Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

75 Jahre Vereinte Nationen, 30 Jahre globale Klimagovernance: Zwischen Transformationsdynamik und kollektivem Beschwörungsritual

Globale Klimagovernance ist zu einem Experimentierfeld für neue Regulierungsformen geworden. Das war historisch nicht unbedingt so angelegt. Internationale Klimapolitik gründet zunächst auf der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Framework Convention on Climate Change, UNFCCC). Die ab 1995 regelmäßig abgehaltenen Klimakonferenzen (COPs) mündeten dann 1997 in das Kyoto Protokoll. Nach dem Vorbild der Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht legt dieses Vertragswerk rechtlich verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen in Industriestaaten fest, und sieht die Bereitstellung von Finanzmitteln für Klimaanpassung und saubere Energiegewinnung in Entwicklungsstaaten vor.

Dieser Ansatz gilt heute als gescheitert. Besiegelt wurde sein Ende durch die erfolglosen Verhandlungen über ein Kyoto-Nachfolgeabkommen in Kopenhagen im Jahr 2009. Entscheidend war dabei der Widerstand der USA, aber auch großer Schwellenländer wie China, gegen verbindliche Emissionsreduktionsverpflichtungen.

Klimaschutz durch Freiwilligkeit und regelmäßige Revisionszyklen

Die folgende Neuausrichtung der Verhandlungen mündete 2015 in das Übereinkommen von Paris (Englisch „Paris Agreement“). Dessen formale Eckpfeiler sind:

  1. das Langfristziel, die globale Erwärmung auf „deutlich unter 2°C“ und besser noch 1,5°C zu begrenzen, und dazu die globalen Emissionen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf „Nettonull“ zu senken, sodass nicht mehr Emissionen ausgestoßen werden, als von Wäldern oder anderen (natürlichen oder künstlichen) CO2-Senken aufgenommen werden können;
  2. ein Bottom-Up-Ansatz, der die Vorlage von frei bestimmbaren Klimapolitik-Plänen (NDCs) durch alleVertragsstaaten vorsieht;
  3. darüber hinaus werden auch substaatliche und private Akteure aufgefordert, Selbstverpflichtungen zu erstellen;
  4. schließlich ein zyklischer Revisionsprozess, bei dem alle 5 Jahre Umsetzung und Angemessenheit der kollektiven Anstrengung geprüft werden, bevor neue Klimapläne vorgelegt werden.

Der Wandel in der Klimagovernance steht beispielhaft für breitere globale Trends. Governance-Arrangements wie das Übereinkommen von Paris, aber auch die Open Method of Coordination der Europäischen Union oder der Sustainable Development Goals (SDGs) Prozess der Vereinten Nationen, gründen nicht mehr auf der Formulierung verbindlicher substantieller Verhaltensregeln für Staaten und Firmen. Sie beschränken sich vielmehr auf Strategien indirekter Koordinierung, indem Ziele formuliert, Transparenzpflichten definiert und Überprüfungsverfahren eingerichtet werden. Zudem verweist der post-Paris-Prozess auf die zunehmende Bedeutung privater Akteure in der globalen Politik. Unternehmensverbände, Städtenetzwerke und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) formulieren globale Normen, einigen sich auf Standards und treffen kollektiv verbindliche Entscheidungen, die sie z.T. auch mit eigenen Ressourcen umsetzen. Diesem Aufstieg privater Autorität wird mit dem Pariser Abkommen Rechnung getragen.

