Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Exekutiven im Vergleich – Ein zweiteiliges Lehrforschungsseminar. Ein Lehrprojekt von Philipp Köker

Autor: Philipp Köker

Das zweiteilige Lehrforschungsseminar „Exekutiven im Vergleich“ wurde von Dr. Philipp Köker im Wintersemester 2020/21 und Sommersemester 2021 an der Leibniz Universität Hannover durchgeführt. Studierende erarbeiteten im Seminar eigenständig den Forschungsstand zu politischen Exekutiven, dem Zentrum der Macht moderner Regime, und verfassten in Ko-Autor*innenschaft anspruchsvolle Fachaufsätze, die zur Begutachtung eingereicht wurden und im kommenden Jahr publiziert werden sollen.

1. Zielsetzung des Seminars

Das Seminar verfolgte zwei übergeordnete inhaltliche und didaktische Ziele:

Inhaltlich verfolgte das Seminar das Ziel, dass Studierende den aktuellen Stand der vergleichenden Forschung zu politischen Exekutiven in Demokratien, hybriden Systemen und Autokratien kennenlernen, Forschungsansätze und -ergebnisse kritisch reflektieren und sich innerhalb eines selbstgewählten Themenbereichs spezialisieren. Gleichzeitig sollten Sie vertiefte Einblicke in den wissenschaftlichen Publikationsprozess erhalten.

Didaktisch stand die Stärkung studentischer Kompetenzen in der Planung und erfolgreichen Durchführung anspruchsvoller Forschungsprojekte durch einen research-based teaching-Ansatz im Fokus. Pandemiebedingt fand das Seminar als synchrones Online-Format statt, daher lag ein weiterer Schwerpunkt auf der Etablierung einer unterstützenden Arbeits- und Lernatmosphäre im digitalen Raum und der Aktivierung von Studierenden durch abwechslungsreiche Lehrmethoden und -materialien.

2. Veranstaltungsinhalte und Lehrmethoden

Wintersemerster 2020/2021 – Lehrforschungsseminar Teil I (Lektürekurs)

Der erste Teil des Seminars behandelte Forschung zu ausgewählten Aspekten politischer Exekutiven. Im Vordergrund standen dabei die Identifikation empirischer Muster im Verhalten von Exekutiv-Akteuren und sowie die gemeinsame Formulierung deduktiv-theoretischer Erklärungen der Effekte relevanter Institutionen. Ziel von Diskussionen und Gruppenarbeiten war neben der Sicherstellung eines inhaltlichen Verständnisses der Seminarliteratur auch immer die systematische Anleitung zum eigenständigen Transfer von Konzepten und Erklärungen auf neue Fälle und die Reflexion der Anwendung von Methoden und Messinstrumenten. Studierende entwickelten dabei bspw. theoretische Modelle zur Erklärung parlamentarischer Misstrauensvoten, wandten einen Index zur Messung von Presidential Cabinet Power auf afrikanische Präsidialregime an und fungierten als Teilnehmende einer Expert-Survey zur Salienz von Bundesministerien. Über das Semester hinweg erstellten die Studierenden in Kleingruppen Wiki-Seiten zu selbstgewählten Einzelthemen, die neben einer kommentierten Liste relevanter Literatur auch Datenquellen und potentielle Forschungsfragen umfassten. Die Wikis dienten einerseits der eigenständigen Vertiefung von Kenntnissen; andererseits bildeten sie die Grundlage für eigene Forschungsarbeiten im Sommersemester.

Sommersemester 2021 – Lehrforschungsseminar Teil II (Forschungspraktische Anwendung)

Im zweiten Teil des Seminars erarbeiteten Studierende schrittweise einen englischsprachigen Aufsatz in Ko-Autor*innenschaft. Hierbei wurden Elemente eines flipped classroom ins Seminar integriert, indem Studierende bereits vor der Sitzung ein bis zwei von mir produzierte Videos zum Sitzungsthema schauten; die Seminarsitzungen konnten dann flexibel genutzt wurden, um auf weiterführende Fragen einzugehen oder die spezifische Anwendung der Inhalte beim Verfassen der einzelnen studentischen Aufsätze zu besprechen. Literatur zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren wurde dabei durch Entwürfe meiner aktuellen Konferenzpapiere, zuvor erhaltene Fachgutachten und Anfragen von Verlagen illustriert. Um den Studierenden einen tieferen Einblick in die wissenschaftliche Publikationspraxis zu gewähren, waren zudem Herausgeber*innen internationaler Fachzeitschriften – Dr. Veronica Anghel (Government & Opposition) und Dr. Miloš Brunclík (Acta Politologica) – im Seminar zu Gast; in einem weiteren aufgezeichneten Gespräch (mit Marta Kotwas, East European Politics and Societies) wurde die Arbeit des Managing Editor einer Fachzeitschrift erläutert. Während des Seminars formulierten Studierende einzelne Abschnitte ihres Aufsatzes und erhielten von mir in regelmäßigen Abständen Feedback. Zum Abschluss der Vorlesungszeit wurden erste Entwürfe der Aufsätze im Rahmen eines single-blind Peer-Review-Verfahren von Mitstudierenden kommentiert und über die vorlesungsfreie Zeit fertiggestellt.

