Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen – Auftakt zur Blog-Serie über die DVPW-Perspektivtagung 2021

Erhöhtes Problembewusstsein

Politikwissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase sind bei der Gestaltung nachhaltiger Karrieren mit vielfältigen Schwierigkeiten wie z.B. prekären Beschäftigungsverhältnissen oder starken Abhängigkeiten von Betreuer*innen konfrontiert. Das Bewusstsein für diese Probleme und für die Notwendigkeit der Suche nach Lösungsansätzen innerhalb der DVPW ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Abkehr von der Bezeichnung „wissenschaftlicher Nachwuchs“ zu Gunsten „Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase“ ist ein erstes – wenn auch kleines – Zeichen der DVPW, um der Vielfalt dieser Personengruppe Rechnung zu tragen.

Dementsprechend groß war die Resonanz auf die Einladung zur Diskussion dieser Herausforderungen und zur gemeinsamen Entwicklung möglicher Bewältigungsstrategien im Rahmen einer Tagung von und für Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase. Teilgenommen haben 37 Wissenschaftler*innen in verschiedenen Arbeitsverhältnissen (siehe Abb. 1), um untereinander und mit eingeladenen Gästen ins Gespräch zu kommen.

 

 

Nachhaltige Karrierewege

Als Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase gelten diejenigen, die unterhalb und neben der professoralen Ebene im Wissenschaftsbereich beschäftigt sind. An deutschen Universitäten macht diese Personengruppe 88 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals aus. Abbildung 2 illustriert die wahrgenommenen Probleme unserer Tagungsteilnehmenden, die wir im Vorlauf der Tagung in einer Umfrage erhoben haben. Die Arbeitsverhältnisse dieser diversen Personengruppe sind fast immer und teils sehr kurz befristet (bundesdurchschnittlich zwischen 75 und 90 Prozent, je nach Teil- oder Vollzeitanstellung), der vertragliche Umfang von Stellen bildet den tatsächlichen Arbeitsumfang und die Aufgabenbreite nicht ab, häufig bleibt wenig Zeit für die eigene Qualifikation oder es findet keine passende Betreuung statt. Zudem fehlen häufig Möglichkeiten zur eigenen Profilbildung; dafür gibt es allerdings einen hohen Leistungs- und Zeitdruck.

Diese Faktoren sowie unzureichende Planungsmöglichkeiten, ein permanentes Gefühl von Unsicherheit und unklare Zukunftsaussichten führen zu einer hohen individuellen Belastung, die häufig strukturelle Ursachen hat. Nachhaltige Karrierewege, in denen die Beschäftigungsverhältnisse die jeweiligen Aufgaben- und Verantwortungsbereiche widerspiegeln, über einen längeren Zeitraum hinweg planbar sind und sich so mit der individuellen Lebenssituation und Entwicklungsmöglichkeiten von Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase vereinbaren lassen, sind vor diesem Hintergrund eine Seltenheit. Auf der Perspektivtagung haben die Teilnehmenden diese Problemkonstellation aus verschiedenen Perspektiven und mit vier Themenschwerpunkten diskutiert.

Themenschwerpunkte

Nach einem Grußwort von Antje Wiener (Mitglied DVPW-Ausschuss für Nachwuchsförderung) wurden in interaktiven Workshops vier verschiedene Themen aufgegriffen: Die Vielfalt und Hindernisse langfristiger Karrierewege in der deutschen Wissenschaftslandschaft, Perspektiven nach dem Abschluss der Promotion, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Situation individueller Betreuungsverhältnisse.

Den Rahmen der Tagung bildeten Überblicke über die Vielfalt möglicher langfristiger Karrieren im Wissenschaftsbereich sowie Perspektiven nach Abschluss der Promotion. Dazu berichteten Gäste aus unterschiedlichen Anstellungsverhältnissen und Karrierestufen von ihrer persönlichen (Berufs-) Biographie. In offenen Diskussionen haben die Teilnehmenden übergreifende Herausforderungen identifiziert, unter anderen, dass es keine klaren Modelle für den eigenen Karriereweg in einer zunehmend fragmentierten deutschen Wissenschaftslandschaft gibt und gleichzeitig wichtige Erfahrungen nicht unter Wissenschaftler*innen oder Mentor*innen geteilt werden. Die Gruppen erarbeiteten als Lösungsansätze dafür vor allem persönliche Bewältigungsstrategien, wie z.B. einen starken Austausch bzw. eine starke Vernetzung zwischen Peers, eigene Schwerpunktsetzungen und Ideen für einen Plan B außerhalb der Wissenschaft.