Ein positives Narrativ für die globale ökologische Wende

In einem kürzlich veröffentlichten Artikel in International Politics schlagen wir vor, diese neue Form globaler Klimapolitik als beschwörende Governance (bzw. incantatory governance) zu fassen. Damit verweisen wir auf ein weiteres Merkmal des post-Paris-Prozesses, dem bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Die zentrale Rolle symbolischer und diskursiver Elemente, also etwa von Erzählungen, Inszenierungen und kommunikativen Techniken. „Das Pariser Übereinkommen muss eine selbsterfüllende Prophezeiung sein“, erklärte die französische Delegationsleiterin in Paris, Laurence Tubiana, kurz nach der Pariser Klimakonferenz in der Zeitung Libération (17.12.2015). In dieser „Prophezeiung“ wird die Verabschiedung des 1,5°C-Ziel durch die Staatengemeinschaft als Signal einer unausweichlichen globalen ökologischen Wende gedeutet, an dem wirtschaftliche und politische Akteure ihr Handeln neuausrichten sollen. Ähnlich formuliert es die ehemalige Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention Cristiana Figueres in ihrem Buch The Future We Choose. „Im Moment sind die Geschichten, die wir uns erzählen, nicht sehr inspirierend,“ schreibt sie da, und fährt fort: „Aber… wenn die Geschichte sich ändert, ändert sich alles“ (S. 158). Nach dieser Vorstellung sollen internationale Organisationen vor allem performativ Wirkung entfalten, d.h. durch das bloße Verbreiten von Erzählungen und das Prägen gemeinsamer Sichtweisen, die wiederum die Erwartungshorizonte privater und politischer Akteure verändern. Wenn alle glauben, dass die ökologische Wende zu einer 1,5°C Welt unausweichlich sei, und ihre Investitions- und Politikentscheidungen danach ausrichten, dann, so die Logik, wird diese Wende auch wahrscheinlicher.

Dieses positive Narrativ geriet schon zwei Jahre nach Paris gehörig unter Druck, als der neugewählte Präsident Donald Trump erklärte, dass die USA das Übereinkommen verlassen wollen. Unter dem Hashtag WeAreStillIn bildete sich daraufhin ein breites Bündnis aus US-amerikanischen Staaten, Städten und Unternehmen. Diese bekräftigten, am Übereinkommen festhalten zu wollen und stellten in einem eigens dafür eingerichteten Pavillon auf der Klimakonferenz COP23 in Bonn im November 2017 ihre Klimapläne vor. Damit stand in Bonn nicht die Staatengemeinschaft, sondern die globale Zivilgesellschaft im Fokus der Medienöffentlichkeit.

Diese Verschiebung zeigte sich auch auf der COP25 in Madrid im letzten Jahr. Der erste Ort, an dem alle Besucher*innen des Konferenzzentrums vorbeikamen, war der sogenannte „Climate Action Hub“. Hier stellten Firmen, Städte und Investoren ihre Erfolgsmodelle zur Emissionsreduktion vor, es wurden Podiumsdiskussionen abgehalten und inspirierende TED-Talks gegeben. Den Höhepunkt bildete die „Climate Action Award Ceremony“ in der zweiten Konferenzwoche, während der besonders innovative Unternehmen und zivilgesellschaftliche Initiativen ausgezeichnet wurden. Verliehen wurden die Preise durch Bertrand Piccard, bekannt als Abenteurer und Vorsitzender der Solar Impulse Foundation. Piccard beschreibt sich selbst als pragmatischen Macher, der das Gute mit dem Profitablen verbinden möchte. Solche „Lösungs-Botschafter“ sind gefragt im post-Paris-Prozess. So sollen „High Level Champions“ aus der Zivilgesellschaft die Aktivitäten nichtstaatlicher Akteuren bündeln. Das passiert aktuell zum Beispiel im Rahmen der „Race To Zero“-Kampagne. Dabei verpflichten sich Unternehmen, Städte und andere Akteure dazu, bis zu einem selbstgewählten Zeitpunkt CO2-neutral zu werden.

Diese positive Kommunikation kontrastiert allerdings mit der zunehmenden Dringlichkeit der Klimakrise. So zeigte etwa das Symbol der COP25 eine stilisierte Uhr, deren Ziffern auf 12 Uhr zulaufen. Im Zentrum des neuen Governance-Ansatzes steht daher die Spannung zwischen der Notwendigkeit, den positiven Diskurs über eine fortschreitende globale ökologische Wende aufrechtzuhalten und der Zuspitzung der globalen Klimakrise.

