang Juni erfolgte die Vorstellung des Forschungsdesigns der Forschungsgruppen. Das Forschungsdesign wurde in kurzen Papieren zur Verfügung gestellt und im Stil eines Forschungskolloquiums mit dem Plenum besprochen. Hinweise zum Forschungsvorgehen wurden gegeben.

Forschungsbegleitung und Darstellung von Ergebnissen

Im anschließenden Kursverlauf haben die Studierenden mehr Raum erhalten, ihre Forschungsprojekte auf Basis der Rückmeldung zu den vorgestellten Forschungsdesigns vorzubereiten, zu planen und diese umzusetzen, sodass ab Juni ein offenes und forschungsgruppenspezifisches Beratungsangebot stattfand. D. h. als Dozentin habe ich die Studierenden in ihren Forschungsprozessen verstärkt beraten und nach dem jeweiligen Projektstand passend Fragen detailliert beantwortet. Der Stand der Forschung der Gruppen und die bis dahin erzielten Forschungsergebnisse wurden zum Ende der Vorlesungszeit präsentiert. Die Präsentation erfolgte mittels selbst angefertigter wissenschaftlicher Poster, die fachlich kommentiert wurden. Die wissenschaftlichen Poster sind digital ausgestellt. Für alle Gruppen schloss sich in der vorlesungsfreien Zeit die Weiterarbeit mit ihren Forschungsgruppen zur Abfassung der finalen Forschungsergebnisse an. Diese wurden als individuelle Forschungsberichte schriftlich dokumentiert.

Veröffentlichung von studentischen Forschungsarbeiten

In kurzer Zeit haben die Studierenden ihre Forschungsergebnisse für ein Fachpublikum verschriftlicht. Die abgefassten Forschungsberichte wurden durch einen Teil der Studierenden zu wissenschaftlichen Sammelbandbeiträgen weiterentwickelt. Hierzu haben die Autor*innen Einblick in die redaktionelle Überarbeitung von Verlagen erhalten, die sowohl die inhaltliche als auch die formale Überarbeitung anhand von Redaktionsvorgaben mittels eines Stylesheets beinhalteten. In mehrfachen redaktionellen Bearbeitungsschleifen entstanden wissenschaftlichen Beiträge, die unter dem Seminaroberthema zusammengestellt wurden. In der SowiPro-Reihe Band 7: Migration und Wege der Politischen Partizipation. Beiträge eines studentischen Lehrforschungsprojekts sind die Forschungsarbeiten der Studierenden im Open Access veröffentlicht.

 

 

 

Über die Autorin:

Die Sozialwissenschaftlerin Anke Freuwört ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen. Ihre interdisziplinäre Promotion zur politischen Teilhabe von Zugewanderten schließt sie an der Universität Kassel ab.

 

 

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2024 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Sandra Destradi für ihr Lehrprojekt „How to Study the International Effects of Populism”, durchgeführt im Sommersemester 2023 an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg,  verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

 

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