Im Zuge der Corona-Pandemie warfen die USA der Weltgesundheitsorganisation vor, bei ihrem Krisen-Management zu versagen, und gaben ihr die Schuld für die verspätete Reaktion auf den Virus. Dies ist kein Einzelfall. Wo immer die Politiken internationaler Organisationen (IOs) nicht die gewünschten Konsequenzen haben, versuchen die Regierungen der Mitgliedsstaaten typischerweise, die Verantwortung auf sie abzuwälzen. Dies ist umso attraktiver, da IOs als gute Sündenböcke gelten: Sie müssen sich weniger zur Wehr setzen, weil sie sich nicht demokratischen Wahlen zu stellen haben. Sie können sich weniger zur Wehr setzen, weil sie in der Öffentlichkeit weniger Gehör finden. Sie wollen sich weniger zur Wehr setzen, weil sie von den Regierungen der Mitgliedsstaaten abhängen und Rücksicht nehmen müssen.
Politische Debatten über Immigration sind in der Öffentlichkeit demokratischer Einwanderungsstaaten allgegenwärtig. Seit den 1980er-Jahren wird auch in der normativen politischen Theorie heftig über die Frage gestritten, ob liberale Demokratien das Recht haben, Einwanderung zu kontrollieren und zu begrenzen. Dass faktisch alle Staaten dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, ist unbestreitbar. Die Frage ist, ob Einwanderungskontrolle aus demokratischer Sicht normativ gerechtfertigt werden kann.
Regionalorganisationen wie die EU haben zum Teil weitreichende Kompetenzen über ihre Mitgliedstaaten. Prominente Beispiele sind das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts gegen den Europäischen Gerichtshof, in dem das höchste deutsche Gericht dem europäischen Gericht Kontrollversagen vorwirft, oder um die Forderung des EU-Parlaments nach stärkeren Sanktionen gegen Ungarn, das nach internationalen Demokratieindizes nicht mehr als „demokratisch“ gelten kann: Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen ringen nicht nur um wechselseitige Kontrolle, sondern der Ruf nach der demokratischen Kontrolle der Organisationen durch entsprechende Organe wird immer lauter.
Die neue Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) nährte eine Reihe hoher Erwartungen. So schürte das Aufkommen des Internets euphorische – teilweise utopische – Visionen, die sich als demokratische Versprechen zusammenfassen lassen. Es wurde u. a. gehofft, dass sich neue Formen der Bürgerbeteiligung etablieren würden, bei denen die Bürger*innen stärker als bislang an öffentlichen Debatten und Entscheidungsprozessen mitwirken – vor allem die zuvor marginalisierten und benachteiligten Teile der Bürgerschaft. Zahlreiche digitale Beteiligungsprojekte blieben allerdings weit hinter den Hoffnungen zurück. Häufig beteiligten sich nur wenige Personen und überdies meist die „üblichen Verdächtigen“ – gut gebildete, politisch interessierte Männer mittleren Alters. Zugleich gab und gibt es gegenteilige Erfahrungen. Wir knüpfen mit unserem Beitrag an die intensiv geführte Diskussion um die Chancen und Risiken der digitalen Demokratie an, indem wir uns auf zwei bislang vernachlässigte Fragen fokussieren: Funktioniert digitale Demokratie am besten auf der lokalen Ebene? Und, genereller gefragt, warum brauchen wir eine räumliche Perspektive auf digitale Demokratie?
Die Problematik der wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheit in westlichen Demokratien hat in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der Veröffentlichung von Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ im Jahr 2014, an Aufmerksamkeit in der politikwissenschaftlichen Forschung gewonnen. Weitgehend etabliert ist ein negativer Einfluss zwischen ökonomischer Ungleichheit und der Wahlbeteiligung. So bleiben Bürger*innen dort häufiger am Wahltag zu Hause, wo größere Ungleichheit herrscht. Dies betrifft sowohl die da oben, die ihre Interessen wirksam über andere Kanäle als das Wählen artikulieren können, als auch die da unten, die wenig Sinn in der Beteiligung an einem System sehen, das ihre Interessen ohnehin nicht zu vertreten scheint.
In seiner Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag im März 2017 diagnostizierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier deutliche Tendenzen einer erodierenden liberalen Demokratie. Unter Bezug auf seinen Vorgänger Joachim Gauck wiederholte er dessen mahnende Worte: „Die liberale Demokratie steht unter Beschuss“. Diesem Leitsatz folgend, eröffnete Bundespräsident Steinmeier den DVPW-Kongress „Grenzen der Demokratie – Frontiers of Democracy“ im Herbst 2018 mit der Forderung, eine „breite Debatte über die Demokratie – über ihren Sinn, ihren Wert, über Erfahrungen, Möglichkeiten und Grenzen“ zu führen.