Die kommende Krise der globalen Klimagovernance

Noch deutlicher wird diese Spannung, wenn wir uns die bevorstehenden Etappen des post-Paris-Prozesses vor Augen führen. Der nächste Zyklus beginnt 2023 mit einem „globalen Kassensturz“, bei dem die bisherigen kollektiven Anstrengungen bewertet werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Staatengemeinschaft weit davon entfernt ist, ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Auch die kürzlich erfolgte Ankündigung Chinas, bis 2060 klimaneutral werden zu wollen, ändert daran nicht grundsätzlich etwas. Mitte der 2020er Jahre wird zudem voraussichtlich auch die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur zum ersten Mal 1,5°C überschreiten – momentan stehen wir bei 1,3°C. Damit wäre die Zielmarke für alle sichtbar gerissen.

Absehbar ist also, dass es um 2025 zu einer größeren Krise der globalen Klimagovernance kommen wird. Vor diesem Hintergrund haben wir im Center for Sustainable Society Research (CSS) in unserem Bericht zur COP25 drei plausible Zukunftsszenarien formuliert.

Das erste, Aushöhlung, beschreibt eine zunehmend polarisierte Welt, in der der Prozess der Klimaverhandlungen zwar weitergeht, aber de facto immer irrelevanter wird. Die Paris-Prophezeiung kollabiert. Staaten gehen eigene Wege, was Investitionen in Erneuerbare Energien, aber auch Initiativen zur technischen Klimakontrolle durch Geoengineering angeht. Entwicklungsstaaten werden mit den Folgen des Klimawandels weitgehend alleine gelassen.

Fragmentierung, das zweite Szenario, geht zunächst von ähnlichen Annahmen aus. Trotz einiger Fortschritte wird um 2025 immer klarer, dass Freiwilligkeit alleine nicht ausreicht. In der Folge kommt es zu forum shifting Strategien und es bilden sich konkurrierende internationale Regime aus. Klimapolitik wird in anderen internationalen Foren vorangetrieben, wie zum Beispiel den G7- und G20-Konferenzen. Dadurch wird Klimagovernance aber auch undemokratischer, da Länder des globalen Südens hier weniger Einflussmöglichkeiten haben.

Das letzte Szenario, Metamorphose, geht davon aus, dass positive Dynamiken im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die globale Klimagovernance erneuert. Klimagipfel werden ausgebaut zu globalen Großereignissen, in denen die Lösungsstrategien von Staaten, Unternehmen und Städten öffentlich und kontrovers diskutiert werden. Andererseits wird die freiwillige Architektur des Pariser Abkommens flankiert durch weitergehende, verbindliche Vereinbarungen, etwa zum Ausstieg aus fossilen Energien, zur Dekarbonisierung spezifischer Wirtschaftssektoren, zur klimafreundlichen Neuordnung des Welthandels und zur Regulierung von Geoengineering-Initiativen.

Die Zukunft der „Paris-Prophezeiung“ ist also offen.

 

Über den Autor:

Stefan Aykut ist Juniorprofessor für Soziologie an der Universität Hamburg, Direktor des Centre for Sustainable Society Research (CSS) an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg sowie Projektleiter am Exzellenz-Cluster Climate, Climatic Change and Society (CLICCS). Er ist seit 2019 Träger des Heinz-Maier-Leibnitz-Preises für Nachwuchsforscher*innen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zuletzt publizierte er Globalising the climate. COP21 and the climatisation of global debates (Routledge, 2017), sowie Climatiser le monde (Quae, 2020).

Dieser Blog-Beitrag geht auf die Diskussionsrunde "75 Jahre Charta der Vereinten Nationen" im Rahmen der DVPW-Veranstaltungsreihe "Politikwissenschaft im Gespräch" zurück. Anlässlich des Gründungsjubiläums der Vereinten Nationen am 24. Oktober 2020 haben Stefan Aykut, Anna Holzscheiter und Elvira Rosert Bilanz und Perspektiven internationaler Zusammenarbeit in den Bereichen Klima, Gesundheit und Sicherheit diskutiert.