Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen. Fazit und Handlungsempfehlungen

Nicht erst seit dem Hashtag #ichbinhanna oder der Initiative „95 Thesen gegen das WissZeitVG“ ist klar: Die Arbeits- und Karrierebedingungen an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen, auch in der Politikwissenschaft, sind von einer Vielzahl diverser und vielschichtiger Problematiken geprägt. Diese stellen gerade Wissenschaftler*innen und Beschäftigte unterhalb der Professoralebene vor enorme Herausforderungen und Unsicherheiten, erschweren jedoch auch Inhaber*innen von Professuren den Arbeits- und Forschungsalltag. Und nicht zuletzt verringern sie erheblich die Effizienz des deutschen Wissenschaftssystems an sich. Diese Problematiken und insbesondere mögliche Lösungsperspektiven, Handlungsempfehlungen und Vernetzungsschritte waren das Thema der 2. DVPW-Perspektivtagung am 25./26. März 2021, deren Ergebnisse in den vergangenen Wochen auf dieser Seite in der Blogserie „Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen“ detaillierter vorgestellt wurden. Zum Abschluss der Serie bündeln und diskutieren wir in diesem Beitrag nochmals die zentralen Problematiken sowie mögliche Lösungsansätze.

Das Bewusstsein für die vielschichtige Problemlage im (hochschul-)wissenschaftlichen Arbeits- und Karriereumfeld ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Versucht man sich an einer Beschreibung, so stößt man auf ein Netz interdependenter struktureller Probleme, die zusammengenommen ein schwieriges Arbeitsumfeld, gerade für Wissenschaftler*innen unterhalb der Professoralebene, kreieren: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit dauerbefristeten Verträgen, unzureichender Stundenzahl und Bezahlung (im Vergleich zur Arbeitsleistung), die eine permanente Suche nach (Anschluss)Finanzierung und eine Anpassung der eigenen Forschung an verfügbare Projektmittel bedingen; teils multiple Abhängigkeitsverhältnisse von vorgesetzten Professor*innen; eine nach oben hin ausdünnende Verfügbarkeit wissenschaftlicher Stellen („Flaschenhals-Problematik“), die zu einem stetigen, systemisch bedingten Ausfall von Wissen und Erfahrung aus dem System führt.

Gleichzeitig erfolgt eine Berufung auf unbefristete Professuren im Durchschnitt mit Mitte 40, was die Phase der Unsicherheit über den eigenen Verbleib im System erheblich ausdehnt sowie die eigene Lebensplanung erschwert. Hinzu kommt eine hohe Quantität an Aufgaben und Erwartungen, die das Stress- und Belastungslevel weiter steigern und Innovativität, Diversität und Individualität der Forschung reduzieren. Narrative wie „Wissenschaft als Berufung“ und „Alles oder nichts“-Mentalitäten, die mit Erwartungen ständiger Präsenz, Aktivität und Belastungsresistenz einhergehen, die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf zusätzlich erschweren und berechtigte Diskurse über alternative Karrierewege, Kritik und Zweifel tabuisieren, kommen hinzu – und dass, obwohl das aktuelle System keinesfalls ausreichende Karrierechancen für alle Aktiven bietet.

Die Liste an Problemen ist lang und für eine detailliertere Beschreibung der Situation sei an dieser Stelle auf die vorangegangenen Beiträge dieser Blogreihe verwiesen. Die obenstehende Aufzählung verdeutlicht jedoch, wie belastend und zukunftsunfähig die Arbeitsbedingungen derzeit sind – und zwar für alle Beteiligten. So führen die gegenwärtigen Strukturen gerade für nicht-professorale Wissenschaftler*innen zu einer starken Belastung und einem hohen Maß an Unsicherheit und bergen in der Regel biographische Risiken. Gleichzeitig ist die jetzige Situation auch für Inhaber*innen von Professuren keinesfalls optimal, führt sie doch zu einem ständigen Wechsel der Mitarbeitenden, hohen Arbeitsbelastungen und letztlich zum stetigen Verlust von Expertise, Innovation und Diversität – mit erheblichen Folgen auch für die deutsche politikwissenschaftliche Forschung (und Lehre). Angesichts dieser Konsequenzen sollte eine Verbesserung der Bedingungen im Interesse aller Beteiligten sein.

