Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nachhaltige Karrierewege? Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der deutschen Politikwissenschaft

Autor*innen: Julia Gurol und Maria Ketzmerick

Kaum ein Thema berührt als Querschnittsthema so sehr wissenschaftspolitische Diskussionsebenen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei berührt das Thema Aspekte wie die vertragliche und finanzielle Sicherheit, die wissenschaftliche Mobilität und Karriereplanung sowie das Beschäftigungsverhältnis und das Betreuungsverhältnis. Innerhalb der Diskussion lassen sich zwei Schwerpunkte identifizieren: Zum einen kreist die Debatte um die Reproduktions- und Sorgearbeit im Rahmen der Familienplanung, zum anderen spielen aber auch familiäre Beziehungen eine Rolle, wie beispielsweise die Pflege von erkrankten oder älteren Angehörigen. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass das Thema Vereinbarkeit während der Perspektivtagung bei mehreren Themenblöcken zur Sprache kam. Im 2. Workshop wurde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf explizit besprochen und die Teilnehmenden haben ihre Fragen, Sorgen und Ideen rund um die Vereinbarkeit der eigenen Familienplanung mit einer möglichen Karriere in der deutschen Politikwissenschaft diskutiert. Zu Gast bei diesem Workshop waren Prof. Dr. Sandra Destradi (Uni Freiburg), Dr. Werner Distler (Uni Marburg), Dr. Sophia Hoffmann (Leibniz-Zentrum Moderner Orient) sowie Maike Stelter (TU Braunschweig), die teilweise auch sehr persönlich ihre Erfahrungen in der Wissenschaft als Arbeitsumfeld reflektiert haben.

Der folgende Blogbeitrag fasst die Diskussionen zusammen, erarbeitet auf Basis der gemeinsamen Debatten konkrete Lösungsvorschläge und zeigt damit auf, welche Fragen rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich deutsche Early Career Forschende in der Politikwissenschaft stellen.

Diskussionsthemen: Die Potentiale und Schwierigkeiten der (deutschen) Wissenschaft als Arbeitsumfeld

Zu Beginn des Workshops wurde auf die positiven Aspekte von Wissenschaft als Arbeitsumfeld eingegangen. An und für sich bietet die deutsche Politikwissenschaft nämlich durchaus ein Umfeld, das der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienlich sein könnte. Es gibt grundsätzlich die Möglichkeiten zum Home Office, flexible Arbeitszeiten ohne Anwesenheitspflicht und, gerade in Corona-Zeiten, die Option auch digital an Konferenzen oder Meetings teilzunehmen und sich dadurch verringerten Mobilitätsansprüchen ausgesetzt zu sehen. Darüber hinaus wurde während des Workshops von Eltern von einer hohen Toleranz und Rücksichtnahme auf Menschen mit Kindern berichtet. Zudem wurde herausgestellt, dass - einmal im System angekommen - das Gehalt eine nicht unbedeutende finanzielle Absicherung darstellt, vor allem im Vergleich zu anderen für unsere Profession relevante berufliche Möglichkeiten.

Viele Teilnehmer*innen äußerten jedoch auch Sorgen in Bezug auf eine anstehende Familienplanung oder berichteten von den Schwierigkeiten, Familie und Beruf in der Wissenschaft zu vereinen. Dabei standen vor allem die unsichere Planbarkeit, bedingt durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, finanzielle Nöte sowie die hohe erforderliche nationale und sogar internationale Mobilität einer wissenschaftlichen Karriere im Zentrum der Diskussionen. Diskutiert wurden auch die gesellschaftlichen Erwartungen, v.a. an Frauen, die ein klassischen Rollenverständnis spiegeln. Care- und Reproduktionsarbeit wird daraus resultierend zum einen als „Frauensache“ definiert oder als „unsichtbar“ und unbedeutend vernachlässigt. Zum anderen befürchteten insbesondere Frauen, dass die Elternzeit ein massiver Einschnitt in ihrer Karriere bedeuten würde und sie nach dem Wiedereinstieg auf das Abstellgleis geschoben würden, weil sie zum Beispiel an Kita-Zeiten gebunden seien. In dieser Diskussion zeigte sich vor allem die Befürchtung, dass Wissenschaft als Arbeitsumfeld eine “ganz oder gar nicht” Mentalität fördert – entweder beschäftigt mit voller zeitlicher Kapazität und ohne Mobilitätseinschränkungen oder eben nicht mehr als Forscher*in sichtbar und nur für wissenschaftsorganisatorische Aufgaben arbeitsfähig. Insgesamt offenbarte sich damit die paradoxe Situation: Einerseits gibt es eine gute Struktur, um Vereinbarkeit zu ermöglichen durch die Flexibilität, Toleranz und recht gutes Gehalt. Andererseits gibt es auch große Hemmungsfaktoren, vor allem sind das die prekären Beschäftigungsverhältnisse, „ganz oder gar nicht“-Mentalität und großer Druck, ständig und dauerhaft präsent und aktiv zu sein und zu bleiben.

