Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nachhaltige Karrierewege? Navigieren zwischen Struktur und Freiheit: Aktuelle Probleme und Verbesserungsperspektiven der Promotionsbetreuung in der deutschen Politikwissenschaft

Promotionsbetreuung ist Navigation zwischen Struktur und Freiheit – so eine zentrale Erkenntnis der 2. Perspektivtagung der DVPW zum Thema „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft“ (25.-26. März 2021). Denn zum einen stellt eine Promotion für junge Akademiker*innen die große Chance dar, zum ersten Mal frei ihrem eigenen Forschungsinteresse zu folgen und selbstständig Wissenschaft zu betreiben – eine Freiheit, die auch im Interesse der Forschung so wenig wie möglich eingeschränkt werden sollte. Denn es sind oftmals Promotionen, die Debatten anstoßen, neue empirische Phänomene ergründen oder bestehende theoretische Konzeptionen kritisch hinterfragen. Gleichzeitig benötigen Promovierende aber aufgrund mangelnden Erfahrungswissens und multipler Abhängigkeitsverhältnisse Strukturen und Unterstützung. Zuviel Freiheit kann auch zu Anbindungsschwierigkeiten des Projektes führen oder das Gefühl einer Vereinzelung fördern. Es bedarf also eines individuell passenden Gleichgewichts an Freiheit und Struktur – und zwar auch für die Betreuenden. Denn auch für sie stellen diese langjährigen Betreuungsverhältnisse eine prägende Erfahrung dar. Zu viel Struktur, vor allem aber auch zu viel Freiheit, können eine Promotion wie auch ihre Betreuung erheblich erschweren. Erfolgreiche Betreuungsverhältnisse erfordern ein umsichtiges Navigieren zwischen beiden Polen, angepasst an die unterschiedlichen Phasen des Projektes. Dafür bedarf es vor allem transparenter Erwartungen und verbindlicher Regeln – etwas, an dem es momentan in vielen Fällen fehlt. Diese Herausforderungen diskutierten die Teilnehmenden der Perspektivtagung mit Dr. Jasmin Fitzpatrick (JGU Mainz), Dr. Sebastian Schindler (LMU München) und Prof. Dr. Antje Wiener (Uni Hamburg/Cambridge).

Unklare Rechte, unklare Pflichten, fehlende Unterstützung – die aktuelle Situation

Gegenwärtig prägt vor allem ein Zuviel an Freiheit die Promotionsbeziehungen in der deutschen Politikwissenschaft, was insbesondere vielen Promovierenden die Promotionsphase erheblich erschwert. Zentrale Herausforderung und zugleich Ursache vieler Probleme ist die starke Individualisierung der Betreuungsverhältnisse und der eklatante Mangel an institutionellen Strukturen, die Betroffene (auf beiden Seiten) unterstützen und im Problemfall auffangen. Selten bis nie gibt es inneruniversitäre oder gar hochschulübergreifende Netzwerke oder Beratungsstellen speziell für Promovierende und ihre Betreuenden. Eine der wenigen Anlaufstellen sind die Ombudsstellen der einzelnen Hochschulen. Jedoch liegen die Herausforderungen für Promovierende und Betreuende nicht nur in fehlenden institutionalisierten Unterstützungsmöglichkeiten. Individuelle Betreuungsverhältnisse leiden, wenn die Kommunikation zwischen Erstbetreuer*in und Doktorand*in, ebenso wie Erst- und Zweitbetreuer*in nicht offen und ehrlich, aber auch wenn sie strukturell nur unzureichend eingebettet ist. Dies alles führt zu einer großen Unklarheit über Verantwortlichkeiten und Erwartungen auf beiden Seiten. Dennoch wirkt sie sich insbesondere zum Nachteil der Promovierenden aus, befinden sich diese doch oftmals in einem multiplen Abhängigkeitsverhältnis aus Betreuung und Angestelltenverhältnis, das zu einem starken Machtgefälle zwischen betreuender/bewertender und promovierender Person führt.