Individuelle Bewältigungsstrategien für das Bestehen im aktuellen System

Um in diesem problematischen System zu bestehen, haben sich unter nicht-professoralen Beschäftigten diverse Bewältigungsstrategien entwickelt. So ist es empfehlenswert, sich intensiv mit den eigenen Rechten und Pflichten auseinanderzusetzen, diese einzufordern und dafür auch Konflikte auszuhalten. Zentral ist zudem, Netzwerke aufzubauen, um Erfahrungen auszutauschen und die eigene Position zu stärken. Darüber hinaus empfiehlt es sich, ein zweites Standbein aufzubauen, um sich verschiedene Karriereoptionen offen zu halten. Dies ist zwar mit hoher Zusatzbelastung verbunden, kann sich jedoch auszahlen. Zudem haben die Teilnehmenden der Tagung insbesondere die strategische Ausrichtung der eigenen Arbeit und die Bedeutungintrinsischer Motivation und Ziele herausgestellt. So sind eine strategische Anbindung und das „Tanzen auf verschiedenen Hochzeiten“ nach wie vor unerlässlich. Um jedoch auf Dauer im Wissenschaftssystem zu bestehen, sind gerade die eigenen Ziele und die Freude an der Arbeit ein wichtiger Kompass und Motivator, inklusive einer frühzeitigen und regelmäßigen Reflexion. Dazu gehört die ernsthafte Frage, ob eine Professur tatsächlich das eigene Ziel ist oder sich geschätzte Aspekte wissenschaftlicher Arbeit nicht auch in anderen Kontexten umsetzen lassen. Nicht zuletzt ist aber vor allem eine nachdrückliche Grenzziehung und Prioritätensetzung essenziell. Hierzu gehört die Festlegung von Nichtverfügbarkeiten. Denn so wichtig Aktivität und mehrgleisiges Fahren sind, so begrenzt sind die eigenen Kapazitäten.

Kurz- und mittelfristige bottom-up Lösungen im aktuellen System

Darüber hinaus haben die Teilnehmenden auf der Tagung weitere bottom-up Lösungsmöglichkeiten diskutiert, die allen Beteiligten die Arbeit, Forschung und Zusammenarbeit erleichtern können. Sie haben hier allen voran die Notwendigkeit eines Kulturwandels in der wissenschaftlichen Gemeinschaft betont, im Zuge dessen das in Betracht ziehen alternativer Karrierewege, die Kritik an Missständen und die Forderung von Verbesserungen enttabuisiert sowie Erwartungen ständiger Aktivität relativiert und entschärft werden müssen. Um dies zu erreichen, bedarf es insbesondere einer ehrlichen und offenen Kommunikation von Prioritäten, Grenzen und Nichtverfügbarkeiten sowie einen aufrichtigen Austausch der verschiedenen Statusgruppen. Hierfür braucht es gerade die Bereitschaft von Professor*innen, aber ebenso der Fachvereinigungen wie der DVPW, zuzuhören und Veränderungen mitzugestalten. Um dies in die Realität sinnvoll umzusetzen, brauchen wir z.B. weitere Tagungsformate und Gremienarbeit innerhalb der Fachvereinigungen. Eine weitere Möglichkeit für individuelleren Austausch bieten Jahresgespräche zwischen Professor*in und beschäftigter Person. Diese sind auch während der Promotionszeit bereits sinnvoll, wo sie eine gute Ergänzung zum Instrument der Betreuungsvereinbarung bieten, um die Beziehungen geregelter zu gestalten.

