Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Kompetenzorientierte politikwissenschaftliche Hochschullehre. Das Modell des Constructive Alignment in der Praxis. Ein Lehrprojekt von Michael Angenendt

Projektskizze

1. Rahmenbedingungen und Zielsetzungen der Lehrveranstaltung

Die Lehrveranstaltung „Advanced Party Studies“ wurde im Wintersemester 2021/22 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für Studierende im dritten Studienjahr des Bachelorstudiengangs Philosophy, Politics and Economics (PPE) angeboten. Sie verfolgte das Ziel, den Studierenden vertiefte Kenntnisse in der politikwissenschaftlichen Parteienforschung zu vermitteln und ihre Theorie- und Methodenkompetenz zu stärken. Nach dem Besuch der Lehrveranstaltung sollten die Studierenden deshalb in der Lage sein, unter Berücksichtigung politikwissenschaftlicher Theorien und Methoden und auf Basis aktueller empirischer Befunde, die zentralen Entwicklungen in den Parteien in Europa analysieren und beurteilen zu können. Um dem Bedürfnis der Studierenden nach einer optimalen Prüfungsvorbereitung gerecht zu werden, wurde die Lehrveranstaltung im Sinne des Constructive-Alignment-Ansatzes durchgeführt (Biggs und Tang 2011; Bachmann 2018). Dabei soll möglichst wenig des in der Lehrveranstaltung vermittelten Wissens bei den Studierenden ‚verpuffen‘.

2. Didaktische Methoden zur Zielerreichung

Das zentrale Element des Constructive-Alignment-Ansatzes ist die konstruktive Abstimmung der Lernziele mit dem Lerninhalt und der Prüfungsform (Biggs und Tang 2011, S. 97–100): Indem in der Vorbereitung ein besonderes Augenmerk auf die Lernziele gelegt wird, kann der Herausforderung begegnet werden, dass Dozierende ihre Veranstaltung häufig von den Lehrinhalten aus planen, während Studierende ihren Lernprozess häufig von den Prüfungsanforderungen her gestalten. Durch diese unterschiedlichen Herangehensweisen können für beide Seiten unbefriedigende Situationen entstehen, die dem Lehr- und Lernerfolg abträglich sind (Biggs und Tang 2011, S. 21–22). Der Constructive-Alignment-Ansatz begegnet diesen Herausforderungen ganz grundsätzlich, indem gelehrt wird, was prüfungsrelevant ist. Darüber hinaus sorgt die vorherige Formulierung der Lernziele dafür, dass sowohl geeignete Lehr- und Lernmethoden als auch eine adäquate Prüfungsform ausgewählt und angewendet werden können. Die Abstimmung dieser drei Elemente soll die Ziele der Lehrveranstaltung für Studierende und Dozierende transparent machen und Missverständnissen während des Seminars sowie bei der Prüfungsvorbereitung vorbeugen. Gelingt die konstruktive Abstimmung, wissen die Studierenden, welche Kompetenzen sie in der Lehrveranstaltung erwerben und in der Prüfung unter Beweis stellen sollen, was sich mit den Zielen des Bologna-Prozesses nach kompetenzorientierter Lehre deckt (Tenberg 2014, S. 17–20).

Eine gelungene Anwendung des Constructive-Alignment-Ansatzes setzt voraus, dass sich Dozierende bereits bei der Planung der Veranstaltung mit der Prüfungsform auseinandersetzen (Baumert et al. 2017, S. 18). Konkret bedeutet dies, dass in der Planungsphase evaluiert wird, wie die Grobziele der Veranstaltung (Analysieren und Beurteilen der Entwicklungen in den Parteien) durch die vorgegebene Prüfungsform (Studienarbeit) sinnvoll geprüft werden können. In diesem Sinne wird die Veranstaltung von ihrem Ende her – also von der Prüfungsform aus – konzipiert und somit das Risiko minimiert, Lernziele zu formulieren, die nicht adäquat geprüft werden können. Zur optimalen Formulierung der Lernziele dienen indes Lernzieltaxonomien, die verschiedene Schwierigkeitsgrade des Wissenserwerbs definieren und Dozierenden wie Studierenden helfen, die zu erwerbenden Kompetenzen zu verbalisieren (Biggs und Tang 2011, S. 118–120; Frölich-Steffen et al. 2019).   

