Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Multilateralism in Uncertain Times – Challenges and Opportunities in Transatlantic Relations. Ein Lehrprojekt von Jakob Wiedekind

Autor: Jakob Wiedekind

1. Von der Idee zur Umsetzung

Das Bachelor-Vertiefungseminar „Multilateralism in Uncertain Times – Challenges and Opportunities in Transatlantic Relations“ verfolgte drei grundsätzliche Ziele: den Aufbau des transatlantischen und interkulturellen Austauschs, die Förderung projektbasierter und internationaler Zusammenarbeit zwischen Studierenden, sowie die innovative Integration der Vorteile von Online- und Präsenz-Lehre zugunsten des Lernerfolgs aller Beteiligten. Ausgehend von der grundlegenden Idee, den Studierenden einen echten transatlantischen Dialog zu ermöglichen, begann ich während meiner Zeit als Visiting Scholar an der University of North Carolina at Chapel Hill (UNC) die übliche Seminarstruktur konzeptionell zu erweitern, um die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Seite zu integrieren. Da das Semester in den USA während meines Aufenthalts (Sep.-Okt. 2021) bereits in vollem Gange war, konnte ich mit den Master-Studierenden der UNC vor Ort Vorgespräche führen und die Gruppe kennenlernen. Schnell kristallisierten sich in den Gesprächen sowie im Rahmen der eigenen Vorbereitungen sechs Themenschwerpunkte für die transatlantischen Gruppenprojekte heraus: Transatlantic Security (Fokus: Russland), Transatlantic Security (Fokus: China), Energy Transformation, Trade and Technology, Climate Change und Immigration Policy. Jede Gruppe bestand aus fünf bis sechs Personen und war mit Studierenden der UNC und der Leibniz Universität besetzt. Schon vor der ersten transatlantischen Online-Sitzung habe ich die studentischen Präferenzen abgefragt und die Gruppen zugeteilt.

 

2. Die konzeptionellen Details

Konzeptionell war das Seminar so angelegt, dass vor der entsprechenden Online-Live-Session mit der UNC (abends) die Themen in meiner Präsenz-Seminarsitzung (nachmittags) vorbesprochen und offene Fragen zum Ablauf geklärt wurden. Insgesamt gab es drei transatlantische Sitzungen, die jeweils zwei Zeitstunden dauerten. Die erste Sitzung führte die Teilnehmenden zunächst durch den Plan für das projektartige Seminar, bevor sich die Gruppen in Breakout-Sessions mittels eines „Icebreakers“ kennenlernten und begannen an den jeweiligen Themen zu arbeiten. Im Fokus standen dabei zwei inhaltliche Ziele. Erstens, die Herausarbeitung transatlantischer Herausforderungen im Kontext zunehmend unsicherer und multipolarer internationalen Beziehungen sowie, zweitens, die Entwicklung von Ansätzen zu ihrer Bewältigung. Dafür habe ich den Studierenden vorab durch einen Cloud-Dienst der Leibniz Universität Hannover hilfreiche Literatur und nützliche Datensätze zum Einstieg in die Recherche zur Verfügung gestellt. Die zweite Sitzung begann zunächst mit einem Impulsvortrag, den Prof. Dr. Christiane Lemke als Dozentin auf amerikanischer Seite und ich gemeinsam vorbereiteten und vortrugen. Im Anschluss bekam jede Gruppe die Gelegenheit einen Zwischenstand der Arbeit vorzustellen. Vorab hatten wir die Gruppen dazu angehalten, eine*n Gruppensprecher*in zu bestimmen, was die Kommunikation durchaus erleichterte. Die dritte transatlantische Sitzung konzentrierte sich auf die Ergebnispräsentation der einzelnen Gruppen. Jeder Vortrag dauerte ca. 10 Minuten inklusive kurzer Feedbackrunde. Mit der letzten Live-Sitzung war die transatlantische Erfahrung allerdings noch nicht beendet.

 