Nach Bewertung der Arbeiten wurden in Rücksprache mit Dr. Brunclík fünf Arbeiten als besonders vielversprechend erachtet und nach kleineren Überarbeitungen zur Begutachtung eingereicht. Ein Sonderheft mit den Aufsätzen soll nun im Jahr 2023 unter dem Titel „Cabinet ministers in democratic, hybrid and authoritarian regimes: New directions in comparative research on political executives” in Acta Politologica erscheinen.

3. Erfolge der Veranstaltung

(1) Das Seminar schaffte es durchgängig, eine Balance zwischen inhaltlicher Breite und Spezialisierung herzustellen. Dabei ging das Seminar gerade in seinem geographischen Fokus (auch im Sinne eines decolonized curriculum) bewusst über westliche Demokratien hinaus, auf die sich thematisch ähnliche Seminare und Lehrbücher meist begrenzen. Gleichzeitig bot das Seminar Raum für die Entwicklung von Expertise innerhalb selbstgewählter Interessensgebiete – nicht zuletzt durch die zweiteilige Seminarstruktur, die eine längerfristige Beschäftigung mit dem Thema ermöglichte und innerhalb der Bologna-Studiengänge sonst nur schwer umsetzbar ist. Der Erfolg dieser Herangehensweise wird unter anderem durch das Themenspektrum der studentischen Wikis und Aufsätze deutlich. Diese umfassten z.B. Exekutiv-Erlasse in Brasilien, Frauen in der Exekutive Polens und Ungarns, Präsidenten und Kabinette in Sub-Sahara Afrika, und Karrieren von Minister*innen in den Benelux-Staaten.

(2) Der offene Austausch auf Augenhöhe mit dem Dozenten und externen Wissenschaftler*innen sowie die systematische Nutzung von Zwischenevaluationen und Feedbackrunden trugen nicht nur zu einer konstruktiven Lernatmosphäre im Online-Semester bei, sondern konnten die Fähigkeiten der Studierenden auch nachhaltig fördern. Studierende hatten jederzeit die Möglichkeit, in Seminardiskussionen Rückmeldung zu ihrem Fortschritt einzuholen, und erhielten von mir umfangreiches Feedback auf Teil-Entwürfe ihrer Aufsätze. Dies umfasste nicht nur inhaltliche Anmerkungen, sondern auch Hinweise in Bezug auf Sprache und wissenschaftlichen Ausdruck, sodass Studierende auch ihre Fertigkeiten im Schreiben englischer Texte weiterentwickeln konnten. Die fachlich und methodisch höchst anspruchsvollen Arbeiten, die das Seminar hervorgebracht hat, zeugen vom erzielten Lernerfolg.

(3) Das Verfassen (und Einreichen) publikationsfähiger Aufsätze durch Studierende wird an U.S.-Universitäten seit langem erfolgreich praktiziert. Im deutschsprachigen Raum findet dies oft erst – wenn überhaupt – in Promotionskollegs und Graduiertenschulen statt. Auch wenn Ergebnisse von Seminaren inzwischen häufiger der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden – z.B. als Blog Posts, Working Paper auf dem Universitätsserver oder deutschsprachigen Sammelbänden – ist das Einreichen der im Seminar entstandenen Aufsätze zur Begutachtung sowie Publikation bei einer referierten internationalen Fachzeitschrift eine Seltenheit. Dies unterstreicht eindrucksvoll das Potential von Lehrforschungsseminaren zur wissenschaftlichen Ausbildung von Studierenden.

(4) Für das Seminar wurden umfangreiche neue Lehrmaterialien zum wissenschaftlichen Publizieren in Form von Folien, Texten und Videos erstellt. Eine umfassende Einführung in den Publikationsprozess findet im Politikwissenschaftsstudium nur selten statt. Deutschsprachige Lehrbücher richten sich primär an Doktorand*innen bzw. behandeln vornehmlich die Publikation der Dissertation und auch englischsprachige Quellen, die vornehmlich Anwendung fanden, mussten aufgrund ihrer starken Verankerung im nordamerikanischen Hochschulsystem grundlegend angepasst werden. Die Lehrmaterialien bilden nun die Grundlage eines neuen Lehrbuchs des Dozenten zusammen mit Morten Harmening (Universität Bamberg; Vorsitzender der Deutschen Nachwuchsgesellschaft für Politik- und Sozialwissenschaft DNGPS e.V.) unter dem Titel „Von der Haus- und Abschlussarbeit zur wissenschaftlichen Publikation: Studentisches Publizieren in den Politik- und Sozialwissenschaften“ (Springer VS, erscheint 2023).

Das Kurshandbuch als PDF finden Sie hier.

Über den Autor:

Dr. Philipp Köker, PhD,ist Akademischer Rat a. Z. am Institut für Politikwissenschaft, Leibniz Universität Hannover.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
 
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2022 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Dr. Julia Schwanholz und Dr. Ray Hebestreit für ihr Lehr-Forschungs-Projekt „Smart Cities in Theorie, Empirie und Praxis – Eine Lehrveranstaltung in Kooperation mit der Stadt Wesel“ im Wintersemester 2021/2022 an der Universität Duisburg-Essen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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