Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nachhaltige Karrierewege? Should I stay or should I go? Die Vielfalt an Karrierewegen in der Politikwissenschaft

Den Auftakt der digitalen Perspektivtagung „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“ bildete ein Workshop zur „Vielfalt an Karrierewegen“. Hier traten Wissenschaftler*innen der Qualifikationsphase in einen persönlichen Austausch über verschiedene akademische Entwicklungsmöglichkeiten und Karriereschritte, sowohl auf dem Weg zu einer Professur als auch in außer-universitären wissenschaftlichen Einrichtungen.

Hierzu waren vier Politikwissenschaftler*innen mit je ganz unterschiedlichen Karrierewegen zu Gast und haben ihre Erfahrungen sowie wichtige Entscheidungsmomente mit den Tagungsteilnehmer*innen geteilt. In einem offenen und konstruktiven Austausch mit Markus Seyfried (Professor für Politikwissenschaft und Governance an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen), Manuela Scheuermann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Europaforschung und Internationale Beziehungen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg), Andreas Busch (Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Georg-August-Universität Göttingen) und Maria Ketzmerick (Akademische Rätin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Soziologie Afrikas an der Universität Bayreuth) wurden die Herausforderungen spezifischer Karrierephasen sowie individuelle Bewältigungsstrategien und institutionelle Lösungsansätze erörtert.

Das Narrativ der „Wissenschaft als Berufung“ rechtfertigt keine „Take it or leave it“-Mentalität.

Trotz der unterschiedlichen Viten der Gäste bildeten sich schnell große Schnittmengen in der Problemwahrnehmung heraus, allen voran die unklaren Erfolgsaussichten einer akademischen Karriere, die häufig zu erheblichen Zweifeln an einem langfristigen Verbleib in der Wissenschaft führen. Die hohe individuelle Belastung von Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase resultiert dabei nicht nur aus der mangelnden beruflichen Planbarkeit und den meist befristeten Beschäftigungsverhältnissen bei gleichzeitig hohen Anforderungen an Forschung, Lehre, Drittmitteleinwerbung, Engagement in akademischen Netzwerken und Gremienarbeit. Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft dominiert häufig ein Narrativ des Forschens aus Leidenschaft, ein Bild der Wissenschaft als Berufung, das nicht nur ein hohes Maß an Belastbarkeit und Stressresistenz voraussetzt, sondern auch wenig Raum für Zweifel, Unsicherheiten und kritische Nachfragen lässt.

Dies hat gleich in doppelter Hinsicht folgenschwere Konsequenzen.  Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase, die unter der hohen (Arbeits-)Belastung leiden, zweifeln an ihrer persönlichen Eignung für eine wissenschaftliche Karriere und hinterfragen, ob ihre Neugier für das Forschungsgebiet ausreicht. Dabei gilt es doch eigentlich, das Dogma des wissenschaftlichen Systems selbst zu hinterfragen. Weiterhin vermeiden viele, die zwar eine akademische Karriere anstreben, jedoch an der Nachhaltigkeit eines solchen Weges zweifeln, den offenen Austausch über ihre Unsicherheiten und alternative Karrieren. Sie befürchten, nicht mehr als Forscher*innen aus Leidenschaft, als überzeugte und überzeugende Nachwuchskandidat*innen wahrgenommen zu werden. Der Abwanderung von qualifizierten und engagierten Talenten kann nur durch das Stärken einer Wissenschaftskultur entgegengewirkt werden, in der die Kommunikation über Bedenken und Vorbehalte und damit auch über Probleme und Missstände, wie bspw. die nicht hinnehmbare dauerhafte Befristung, ermutigt wird.

Unsichere Zukunftsperspektiven stellen eine Barriere auf dem Weg zu mehr Diversität dar.

Dies ist auch von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu mehr Diversität, um die sich zwar viele deutsche Hochschulen bemühen, die jedoch häufig in höheren wissenschaftlichen Positionen nachlässt. So wurde im Rahmen des Workshops wiederholt auf die Abhängigkeit von externen Faktoren und Einflüssen hingewiesen, die im wissenschaftlichen Metier viel stärker ausgeprägt ist als in anderen Berufsgruppen: „Die Entscheidung, in der Wissenschaft zu bleiben, liegt nicht nur bei einem selbst“, vielmehr sei diese Entscheidung sehr orts-, fall- und situationsabhängig. Die Bereitschaft, diese Unbekannten in der eigenen Karriereplanung zu akzeptieren, ist nicht zuletzt auch eine Frage des finanziellen Rückhalts und damit der sozialen Herkunft. Dabei spielenfinanzielle Unterschiede nicht nur im Hinblick auf Ortswechsel, Überbrückungszeiten und Auslandsaufenthalte eine gewichtige Rolle. Eltern mit akademischem Hintergrund können ihre Kinder oft besser über die Aufnahme einer akademischen Karriere beraten; sie sind mit dem System vertraut und können einen hohen Grad an Zuversicht sowie wichtige Erfahrungen teilen. Dieser Prozess beginnt bereits bei der Schulbildung und setzt sich bei der Hochschul- und Studienwahl, der Auseinandersetzung mit und Erarbeitung von wissenschaftlichen Inhalten bis hin zur Promotion und darüber hinaus fort. Wissenschaftler*innen aus nicht-akademischen Elternhäusern lernen das System hingegen ohne diesen Rückhalt kennen, was häufig zu Reibungspunkten und einem erheblich höheren Stresslevel führt.