Systemische Probleme bedürfen struktureller top-down Lösungen

Jedoch angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Probleme im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb systemischer Natur ist, ist klar: Individuelle Bewältigungsstrategien und eine offene Kommunikation können lediglich der erste Schritt sein. Für tatsächliche Veränderungen und Verbesserungen der Arbeits- und Karrierebedingungen in der deutschen Politikwissenschaft bedarf es struktureller Lösungen. Hier gibt es diverse Lösungsperspektiven, die in unterschiedlichen Zeitfenstern zu einer grundlegenden Verbesserung des Systems beitragen könnten. Sinnvolle kurz- und mittelfristige Optionen sind z.B. eine komplette Revision des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, dessen ursprüngliche Intention der Begrenzung befristeter Verträge aktuell genau den inversen Effekt hat, sowie die Schaffung abgegrenzter Stellenkategorien neben der Professur mit klaren Entfristungsperspektiven. Weitere Maßnahmen sind eine Steigerung der Grundfinanzierung der Hochschulen bei gleichzeitiger Absenkung der Drittmittelfinanzierung, die hochschulinterne oder -übergreifende Einrichtung institutioneller Unterstützungsstellen, eine Verrechtlichung von Betreuungsvereinbarungen für die Promotion, sowie ein Ausbau von Unterstützungsmöglichkeiten für Forschende mit Kindern, wie ein Ausbau von Uni-Kita-Plätzen, die finanzielle Förderung von Begleitpersonen auf Konferenzen, spezielle Ausschreibungen für Wiedereinsteiger*innen nach Eltern- oder Pflegezeit oder auch “Dual Career”-Maßnahmen.  

Eine langfristige Lösungsperspektive kommt jedoch nicht um Diskussion über die grundlegende Umgestaltung des deutschen Wissenschaftssystems herum. Gerade Department-Strukturen könnten zahlreiche der genannten Problematiken entschärfen und viele Ziele vereinen. Insbesondere die damit einhergehende Schaffung unbefristeter Stellen auf allen wissenschaftlichen Ebenen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen würde deutlich sichere und planbarere Karrieren ermöglichen. Breiter gedacht würde eine solch strukturelle Umgestaltung ebenso zur Schaffung eines deutlich diverseren und innovativeren Arbeitsumfeldes beitragen – von dem letztlich ebenso die politikwissenschaftliche Forschung nur profitieren kann. Um dies zu erreichen, braucht es allerdings die Bereitschaft und Unterstützung aller Beteiligten, um Veränderungen anzustoßen und gemeinsam ein besseres Arbeits- und Forschungsumfeld in der deutschen Politikwissenschaft zu gestalten.

 

Über die Autor*innen

Svenja Budde ist Masterstudentin und studentische Mitarbeiterin am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Dr. Friedrich Plank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Ko-Sprecher der Early Career Gruppe Internationale Beziehungen.

Michael Giesen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen, Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Johanna Speyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist derzeit Ko-Sprecherin der Early Career Gruppe Internationale Beziehungen sowie der DVPW Themengruppe IB-Normenforschung.

Über die Blogserie:

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.

 

Weitere Beiträge der Blogserie:

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen – Auftakt zur Blog-Serie über die DVPW-Perspektivtagung 2021

Nachhaltige Karrierewege? Should I stay or should I go? Die Vielfalt an Karrierewegen in der Politikwissenschaft von Steve Biedermann, Stefanie Vedder und Camilla Wanckel

Nachhaltige Karrierewege? Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der deutschen Politikwissenschaft von Julia Gurol und Maria Ketzmerick

Nachhaltige Karrierewege? Navigieren zwischen Struktur und Freiheit: Aktuelle Probleme und Verbesserungsperspektiven der Promotionsbetreuung in der deutschen Politikwissenschaft von S. Budde, Friedrich Plank und Johanna Speyer

Nachhaltige Karrierewege? Perspektiven nach der Promotion von Baptiste Aguila und Michael Giesen

Nachhaltige Karrierewege? Podiumsdiskussion zu nachhaltigen Karrierewegen in der Wissenschaft von Michael Giesen und Friedrich Plank