Die Reform des Bundestagswahlrechts, auf die sich die Große Koalition im August dieses Jahres einigen konnte, wird gemeinhin nicht als großer Wurf gesehen. Im Fahrwasser der eigentlichen Reform aber wurde eine Kommission aus Politiker*innen und Wissenschaftlicher*innen auf den Weg gebracht, die sich mit weitreichenden Fragen rund um das Wahlrecht befassen soll – u.a. mit einer möglichen Absenkung des Wahlalters für Bundestagswahlen. Es mag überraschen, aber wir verfügen tatsächlich über nur wenige empirische Erkenntnisse über Chancen und Risiken eines abgesenkten Wahlalters. Stimmt es etwa, dass junge Menschen sich weniger, ja vielleicht sogar zu wenig für Politik interessieren, wie Skeptiker*innen gerne vermuten? Und falls das stimmt: Ist ihr Interesse geringer, weil sie nicht wählen dürfen? Warum sollte man sich für etwas interessieren, an dem man ohnehin nicht teilnehmen darf – was Befürworter*innen gerne als Argument einbringen? Dieser Beitrag präsentiert die Ergebnisse der Jugendwahlstudie zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September 2019.
Globale Klimagovernance ist zu einem Experimentierfeld für neue Regulierungsformen geworden. Das war historisch nicht unbedingt so angelegt. Internationale Klimapolitik gründet zunächst auf der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Framework Convention on Climate Change, UNFCCC). Die ab 1995 regelmäßig abgehaltenen Klimakonferenzen (COPs) mündeten dann 1997 in das Kyoto Protokoll. Nach dem Vorbild der Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht legt dieses Vertragswerk rechtlich verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen in Industriestaaten fest, und sieht die Bereitstellung von Finanzmitteln für Klimaanpassung und saubere Energiegewinnung in Entwicklungsstaaten vor. Dieser Ansatz gilt heute als gescheitert. Besiegelt wurde sein Ende durch die erfolglosen Verhandlungen über ein Kyoto-Nachfolgeabkommen in Kopenhagen im Jahr 2009. Entscheidend war dabei der Widerstand der USA, aber auch großer Schwellenländer wie China, gegen verbindliche Emissionsreduktionsverpflichtungen. Die folgende Neuausrichtung der Verhandlungen mündete 2015 in das Übereinkommen von Paris (Englisch „Paris Agreement“).
Die Vereinten Nationen (United Nations, UN) werden in diesem Herbst 75, doch dies ist nicht der einzige besondere Geburtstag in der UN-Familie – auch die UN-Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (Convention on Certain Conventional Weapons, CCW) wurde im Oktober vierzig Jahre alt. Für die CCW war diese Zeit weniger erfolgreich als für die humanitäre Rüstungskontrolle insgesamt: Nur einer von drei wichtigen Verträgen (das Protokoll über blindmachende Laserwaffen) konnte in der CCW verabschiedet werden, während die beiden anderen (die Konventionen zu Antipersonenminen und zu Streumunition) außerhalb der UN zu Ende verhandelt werden mussten, nachdem in der CCW keine Einigung möglich war. Seit einigen Jahren diskutiert die Konferenz über autonome Waffensysteme – und die Option, die CCW zu verlassen, um eine verbindliche Regulierung zu erringen, steht erneut im Raum. Warum dies keine gute Lösung ist und welcher prozedurale Schritt angeraten ist, um Beschlüsse in der CCW zu ermöglichen, diskutiert dieser Beitrag.
Die COVID-19 Pandemie wird gerne als eine Rückkehr zum Gesundheits-Nationalismus, als der Anfang vom Ende der Globalisierung und als symptomatisch für die Handlungsunfähigkeit internationaler Organisationen, allen voran der Vereinten Nationen (UN), charakterisiert. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die stark nach innen gewandte öffentliche Debatte und Medienberichterstattung über die Pandemie. So standen die Vereinten Nationen im Jahr 2020 vor allem im Kontext des Austritts der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Debatte über das Versagen der WHO als Frühwarnsystem bei Gesundheitsnotständen im Rampenlicht. Die Gleichzeitigkeit der Pandemie und des 75-jährigen Jubiläums der Vereinten Nationen wirft daher die Frage auf, welchen Einfluss die Vereinten Nationen gegenwärtig und auch in Zukunft auf globale Gesundheitspolitik haben werden. Dieser Beitrag stellt kurz dar, wie sich die institutionelle (Un-)Ordnung globaler Gesundheitspolitik über Zeit verändert hat und welche Herausforderungen sich für insbesondere für die WHO in einer komplexen Landschaft traditioneller und hybrider, öffentlicher und privater Akteure stellen. Aufbauend darauf entwirft der Beitrag abschließend drei Szenarien für die Zukunft der globalen Gesundheitspolitik.
