Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Digital literacy in der politikwissenschaftlichen Lehre: Die Vermittlung von praxisrelevanten Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Tools

Autor*innen: Dominic Burghartswieser, Andreas Küpfer, Christina-Marie Juen und Christian Stecker

Als Team des Arbeitsbereiches Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme an der Technischen Universität Darmstadt fokussieren wir in unserer Lehre lehrveranstaltungsübergreifend auf die innovative und barrierearme Vermittlung von digital literacy. Unser Lehrkonzept vermittelt diese systematisch integriert und kohärent über alle Lehrveranstaltungen des Arbeitsbereiches hinweg. Dadurch werden Studierende befähigt, empirische Ergebnisse besser zu verstehen und kritisch zu reflektieren sowie eigenständig theoriegeleitete Fragestellungen empirisch überprüfen zu können. Dabei berücksichtigen wir wichtige Einsichten der Hochschuldidaktik und nutzen neueste digitale Instrumente.

Data literacy ist Teil der allgemeiner gefassten digital literacy und beschreibt neben vorwiegend praktischen Fertigkeiten in den Bereichen Data Managment und Visualisierung vor allem auch kritische methodische Schlüsselkompetenzen im Umgang mit Daten. Diese Kompetenzen, die aus der Wirtschaft ebenso gefordert werden wie aus der Wissenschaft, gelten mithin als unverzichtbar, um in zunehmend digitalisierten Gesellschaften mündige, informierte und begründete Entscheidungen zu treffen. Wir vermitteln damit Kompetenzen, die die Studierenden zu kritischem Denken und Selbstreflektion ermuntern, und sie als Absolvent*innen auch für einen dynamischen Arbeitsmarkt attraktiver machen.

Um Methoden möglichst vielen Studierenden zugänglich zu machen, hat unser Arbeitsbereich den MethodPark ins Leben gerufen. Dort veröffentlichen wir regelmäßig interaktive Tutorials zu verschiedenen Methoden aus unserer Disziplin, welche von Studierenden innerhalb und außerhalb unserer Lehre verwendet werden. Der Hauptbestandteil sind interaktive google colaboratory-Notebooks, welche über den Browser und ohne das Installieren spezieller Software einen niedrigschwelligen Einstieg in die Analyse von Daten mit den Programmiersprachen R und Python ermöglichen. Unsere Wunsch ist es, auf dem MethodPark auch Beiträge von Forschenden anderer Universitäten anzubieten und so eine noch umfänglichere Ressource für Studierende und Lehrende zu schaffen.

Konkret vermitteln wir data literacy in verschiedenen aufeinander aufbauenden Schritten gemäß den Leitbildern der fachlichen Exzellenz und des forschenden Lernens. Die Studierenden erlernen bei uns wichtige Fähigkeiten entlang des gesamten Forschungsprozesses. Neben der klassischen sozialwissen-schaftlichen Hochschullehre und der Arbeit mit Konzepten und Theorien, erlernen die Studierenden in unseren Kursen verschiedene Instrumente, um Daten zu gewinnen. Dabei werden sie mit wichtigen bestehenden Datenquellen in numerischen und textbasierten Formaten vertraut gemacht, oder sie nutzen über Umfragen oder Inhaltsanalysen eigens generierte Daten. Wir vermitteln auch, wie diese Daten aufbereitet und analysiert werden und die entsprechenden Ergebnisse kommuniziert und kritisch reflektiert werden können.

Die Vermittlung der Kompetenzen ist kohärent aufeinander abgestimmt und verwendet die neuesten didaktischen Möglichkeiten. Der Einstieg in data literacy sollte insbesondere für Sozialwissenschaftlerinnen barrierearm gestaltet werden. Dementsprechend führen wir die Studierenden in ihren ersten BA-Kursen behutsam an die Methoden heran und wecken Neugier für das Potential von data literacy. In den Vorlesungen, die planmäßig im ersten und zweiten Bachelorsemester vorgesehen sind, erhalten sie beispielsweise über google colaboratory niedrigschwellige methodische Illustrationen relevanter Theorien und Konzepte. Durch diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit werden sie ermuntert, aufgeschlossen gegenüber anspruchsvolleren Forschungsmethoden zu sein. Aktuell führen wir die Studierenden in den effektiven und verantwortungsvollen Umgang mit den neuesten AI-Tools ein. Beispielsweise zeigen wir ihnen, wie ChatGPT als “Coding Assistant” gewinnbringend genutzt werden kann. Dabei geht es nicht nur darum, den Assistenten praxisorientiert zur Ausgabe von Programmiercode zu bringen, sondern diesen auch zu kritisch zu betrachten. Vor allem bei letzterem ist eine wichtige Stellschraube, welche Limitationen ChatGPT hat und welchen Einfluss die Wahl von durchdachten Prompts besitzt. Mit Hilfe des MethodParks führen wir Studierende auch in nicht-proprietäre Alternativen zu ChatGPT ein, um Chancengleichheit zu gewährleisten.

