Autor*innen: Michael Giesen und Baptiste Aguila
Nach dem Erlangen des Doktortitels stellen sich eine Reihe von Fragen: will ich in der Wissenschaft bleiben? Und wenn ja, ist die Professur der Königsweg? Und falls ich mich für den langen Weg zur Professur entscheiden sollte, warum möchte ich Professor*in sein und welche Erwartungen sind damit verknüpft? Nach dem Motto „you are not alone“ haben die Teilnehmenden der DVPW-Perspektivtagung vom 25. bis 26. März 2021 im letzten Themenblock diese Fragen diskutiert. In vier virtuellen Diskussionstischen moderiert von Thomas Malang (Universität Konstanz), Felix Goldberg (Universität Stuttgart), Vera Axyonova (Freie Universität Berlin) und Eric Stollenwerk (GIGA Hamburg) kamen eine große Vielfalt an Erfahrungen und Perspektiven von Early-Career-Forscher*innen auf Ihrem Wege nach der Promotion zur Sprache. In diesem Blogbeitrag berichten wir von dieser Diskussion, den debattierten Hürden und individuellen Lösungswegen für eine Karriere nach der Promotion unter den derzeit herrschenden Arbeitsbedingungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Die Karrierewege von Wissenschaftler*innen in der deutschen Politikwissenschaft sind nach der Promotion genauso verstreut, undurchsichtig und unplanbar wie vor der Promotion. Zum einen werden nicht-professorale Forschende nach der Promotion weiterhin als „Nachwuchs“ bzw. in der Qualifizierungsphase betrachtet. Zum anderen gibt es ein Durcheinander an Strukturen und vorgeblichen Qualifikationswegen, die durch kaum planbare und festgelegte Evaluationskriterien äußerst selten zu permanenten Stellen oder nachhaltigen Anstellungsverhältnissen führen.
Das Durcheinander bei Post-Doc-Möglichkeiten ohne klare Strukturen führt zu einem massiven Aufwuchs an vereinzelten Förderstrukturen mit fast ausschließlich befristeten Anstellungsverhältnissen. Diese vor allem durch Bundesmittel finanzierten Strukturen stehen jedoch immer mehr im erheblichen Widerspruch zu Grund- und Dauerfinanzierung durch die Landesträger*innen der Universitäten.
Diese Situation zwingt Wissenschaftler*innen nach der Promotion in individuelle und strukturelle Konflikte. Ihre Wege nach der Promotion sind unklar, befristet bzw. nicht nachhaltig finanziert. Dies erschwert neben der langwierigen und oft von Rückschlägen gezeichneten Natur der wissenschaftlichen Arbeit den langfristigen Aufbau eines eigenen Forschungsprofils, wissenschaftlicher Netzwerke und die Publikationen in renommierten Verlagen.
Hürden und Umwege während des Post-Docs
Eine der größten Hürden, die in diesen Diskussionen hervorgehoben wurde, ist die Fragmentierung der Forschungslandschaft, insbesondere durch den in den letzten Jahren massiven Aufwuchs von bundesgeförderten Drittmitteln sowie des bundesgesetzlichen Rechtsrahmens. Die damit möglichen Forschungs- und Karrierewege ermöglichen alle keine planbaren und langfristigen Arbeitsumgebungen. Im Gegenteil, die Zersplitterung der Wissenschaftslandschaft bringt für Forschende enorme Unsicherheiten und Unklarheiten für die wissenschaftliche Perspektive nach der Promotion mit sich.
Zudem identifizierten viele Teilnehmenden eine ‚diffuse Unvorbereitetheit‘ bei der Orientierung in dieser Forschungslandschaft nach der Promotion, neben der eigenen wissenschaftlichen Orientierung für den weiteren Forschungsweg. Hinzu kommt die oft implizit kommunizierte Anforderung, für möglichst viele zukünftige Optionen auf „mehreren Forschungs-Hochzeiten“ tanzen zu müssen und ein hoher Anspruch an geographische Mobilität durch häufige Anstellungswechsel. Im Allgemeinen wird eine Bereitschaft, sich bundesweit oder international zu bewegen, vorausgesetzt. Jedoch müssen alle Early-Career-Wissenschaftler*innen den Anspruch an geografische Mobilität mit einem Privat- und Familienleben verknüpfen. Dabei sind individuelle und kreative Lösungen notwendig.
Letztendlich erschweren unklare und fast immer nicht formalisierte Evaluationskriterien für eine Dauerstelle die eigene wissenschaftliche Ausrichtung und Schwerpunktsetzung. Dies verstärkt sich vor allem durch die Auswahl von nicht-professoralen Forschenden gemäß der Marktlogik des deutschen Wissenschaftssystems anstelle strukturierter Evaluation an Universitäten, sowie durch den de facto Ausschluss aus dem Wissenschaftsmarkt sechs Jahre nach der Promotion.