Unabhängig von konkreten Karrierestufen- und Wegen haben die Teilnehmenden in zwei weiteren Themenblöcken einen besonderen Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bspw. bei der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen sowie individuelle Betreuungsverhältnisse gelegt. Übergreifendes Element der Workshops war eine Auseinandersetzung mit Formen der Abhängigkeit: Wissenschaftler*innen sind vor allem bei der Bearbeitung ihrer Qualifikationsarbeiten auf unterstützende Strukturen angewiesen, während sich eine eigene räumliche Abhängigkeit – und damit eine eingeschränkte Mobilität – negativ auf die Entwicklung der eigenen Karriere auswirken kann.

Ergänzt wurde die Tagung am 25. März durch eine offene Podiumsdiskussion mit den Gästen Amrei Bahr (Mit-Autorin der „95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz“), Uwe Cantner (Vizepräsident für wissenschaftlichen Nachwuchs und Gleichstellung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena), Berenike Prem (DVPW-Ausschuss für Nachwuchsförderung) und Jule Specht (AG Wissenschaftspolitik der Jungen Akademie). Die Diskussion konzentrierte sich vor allem auf strukturelle Hindernisse in der wissenschaftlichen Karriereentwicklung- und Planung durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und die Fragmentierung der öffentlichen Wissenschaftsstrukturen sowie deren Finanzierung. Oft genannte Lösungsansätze waren die Transformation von Lehrstuhl- zu Departmentstrukturen und eine damit einhergehende deutliche Erhöhung der Anzahl von Professuren sowie transparente Qualifizierungswege, die die Planbarkeit für Wissenschaftler*innen und Universitäten verbessern würden. Einigkeit bestand auf dem Podium dahingehend, dass die derzeitige Situation verbessert werden muss und der Weg dorthin einen politischen Diskurs über die Disziplinen hinweg bedarf.

Mit dieser Blog-Serie möchten wir die Debatte weiterführen und berichten in den kommenden Wochen mit je einem Blogbeitrag von den Inhalten der einzelnen Workshops sowie der Podiumsdiskussion. Im abschließenden Beitrag der Blog-Serie werden die Ergebnisse der Tagung zusammengefasst und die weiteren Pläne für mögliche Verbesserungen der Karrierewege für Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase konkretisiert.

Die nächsten Schritte

Auf der Perspektivtagung wurde die bestehende Diskussion über Probleme (hochschul-)wissenschaftlicher Laufbahnen in der deutschen Politikwissenschaft zielorientiert fortgeführt. Durch die Vernetzung von Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase sowohl innerhalb als auch außerhalb der DVPW konnten individuelle Bewältigungsstrategien für geteilte Probleme ausgetauscht und gemeinsame Lösungsansätze entwickelt werden. Mittelfristiges Ziel ist die Gründung einer informellen, gliederungsübergreifenden und für alle Statusgruppen offenen Arbeitsgruppe, die zur Verstetigung der Diskurse um die Belange von Q-Wissenschaftler*innen innerhalb der DVPW beiträgt. Langfristig sind die auf der Perspektivtagung entwickelten Lösungsansätze und Umsetzungsstrategien auf strukturelle Veränderungen innerhalb verschiedener Ebenen der DVPW sowie in der deutschen Politikwissenschaft an Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten gerichtet.

 

Über die Autor*innen:

Stefanie Vedder ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Management an der Universität Kassel.

Michael Giesen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Steve Biedermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

 

Über die Blogserie:

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.

Weitere Beiträge der Blogserie:

Nachhaltige Karrierewege? Should I stay or should I go? Die Vielfalt an Karrierewegen in der Politikwissenschaft von Steve Biedermann, Stefanie Vedder und Camilla Wanckel

Nachhaltige Karrierewege? Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der deutschen Politikwissenschaft von Julia Gurol und Maria Ketzmerick

Nachhaltige Karrierewege? Navigieren zwischen Struktur und Freiheit: Aktuelle Probleme und Verbesserungsperspektiven der Promotionsbetreuung in der deutschen Politikwissenschaft von S. Budde, Friedrich Plank und Johanna Speyer

Nachhaltige Karrierewege? Perspektiven nach der Promotion von Baptiste Aguila und Michael Giesen

Nachhaltige Karrierewege? Podiumsdiskussion zu nachhaltigen Karrierewegen in der Wissenschaft von Michael Giesen und Friedrich Plank

Nachhaltige Karrierewege? Fazit und Handlungsempfehlungen