Lösungsvorschläge: Was brauchen und wünschen wir uns?

Der offene Austausch war für die Teilnehmer*innen sehr erkenntnisreich, denn es konnten viele auch sehr persönliche Fragen zu Lebensentscheidung- und planung gestellt werden. Konkrete Lösungsvorschläge, die die Teilnehmer*innen während der Perspektivtagung erarbeiteten, teilen sich auf in institutionelle Veränderungen sowie persönliche Elemente. Ein viel geäußerter Wunsch war eine stärkere Verankerung des Themas “Vereinbarkeit von Familie und Beruf” in hochschulpolitischen Diskussionen. Während das Thema derzeit oft in Gleichstellungsbüros diskutiert wird, wäre eine breitere Debatte in allgemeineren Gremien wie Senaten und Fakultätsräten wünschenswert, die sich auch auf Berufungskommissionen beziehen sollte. Auch finanzielle Unterstützung etwa für Begleitpersonen auf Konferenzen wurde intensiv diskutiert, im Sinne einer familienfreundlicheren Gestaltung von wissenschaftlichen Tagungen, zu der auch die Möglichkeit der Kinderbetreuung vor Ort gehört. Hier zeigte sich aber auch wiederum, dass der Kinderbetreuung vor Ort ganz praktische Probleme gegenüberstehen, da eine Betreuung nur für die Dauer der Konferenz, die verschiedene Altersgruppen bedienen soll, schlichtweg nicht für jedes Kind passe.

Auf der strukturellen Ebene wurden einige Dinge benannt und diskutiert: Ein Lösungsvorschlag bezog sich konkret auf die Kommunikation und das Framing von Ausschreibungen. Hier wurde die Option diskutiert, Ausschreibungen mit spezielleren Texten für Wiedereinsteiger*innen nach der Elternzeit zu versehen und diese Personen gezielt zu fördern. Weiterhin wurden die Option und Erfahrungen von “Dual Career”- Maßnahmen diskutiert, die inzwischen Universitätsstandorte teilweise in Berufungsverhandlungen nutzen, um die Einstellung von akademischem Fachpersonal als Familienaufgabe zu begreifen. Zudem wurde die Aufstockung von Plätzen in Uni-Kitas benannt. Letztlich zeigte sich aber auch in den lokalen beziehungsweise persönlichen Lösungen, dass vieles ohne die strukturelle Ebene und Unterstützung nicht möglich ist. So wurden in struktureller Hinsicht die Notwendigkeit von befristeten und unbefristeten Stellen diskutiert, die eine langfristige Karriereplanung ermöglichen, gleichzeitig wurde die Department-Struktur als gutes Modell betont. Breiter gedacht, spielt dabei auch die generelle Schaffung eines Umfelds für diverses gesellschaftliches und wissenschaftliches Leben eine zentrale Rolle, durch die finanzielle und ideelle Förderung verschiedener Familien- und Betreuungsmodelle möglich wird.

 

Über die Autor*innen:

Julia Gurol ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (postdoc) an der Professur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg tätig. Twitter: @JuliaGurol

Maria Ketzmerick ist akademische Rätin und Postdoc an der Professur für Soziologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Twitter: @MariKetz

 

 

Über die Blogserie:

 

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.

 

Weitere Beiträge der Blogserie:

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen – Auftakt zur Blog-Serie über die DVPW-Perspektivtagung 2021

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