In den weiterführenden Kursen im Bachelor- und Masterbereich werden fortgeschrittene Techniken vermittelt. So bietet unser Arbeitsbereich ein aufeinander aufbauendes Seminarprogramm zum systematischen Erwerb von theoretischen wie praktischen Kenntnissen in den Bereichen Data Management, Data Visualization sowie Data Modeling mit R an. Im Bachelorstudium ermöglichen wir dies durch eine Einführung in die Datenanalyse, die von Dominic Burghartswieser (M.A.) angeboten wird. Für Masterstudierende offeriert Andreas Küpfer (M.Sc.) aus dem Bereich Computational Social Science einerseits eine Einführung in quantitative Methoden mit R. Basierend auf dem erlangten Vorwissen aus dem Bachelorstudium lernen die Studierenden den Umgang mit weiterführenden Visualisierungstechniken sowie Regressionsmodellen und deren Interpretation in wöchentlichen Workshops sowie einer abschließenden Projektabgabe. Auf der anderen Seite bietet Andreas Küpfer mit dem Seminar quantitative Textanalyse einen Einblick in aktuelle text-as-data Literatur sowie angewandte Methoden aus dem Bereich maschinelles Lernen mit R. Als Data Scientist führt Andreas Küpfer auch ein interdisziplinäres Element in die politikwissen-schaftliche Ausbildung ein.

In den substantiellen Kursen, die vor allem von Dr. Christina-Marie Juen und Prof. Dr. Christian Stecker gehalten werden, werden die erlernten Fähigkeiten anhand der konkreten Seminarthemen vertieft. Beispielsweise werden die empirischen Ergebnisse von Studien im Kurs mit den Studierenden repliziert und Wege für eigene empirische Forschungsbeiträge skizziert und beschritten. Dabei werden in unterschiedlichen Veranstaltungen, wie in der Vorlesung “Einführung in das Politische System der BRD” von Christian Stecker sowie den Kursen von Christina-Marie Juen, google-colaboratory Anwendungen eingebunden. In Kursen von Christina-Marie Juen und Prof. Dr. Christian Stecker haben Studierende mit Hilfe der Umfragesoftware Qualtrics außerdem eine Umfrage zu Einstellungen gegenüber verschiedenen demokratischen Institutionen entwickelt. Dabei eigneten sich die Studierenden an, die relevanten Konzepten in entsprechende Items einer Umfrage zu übersetzen, passende Antwortskalen zu generieren, Fragen adäquat zu formulieren und dies auch technisch in der Umfragesoftware zu implementieren. Die Nutzung dieser Tools, sowie auch die grundsätzliche Vermittlung von data literacy wird von Christina-Marie Juen auch an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, an der sie derzeit als Verwaltung der Professur “Politisches System Deutschlands und der EU” tätig ist, in der Lehre weitergeführt.

Unser Konzept legt besonderen Wert auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Studierenden. Wir setzen auf interaktive Lehrmethoden und unterstützen den niedrigschwelligen, barrierefreien Zugang zu data literacy, um eine inklusive Lernumgebung zu schaffen, die den unterschiedlichen Lernbedürfnissen unserer Studierenden gerecht wird. So stellen wir verschiedenen Kursen Tutorate zur Seite, in denen kundige und von uns geschulte studentische Hilfskräfte mit den Studierenden individuelle Probleme lösen, damit sie im Seminar am Ball bleiben.

Das vorliegende Konzept wird seit April 2020 etabliert und in den Veranstaltungen des Lehrbereichs in jedem Semester angewendet und stetig verbessert. Die Implementation unseres Lehrkonzeptes ist sehr aufwändig, da es u.a. eine aufwändige Vorbereitung des empirischen Materials erfordert und eine ständige Abstimmung zwischen verschiedenen Lehrenden verlangt. Gleichzeitig resultiert daraus auch der Zusatznutzen gegenüber einer in einzelnen Lehrveranstaltungen isoliert vermittelten data literacy. Ziel ist es, verschiedene Instrumente des Konzeptes weiter zu vertiefen und auszubauen.

 

 

Über die Autor*innen:

Dominic Burghartswieser arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme der TU Darmstadt, promoviert zu Themen der politischen Psychologie und ist hauptsächlich in der Methodenlehre tätig.

Andreas Küpfer arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme der TU Darmstadt, wo er als Doktorand und Data Scientist insbesondere an der Analyse multimodaler politischer Kommunikation forscht.

Dr. Christina-Marie Juen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Politisches System Deutschland und Vergleich politischer Systeme der TU Darmstadt und vertritt gegenwärtig die Professur Politisches System Deutschlands an der Universität Oldenburg.

Prof. Dr. Christian Stecker leitet den Arbeitsbereich Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme der TU Darmstadt.

 

 

 

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“

Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2024 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Prof. Dr. Sandra Destradi für ihr Lehrprojekt „How to Study the International Effects of Populism”, durchgeführt im Sommersemester 2023 an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg,  verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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