Carl von Clausewitz (1780–1831) ist auch heute noch ein wichtiger Stichwortgeber in politikwissenschaftlichen und verteidigungspolitischen Debatten. Insbesondere seine Aussage, der Krieg sei eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, ist zu einem geflügelten Wort geworden. Allerdings wirkt es manchmal etwas befremdlich, wie die Gedanken des immerhin seit fast zwei Jahrhunderten toten preußischen Generals auf gegenwärtige theoretische und politische Probleme bezogen werden. In diesem Blog-Beitrag umreiße ich die gängigen Positionen zur „Aktualität“ von Clausewitz und plädiere für eine genealogische Lesart, die seinen Einfluss auf die politische Praxis der Gegenwart betont.
Im Zuge der Corona-Pandemie warfen die USA der Weltgesundheitsorganisation vor, bei ihrem Krisen-Management zu versagen, und gaben ihr die Schuld für die verspätete Reaktion auf den Virus. Dies ist kein Einzelfall. Wo immer die Politiken internationaler Organisationen (IOs) nicht die gewünschten Konsequenzen haben, versuchen die Regierungen der Mitgliedsstaaten typischerweise, die Verantwortung auf sie abzuwälzen. Dies ist umso attraktiver, da IOs als gute Sündenböcke gelten: Sie müssen sich weniger zur Wehr setzen, weil sie sich nicht demokratischen Wahlen zu stellen haben. Sie können sich weniger zur Wehr setzen, weil sie in der Öffentlichkeit weniger Gehör finden. Sie wollen sich weniger zur Wehr setzen, weil sie von den Regierungen der Mitgliedsstaaten abhängen und Rücksicht nehmen müssen.
Politische Debatten über Immigration sind in der Öffentlichkeit demokratischer Einwanderungsstaaten allgegenwärtig. Seit den 1980er-Jahren wird auch in der normativen politischen Theorie heftig über die Frage gestritten, ob liberale Demokratien das Recht haben, Einwanderung zu kontrollieren und zu begrenzen. Dass faktisch alle Staaten dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, ist unbestreitbar. Die Frage ist, ob Einwanderungskontrolle aus demokratischer Sicht normativ gerechtfertigt werden kann.
Regionalorganisationen wie die EU haben zum Teil weitreichende Kompetenzen über ihre Mitgliedstaaten. Prominente Beispiele sind das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts gegen den Europäischen Gerichtshof, in dem das höchste deutsche Gericht dem europäischen Gericht Kontrollversagen vorwirft, oder um die Forderung des EU-Parlaments nach stärkeren Sanktionen gegen Ungarn, das nach internationalen Demokratieindizes nicht mehr als „demokratisch“ gelten kann: Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen ringen nicht nur um wechselseitige Kontrolle, sondern der Ruf nach der demokratischen Kontrolle der Organisationen durch entsprechende Organe wird immer lauter.
Die neue Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) nährte eine Reihe hoher Erwartungen. So schürte das Aufkommen des Internets euphorische – teilweise utopische – Visionen, die sich als demokratische Versprechen zusammenfassen lassen. Es wurde u. a. gehofft, dass sich neue Formen der Bürgerbeteiligung etablieren würden, bei denen die Bürger*innen stärker als bislang an öffentlichen Debatten und Entscheidungsprozessen mitwirken – vor allem die zuvor marginalisierten und benachteiligten Teile der Bürgerschaft. Zahlreiche digitale Beteiligungsprojekte blieben allerdings weit hinter den Hoffnungen zurück. Häufig beteiligten sich nur wenige Personen und überdies meist die „üblichen Verdächtigen“ – gut gebildete, politisch interessierte Männer mittleren Alters. Zugleich gab und gibt es gegenteilige Erfahrungen. Wir knüpfen mit unserem Beitrag an die intensiv geführte Diskussion um die Chancen und Risiken der digitalen Demokratie an, indem wir uns auf zwei bislang vernachlässigte Fragen fokussieren: Funktioniert digitale Demokratie am besten auf der lokalen Ebene? Und, genereller gefragt, warum brauchen wir eine räumliche Perspektive auf digitale Demokratie?
Die Problematik der wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheit in westlichen Demokratien hat in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der Veröffentlichung von Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ im Jahr 2014, an Aufmerksamkeit in der politikwissenschaftlichen Forschung gewonnen. Weitgehend etabliert ist ein negativer Einfluss zwischen ökonomischer Ungleichheit und der Wahlbeteiligung. So bleiben Bürger*innen dort häufiger am Wahltag zu Hause, wo größere Ungleichheit herrscht. Dies betrifft sowohl die da oben, die ihre Interessen wirksam über andere Kanäle als das Wählen artikulieren können, als auch die da unten, die wenig Sinn in der Beteiligung an einem System sehen, das ihre Interessen ohnehin nicht zu vertreten scheint.