Die Vielfalt an Karrierewegen in der Politikwissenschaft eröffnet sich Nachwuchswissenschaftler*innen nur durch individuelle Freiräume während der Qualifikationsphase.

Eng damit verbunden wurde auch die Bedeutung individueller Freiräume in der persönlichen Entwicklung während der Qualifikationsphase diskutiert. Schließlich werden Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase schon früh in die vorherrschende Logik des wissenschaftlichen Systems eingegliedert und in einen normativen Rahmen des hohen Publikationsoutputs gezwängt. Diesem Ziel, so wird es vermittelt, seien andere wissenschaftliche Tätigkeiten unterzuordnen, möchte man seinen Traum einer Professur verwirklichen. Diversität und innovative Forschung setzen jedoch Zeit und Raum für die Identifikation individueller Stärken und Schwächen, Experimentierfreude sowie Möglichkeiten neuer Input- und Impulsgewinnung voraus. Dies kann neue methodische und interdisziplinäre Forschungsansätze oder die Teilnahme an Konferenzen jenseits des engeren disziplinären Netzwerks betreffen, insbesondere aber auch den Austausch mit Praktiker*innen und außer-universitären Forschungseinrichtungen sowie Investitionen in die eigene Lehre. Die Förderung und Schaffung solcher Freiräume für Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase ist unerlässlich für die Ermittlung oftmals ungeahnter Karriereschritte und die Ebnung eines Weges, der den individuellen Talenten und Fähigkeiten sowie den eigenen Arbeits- und Lebensvorstellungen entspricht. Für die einen kann die Position einer akademischen Rätin neue Perspektiven eröffnen, für andere kann dies diverse Ortswechsel und Auslandsaufenthalte beinhalten, während wieder andere den Fokus auf exzellente Lehre und Praxisnähe legen, welche sich hervorragend im Rahmen einer Fachhochschulprofessur verfolgen lässt.

„Nachhaltige Karrierewege“ in diesem Sinne bedeuten nicht nur planbare und faire Beschäftigungsbedingungen auf dem Weg zu einer Professur, sondern auch Strukturen, die ausreichend Sicherheit für die Entwicklung individueller Kompetenzen sowie unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau ermöglichen. Das Nicht-Erreichen einer Professur bzw. der Ausstieg aus der Wissenschaft darf nicht als „Scheitern“ der wissenschaftlichen Karriere angesehen werden. So ist auch eine offene Kommunikation über Karrierewege im außer-universitären Bereich von großer Bedeutung. Hierfür fehlen jedoch Kommunikationskanäle, über die der Kontakt zu promovierten Praktiker*innen aufgebaut werden kann. Es müssen Plattformen und Netzwerke für einen Dialog über die Chancen, Möglichkeiten und Karrierewege außerhalb der Wissenschaft geschaffen werden. Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase zu einer klaren individuellen Entscheidung zu ermutigen, die dem eigenen Lebensmodell entspricht, darf jedoch nicht dazu führen, dass aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse systembedingt nur Wissenschaftler*innen aus akademischen Elternhäusern und höhere sozialen Schichten eine Professur anstreben.

 

Über die Autor*innen:

Camilla Wanckel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politik und Regieren in Deutschland, Universität Potsdam.

Steve Biedermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Stefanie Vedder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Management, Universität Kassel.

 

Über die Blogserie:

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.

Weitere Beiträge der Blogserie:

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen – Auftakt zur Blog-Serie über die DVPW-Perspektivtagung 2021. Ein Beitrag von Stefanie Vedder, Michael Giesen und Steve Biedermann

Nachhaltige Karrierewege? Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der deutschen Politikwissenschaft von Julia Gurol und Maria Ketzmerick

Nachhaltige Karrierewege? Navigieren zwischen Struktur und Freiheit: Aktuelle Probleme und Verbesserungsperspektiven der Promotionsbetreuung in der deutschen Politikwissenschaft von S. Budde, Friedrich Plank und Johanna Speyer

Nachhaltige Karrierewege? Perspektiven nach der Promotion von Baptiste Aguila und Michael Giesen

Nachhaltige Karrierewege? Podiumsdiskussion zu nachhaltigen Karrierewegen in der Wissenschaft von Michael Giesen und Friedrich Plank

Nachhaltige Karrierewege? Fazit und Handlungsempfehlungen