Rechte einfordern, Konflikte aushalten, Netzwerke bilden: Bewährte Strategien für Promovierende

Um in dieser Situation zu bestehen, haben sich verschiedene Bewältigungsstrategien auf Promovierendenseite bewährt. Jasmin Fitzpatrick betonte die Notwendigkeit für Promovierende, sich intensiv mit den eigenen Rechten und Pflichten auseinanderzusetzen – und diese auch lautstark einzufordern. Dies koste aufgrund der Machtstrukturen und teils erheblichen Gegenwinds viel Mut, Kraft und Ausdauer. Durchhaltevermögen wird jedoch häufig belohnt: Wer laut und unbequem ist, dem muss zugehört werden, der erreicht Veränderungen. Promovierende sollten dafür aber auch lernen, Konflikte auszuhalten und im Zweifelsfall auf die richtigen Paragraphen verweisen zu können. Wer Satzungen, Statuten und Gesetze kennt, stärkt die eigene Position. Nicht zuletzt können auch Netzwerkaufbau, (Peer-)Mentoring und ein Austausch mit anderen Promovierenden und Post-Docs helfen, Erfahrungswissen zu sammeln und der eigenen Position mehr Gewicht zu verleihen. Auch der Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland e. V. (UniWiND) kann Informationen bieten.

Betreuungsvereinbarung und Jahresgespräche als Navigationshilfen im aktuellen System

Dennoch ist es nicht allein Aufgabe der Promovierenden, sich für eine Verbesserung der Situation einzusetzen. Promotionsbetreuung, so betonte die erfahrene Promotionsbetreuerin Antje Wiener, ist wechselseitiges Lernen, transparente und verlässliche Beziehungen seien daher im Interesse und Aufgabe aller Beteiligten. Ein zentrales Mittel, um die Betreuung zu verbessern und für ein für alle passendes Gleichgewicht zwischen Struktur und Freiheit zu sorgen, stellt eine Betreuungsvereinbarung dar, die bestenfalls zu Beginn der Promotion festgelegt und von allen Beteiligten unterschrieben wird. Sie sollte vor allem eine klare Auflistung der Rechte und Pflichten sowie der Erwartungen beider Seiten enthalten, ebenso wie die Festlegung eines Konfliktlösungsverfahrens. Damit sorgt die Vereinbarung für Offenheit, Transparenz und ein gewisses Maß an (Erwartungs-)Sicherheit für beide Seiten. Allerdings sind derartige Vereinbarungen nach wie vor zu selten, ihr Abschluss häufig fakultativ und ihr Inhalt in der Regel nicht rechtlich bindend. Hier aber bieten Jahresgespräche nicht nur die Möglichkeit, jährlich eine Zwischenbilanz des Promotionsprojekts, aber auch darüber hinaus, zu ziehen. Sie sind – werden sie dokumentiert und unterschrieben – auch rechtlich bindend und sorgen damit für tatsächliche Sicherheit. Insgesamt stellten Sebastian Schindler und Antje Wiener die Bedeutung der Kommunikation, unter Promovierenden, mit Post Docs, aber auch mit und zwischen den Betreuenden heraus. Um Konflikten zwischen Erst- und Zweitbetreuer*in vorzubeugen schlug Prof. Wiener vor, dass mindestens einmal pro Jahr ein gemeinsames Gespräch zwischen Doktorand*in und beiden Betreuungspersonen stattfinden sollte. Ebenso verwies Dr. Schindler auf klare Absprachen zwischen Betreuer*in und promovierender Person hinsichtlich der gegenseitigen Erwartungen hin, um im gemeinsamen Diskurs die Verortung der Betreuung zwischen Struktur und Freiheit zu identifizieren.