Lösungswege
In der Diskussion um Lösungswege erarbeiteten die Teilnehmenden mehrere vor allem individuelle Lösungswege, die für unterschiedliche Forschende einmal mehr und einmal weniger passend sein können. Die sich entwickelnde Grundmaxime ist, der intrinsischen Motivation und der Freude an der eigenen Arbeit als Kompass für Karriereentscheidungen zu folgen. Da überragende, strukturelle Wegweiser derzeit fehlen, scheint es ein passender Weg zu sein, die eigenen wissenschaftlichen Ziele zu verfolgen und Motivationen mit strategischen Überlegungen, Zeitmanagement und Orientierungshilfen durch Kolleg*innen in ähnlichen Positionen zu verbinden. Die eigene Balance auf dem Zwischenweg zwischen Spaß und Strategie ist dabei wichtig.
Auch können erfahrene und vertraute Wissenschaftler*innen eine Orientierungshilfe anbieten. Der offene und meistens informelle Austausch mit anderen Promovierenden und Post-Docs, die durch ähnliche Phasen gehen, kann hier oft sinnvoller sein als mit etablierten Kolleg*innen. Die ehrliche Frage, ob die derzeitigen Ziele und Wege wirklich die richtigen sind und weiterhin eine hohe Motivation für die eigene Forschung bringen, sollten Post-Docs dabei im Hinterkopf behalten. Der Aufbau eines zweiten Standbeins kann in dieser Phase eine weitere strategische Karriereoption sein, wenngleich dies sehr viel Energie und Zeit in Anspruch nehmen kann. Insgesamt kann die große Frage nach einer Zukunft in der Wissenschaft in kleinere Fragen heruntergebrochen werden: Was will ich gerne nach der Promotion tun? Will ich mich für eine Post-Doc-Stelle bewerben und sie gleich annehmen? Welche Stellen werden derzeit angeboten? Passt das Stellenprofil mit meinen Erwartungen? Wo würde ich gerne hin, wenn ich im Ausland arbeiten will? Welche sind die Spezifika des jeweiligen Arbeitsmarktes, und mit welchem zeitlichen Aufwand wäre eine solche Auslandserfahrungen verbunden?
Nichtsdestoweniger sollten sich nicht-professorale Early-Career-Forschende ihre eigenen Leistungen und Erfolge immer wieder in Erinnerung rufen. Wissenschaftliches Arbeiten auf diesem Niveau sind ein Herausstellungsmerkmal, das selbst nur ein geringer Anteil der Akademiker*innen erreicht und über längere Zeit produktiv umsetzen kann. Wenngleich das derzeitige Wissenschaftssystem die angemessene Anerkennung für diese oft international herausragenden Leistungen zu oft verweigert, sollten sich Early-Career-Forschende in dieser Hinsicht umso mehr im offenen Austausch unterstützen und Anerkennung zollen.
Zusammenfassung
Die derzeitige Struktur des deutschen Wissenschaftssystems erschwert die Orientierung und Planung für Forschende nach der Promotion zusätzlich zu den Herausforderungen des eigenen Forschungsprozesses. Nicht-professorale Wissenschaftler*innen sollten die Hürden in dieser fragmentierten und oft planungswidrigen Wissenschaftslandschaft ehrlich im Blick behalten und mögliche, individuelle Lösungsstrategien für sich selbst ständig abwägen. Ein offener Austausch mit Kolleg*innen kann dabei oft sehr unterstützend sein. Welche individuelle Strategie jede*r einzelne Forscher*in auch immer findet, eine ausgewogene Balance zwischen dem Erhalt der eigenen intrinsischen Motivation und strategischen Überlegungen scheint eine gute erste Richtschnur. Diese Balance hilft oft die eigene Vorstellung kontinuierlich mit den sich entwickelnden Bedingungen abzugleichen. Nichtsdestoweniger entlasten diese individuellen Lösungsstrategien nicht von der dringend nötigen, strukturellen Reform des Wissenschaftssystems mit Blick auf nachhaltige Karrierewege für nicht-professoral Forschende in Deutschland und der deutschen Politikwissenschaft.
Über die Autor*innen:
Michael Giesen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen, Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Baptiste Aguila ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Professur für Verwaltungswissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg und Ko-Sprecher des Forums Junge Staats-, Policy- und Verwaltungsforschung (FoJuS), der Nachwuchsorganisation der Sektion "Policy-Analyse und Verwaltungswissenschaft" in der "Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft" (DVPW).
Über die Blogserie:
Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie zur Perspektivtagung 2021 „Nachhaltige Karrierewege in der deutschen Politikwissenschaft: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“. Alle Beiträge berichten von den jeweiligen Online-Workshops am 25. und 26. März, die alle Autor*innen organisiert und durchgeführt haben. Wir danken allen Teilnehmer*innen, Moderator*innen der Workshops, Gästen sowie Zuschauenden der Podiumsdiskussion und dem Vorstand der DVPW für ihr großes Engagement, Interesse und Unterstützung der Tagung. Wir hoffen damit die Diskussion über nachhaltige Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen unten den Wissenschaftler*innen, innerhalb der DVPW und des deutschen Wissenschaftssystems voranbringen zu können.
Weitere Beiträge der Blogserie:
Nachhaltige Karrierewege? Fazit und Handlungsempfehlungen