Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Stabile Jugend, der man nicht traut: Politisches Interesse und Wählen mit 16

Die Reform des Bundestagswahlrechts, auf die sich die Große Koalition im August dieses Jahres einigen konnte, wird gemeinhin nicht als großer Wurf gesehen. Im Fahrwasser der eigentlichen Reform aber wurde eine Kommission aus Politiker*innen und Wissenschaftlicher*innen auf den Weg gebracht, die sich mit weitreichenden Fragen rund um das Wahlrecht befassen soll. Neben der Frage nach dem Umgang mit der (Über?)Größe des Bundestags soll sich diese Kommission auch mit Fragen der Repräsentation von Frauen und einer möglichen Absenkung des Wahlalters für Bundestagswahlen beschäftigen.

Die Diskussion um das Wahlalter

Das Wahlalter steht damit schon zum zweiten Mal in diesem Jahr im Licht der Öffentlichkeit. Schon Ende Juli hatte der 50. Jahrestag der Änderung des Grundgesetzes genau dafür gesorgt: Am 31. Juli 1970 war nämlich das (aktive) Wahlalter von 21 auf die noch heute geltenden 18 Jahre gesenkt worden. Rund um den Jahrestag wurde diskutiert, ob eine weitere Absenkung des Wahlalters wünschenswert oder sogar geboten sei. Deutlich wurde in dieser Debatte: Eine Absenkung des Wahlalters ist weiterhin zwischen den Parteien umstritten: SPD, Grüne, Linke und inzwischen auch die FDP sind dafür, Union und AfD dagegen. Vor allem aber wurde wieder einmal klar, dass viele Argumente sowohl von Befürworter*innen als auch von Gegner*innen einer Absenkung eher auf Vermutungen und Annahmen als auf gesicherten empirischen Erkenntnisse beruhen. Stimmt es etwa, dass junge Menschen sich weniger, ja vielleicht sogar zu wenig für Politik interessieren, wie Skeptiker*innen gerne vermuten? Und falls das stimmt: Ist ihr Interesse geringer, weil sie nicht wählen dürfen? Warum sollte man sich für etwas interessieren, an dem man ohnehin nicht teilnehmen darf – was Befürworter*innen gerne als Argument einbringen?

Es mag überraschen, aber wir verfügen tatsächlich über nur wenige empirische Erkenntnisse über Chancen und Risiken eines abgesenkten Wahlalters. In speziellen Jugendstudien werden selten Fragen zu Wahlen gestellt, und in Wahlstudien werden zu wenige junge Menschen befragt, gerade auch solche im Alter von 16 oder 17 Jahren. Diese Lücke wollten wir schließen und haben dafür die zeitgleich durchgeführten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September 2019 zum Anlass für eine Studie genommen. Der Clou dabei: unterschiedliche Wahlaltersgrenzen. In Brandenburg durften 16- und 17-Jährige an der Wahl teilnehmen, in Sachsen nicht.

Die Jugendwahlstudie 2019

Wir haben 6.699 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren aus beiden Bundesländern befragt, basierend auf einer registergestützten Online-Befragung: Wie halten sie es mit dem politischen Interesse? Wächst das Interesse mit dem Älterwerden an und erreicht erst ab einem bestimmten Alter ein ausreichendes Niveau? Das wäre Wasser auf die Mühlen der Skeptiker*innen. Oder sehen wir Unterschiede bei den 16- und 17-Jährigen, die daraufhin deuten, dass sich die wahlberechtigten jungen Menschen in Brandenburg sehr viel stärker für Politik interessieren als ihre Altersgenoss*innen in Sachsen? Das wäre eher Wasser auf die Mühlen der Befürworter*innen einer Absenkung.

Wir sehen … nichts. 16- und 17-Jährige, ja sogar 15-Jährige, sind in beiden Bundesländern genauso interessiert wie junge Erwachsene. „Die Jugend ist stabil“, könnte man jugendsprachlich sagen, was auch die folgende Abbildung anhand ihrer flachen Linien zeigt. Das Interesse junger Menschen liegt – im Durchschnitt – auf einem mittleren Niveau, wie wir es auch bei den etwas weniger jungen Menschen in unserer Studie in ähnlicher Weise sehen.

Abbildung 1: Politisches Interesse bei jungen Menschen in Brandenburg und Sachsen

Abbildung 1: Politisches Interesse bei jungen Menschen in Brandenburg und Sachsen

Zumindest aus dieser Warte betrachtet spricht demnach wenig gegen eine Absenkung des Wahlalters. Im Lichte dieser Ergebnisse sollte man nicht mehr auf ein zu geringes Interesse junger Menschen verweisen, was sich empirisch so nicht zeigen lässt. Gleichzeitig erhöht sich das Interesse auch nicht allein durch das Einräumen des Wahlrechts.

Ob es früher oder später tatsächlich zu einer Absenkung des Wahlalters kommt, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Offene Türen rennt man mit diesem Reformvorschlag in der Bevölkerung jedenfalls nicht ein, wie Bevölkerungsumfragen regelmäßig zeigen. Es dominiert die Skepsis. Und selbst unsere Befragung junger Menschen bestätigt das. Nur eine knappe Mehrheit der 15- bis 24-jährigen Befragten in Brandenburg – also in dem Land, in dem 16- und 17-Jährige schon seit einiger Zeit bei Landtagswahlen wählen dürfen, unterstützt eine Absenkung des Wahlalters bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre. Dabei sind es vor allem die unter 18-Jährigen, die eine Absenkung unterstützen, die Älteren unter den Befragten sind dagegen skeptischer. Noch deutlicher tritt dieses Muster in Sachen hervor: Die Skepsis ist insgesamt größer, nimmt aber auch dort mit dem Älterwerden zu.

Allzu großes Vertrauen ihrer Mitmenschen – und seien sie auch selbst der Jugend gerade erst entwachsen – genießt die stabile Jugend nicht so recht.

 

Über die Autoren:

Thorsten Faas ist Professor und Leiter der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Arndt Leininger ist Postdoc an der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Dieser Blogbeitrag basiert auf der Jugendwahlstudie 2019, welche die Autoren mit Unterstützung der Otto-Brenner-Stiftung durchgeführt haben. Die Ergebnisse der Studie lassen sich im Arbeitspapier 41 „Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte um die Absenkung des Wahlalters” der Otto-Brenner-Stiftung nachlesen.