Wie die DVPW zur Verbesserung der Promotionsbetreuung beitragen könnte

Auch die DVPW kann die Verbesserung der Betreuungsrelationen in der deutschen Politikwissenschaft unterstützen. Insbesondere zwei Optionen erscheinen hier erfolgsversprechend. Zum einen könnte ein (symbolischer) Preis für gute Betreuung ausgelobt und jährlich vergeben werden. Dieser würde die Sichtbarkeit der Pflichten der Betreuenden erhöhen, Standards für gute Betreuung etablieren und den bislang starken Fokus auf die Leistung der Promovierenden abmildern. Zum anderen könnte die DVPW Betreuende und Betreute durch die Bereitstellung von Informationen und Handreichungen unterstützen. Hilfreich wäre hier beispielsweise die Erarbeitung und Bereitstellung eines  Musters für eine Betreuungsvereinbarung sowie eines Leitfadens für Jahresgespräche. Des Weiteren könnten Informationen und Tipps für Promovierende, z.B. über die Einwerbung von Drittmitteln, Projektmanagementstrategien oder Mentoring-Programme entwickelt und unterstützt werden. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten wären z.B. eine verstärkte Informationsarbeit in Masterstudienprogrammen hinsichtlich der Promotion sowie ein Schulungsprogramm für Betreuende. Aber gerade auch ein Einsetzen für die Verrechtlichung von Betreuungsvereinbarungen sowie weiterer struktureller Lösungen seitens der DVPW wäre hilfreich für alle Beteiligten.

Institutionalisierung, Professionalisierung, Verrechtlichung: Strukturelle Lösungen

Denn für eine wirklich nachhaltige Umgestaltung der Promotionsbetreuung in der deutschen Politikwissenschaft bedarf es langfristig vor allem struktureller Lösungen. Institutionalisierung, Professionalisierung und Verrechtlichung sind hierbei wichtige Schlagworte. So müssen Betreuungsvereinbarungen endlich obligatorisch und vor allem verrechtlicht werden. Nur so kann im aktuellen System für beide Seiten Transparenz und (Erwartungs-)Sicherheit in Betreuungsrelationen geschaffen werden. Notwendig wäre darüber hinaus auch die Einrichtung hochschulinterner oder -übergreifender Beratungsstellen speziell für Personen in Promotionsbeziehungen und -konflikten. Langfristig betrachtet scheint es aber sinnvoll, Begutachtung/Bewertung und Betreuung personell zu trennen, also zu einer stärkeren Entpersonalisierung von Betreuungen zu gelangen. Dies würde das Machtgefälle zwischen Betreuer*in und Doktorand*in erheblich entschärfen, Promotionsbetreuung gleichberechtigter und die Begutachtung professioneller gestalten. Strukturelle Lösungen haben dabei insgesamt hohes Potential, Transparenz und Gleichheit zwischen verschiedenen Promotionsverfahren zu schaffen und somit den Einfluss persönlicher Faktoren wie etwa Geschlecht oder Unterrepräsentation zu verringern.

 

Über die Autor*innen

Svenja Budde ist Masterstudentin und studentische Mitarbeiterin am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Dr. Friedrich Plank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und zur Zeit Ko-Sprecher der Early Career Gruppe Internationale Beziehungen.

Johanna Speyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Bereich Internationale Beziehungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist derzeit Ko-Sprecherin der Early Career Gruppe Internationale Beziehungen sowie der DVPW Themengruppe IB-Normenforschung.

 

 

Über die Blogserie:

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.

 

Weitere Beiträge der Blogserie:

Nachhaltige Karrierewege? Wie, warum und was wir ändern müssen – Auftakt zur Blog-Serie über die DVPW-Perspektivtagung 2021

Nachhaltige Karrierewege? Should I stay or should I go? Die Vielfalt an Karrierewegen in der Politikwissenschaft von Steve Biedermann, Stefanie Vedder und Camilla Wanckel

Nachhaltige Karrierewege? Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der deutschen Politikwissenschaft von Julia Gurol und Maria Ketzmerick

Nachhaltige Karrierewege? Perspektiven nach der Promotion von Baptiste Aguila und Michael Giesen

Nachhaltige Karrierewege? Podiumsdiskussion zu nachhaltigen Karrierewegen in der Wissenschaft von Michael Giesen und Friedrich Plank

Nachhaltige Karrierewege? Fazit und Handlungsempfehlungen