3. Die „Transatlantic Sessions“

Nach Rücksprache mit dem Center for European Studies der UNC im September 2021 haben wir die Möglichkeit bekommen, die Ergebnisse der themenspezifischen Gruppenarbeiten in Form von Blog-Beiträgen auf der Internetseite der UNC zu veröffentlichen. Dazu haben wir je transatlantischer Gruppe zwei Blog-Teams gebildet, die ein Thema ihres Vortrags in einem Blog-Beitrag vertiefen und ausformulieren konnten. Als zusätzliche Motivation für die Studierenden auf beiden Seiten war es möglich, diese Blog-Beiträge als Studienleistungen anzurechnen, sofern die formalen Vorgaben und inhaltliche Erwartungen erfüllt wurden. Die Studierenden reichten ihre Beiträge Anfang Dezember 2021 ein und bekamen innerhalb kurzer Zeit ausführliches inhaltliches Feedback, das auch im Seminarkontext diskutiert wurde. Nach einer Frist von zwei Wochen für die Überarbeitung reichten die Studierenden die finalen Versionen ein. Im Januar 2022 erfolgte schließlich das Endlektorat, bevor die Beiträge an die Verwaltung des Blogs zum Hochladen übergeben wurden. Durch die Verzahnung von Präsenz- und Online-Lehre konnte ich die Fortschritte der transatlantischen Gruppenarbeit genau verfolgen. Zudem habe ich klare Meilensteine kommuniziert, an die sich die große Mehrheit der Studierenden gehalten hat. Die digitalen Live-Sitzungen ermöglichten es allen Interessierten bei Bedarf auch von Zuhause an dem transatlantischen Austausch mitzuwirken. Für einige wenige war es aufgrund privater oder beruflicher Umstände allerdings nicht möglich an den „Transatlantic Sessions“ teilzunehmen, weshalb es auch die Option gab, eine eher klassische Studienleistung in meinem Seminar zu erbringen. Das ist ein weiteres Beispiel für die gewinnbringende Verknüpfung von Online- und Präsenzlehre, die den Studierenden ein gewisses Maß an Flexibilität bot und zugleich eine ansprechende inhaltliche Struktur darstellte. Als besondere didaktische Strategien stechen aus meiner Sicht die engmaschige Begleitung der Gruppenprojekte sowie die strukturelle Einbindung der transatlantischen Sitzungen hervor. Hinzukommt die Moderation unterschiedlicher Vorwissensstände und verschiedener Anforderungsprofile. Dafür waren die Feedbackrunden, die vorbereitenden Präsenzsitzungen sowie die Taktung der Gruppenphase entscheidend.

 

4. Die Ergebnisse und Erkenntnisse der transatlantischen Kooperation

Die gemeinsame Arbeit an einem speziellen Themengebiet, das von zentraler Bedeutung für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen ist, lud die Teilnehmenden zum Perspektivwechsel ein und förderte das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Positionen. Zusätzlich tauschten sich die Studierenden in Vorbereitung auf die Präsentationen sowie während der Schreibphase für die Blog-Beiträge regelmäßig in unterschiedlichen Online-Formaten untereinander aus, was die interkulturelle Kommunikation abseits des Seminarraums förderte. Die Studierenden hatten mit der Aussicht auf einen publizierten Blog-Beitrag ein gemeinsames Ziel vor Augen, woran sie bis zur Weihnachtspause entschlossen und erfolgreich zusammengearbeitet haben. Um bei möglichen Schwierigkeiten ansprechbar zu sein, habe ich jede Woche eine separate Sprechstunde für dieses Seminar eingerichtet. Dort konnten die Studierenden ohne Anmeldung erscheinen oder sich online mit mir treffen, um Fragen oder Schwierigkeiten zu kommunizieren. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit zeigen insbesondere in Form der Blog-Beiträge ganz deutlich, dass die Studierenden erfolgreich zusammengearbeitet haben. Trotz der gut geplanten Rahmenbedingungen und der kontinuierlichen Betreuung ist es wichtig zu betonen, dass dieses projektartige Seminar nur dank des entschlossenen Engagements der Studierenden auf beiden Seiten erfolgreich sein konnte.

Schlussendlich übersetzten sich die Erfolge und Erkenntnisse aus der transatlantischen Kooperation auch in greifbaren Prüfungserfolg für die Studierenden. Die themenspezifischen Gruppenprojekte regten viele Studierende auf beiden Seiten dazu an, in ihren Prüfungshausarbeiten die Themen, die sie zusammen mit den Studierenden der UNC bearbeitet hatten, aufzugreifen und zu vertiefen. In der Qualität der Argumentationslinien lassen sich durchaus nachhaltige Fortschritte der studentischen Forschung erkennen.

 

Den Seminarplan als PDF finden Sie hier.

Beteiligte Lehrperson:

Prof. Dr. Christiane Lemke führte als Gastprofessorin an der UNC das amerikanische Partnerseminar durch und war für die Vorbereitung sowie für die Ausgestaltung der Kooperation von zentraler Bedeutung.

 

Über den Autor:

Jakob Wiedekind ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Arbeitsbereich „Internationale Beziehungen“ des Instituts für Politikwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. In seiner Forschung beschäftigt er sich hauptsächlich mit den transatlantischen Beziehungen, dem politischen System der USA und der Außenpolitikanalyse. Seine Dissertation trägt den Arbeitstitel „The Assertive Presidency – Understanding Preemptive Executive Pressure on Legislative Outcomes in American Foreign Policy”.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
 
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2022 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Dr. Julia Schwanholz und Dr. Ray Hebestreit für ihr Lehr-Forschungs-Projekt „Smart Cities in Theorie, Empirie und Praxis – Eine Lehrveranstaltung in Kooperation mit der Stadt Wesel“ im Wintersemester 2021/2022 an der Universität Duisburg-Essen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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