Da die Studierenden nach Besuch der Lehrveranstaltung in der Lage sein sollten, politische Prozesse zu analysieren und kritisch zu beurteilen, sollte sich der Lehrinhalt nicht ausschließlich auf die Vermittlung von Sachinformationen beschränken. Vielmehr stand die Vermittlung von Analyse- und Problemlösungskompetenzen im Vordergrund, die die Studierenden in ihrer Studienarbeit anhand der Beantwortung einer selbstentwickelten Fragestellung demonstrieren sollten. In der Seminarpraxis stand folglich forschungs- und problemorientiertes Lernen im Mittelpunkt (Zumbach 2006).

3. Praxisphase der Lehrveranstaltung

Um den Studierenden die Lernziele und den Beurteilungsmaßstab transparent darzulegen, wurden zu Beginn der Lehrveranstaltung die Beurteilungskriterien aufgezeigt und gemeinsam besprochen. Der Fokus lag dabei auf einer gemeinsamen Konkretisierung der zunächst allgemein formulierten Beurteilungskategorien.

Um passgenau auf Verständnisschwierigkeiten der Studierenden bei der wöchentlichen Textlektüre eingehen zu können, verfassten die Studierenden im Vorfeld der Sitzungen ein Lesetagebuch, in dem mindestens drei offene Fragen formuliert wurden. In der Sitzungsvorbereitung dienten die Lesetagebücher dem Dozenten als Ausgangspunkt, um einen Überblick über die Unklarheiten auf Seiten der Studierenden zu gewinnen: Die Fragen der Studierenden wurden zunächst gesichtet, anschließend häufig auftauchende Fragen identifiziert und diese auf einer Power-Point-Präsentation, gebündelt nach den Bereichen Inhalt, Theorie und Methodik, dargestellt.

Tabelle 1 skizziert die Grundstruktur der Seminarsitzungen. Ziel war es, die Studierenden durch variierende Arbeitsmodi zur aktiven Mitarbeit zu motivieren: Zunächst erhielten die Studierenden Informationen zum Sitzungsthema, meist Beispiele aus der aktuellen Forschungspraxis (Phase 1). Anschließend bekamen sie die Gelegenheit, sich untereinander zu den Fragen aus den Lesetagebüchern auszutauschen, wobei in den einzelnen Sitzungen unterschiedliche didaktische Methoden zum Einsatz gelangten (Phase 2.1), beispielsweise ein Gruppenpuzzle oder die gemeinsame Erstellung einer Mindmap (SeLL der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2021). Die Ergebnissicherung fand in Phase 2.2 statt, indem die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse dem Plenum vorstellten. Die Sitzungen endeten mit einer gemeinsamen Plenumsdiskussion (Phase 3), die zur Förderung der Beurteilungskompetenz der Studierenden beitrug. Die Diskussionsfragen bezogen sich dabei auf die Herausforderungen und Chancen, die sich durch die zuvor analysierten Entwicklungen in den Parteien ergeben. Die Aufteilung der Sitzungen in drei Phasen bot eine klare Struktur und damit Erwartungssicherheit, wobei sowohl die didaktischen Methoden als auch der inhaltliche Input und die Diskussionsfragen in jeder Sitzung variierten.

4. Evaluation der Lehrveranstaltung

Bei der Evaluation stand im Fokus, ob und ggf. weshalb der angestrebte Abgleich von Lernzielen, Lehr-/Lerninhalt und Prüfungsform gelungen ist und wo für künftige Veranstaltungen Verbesserungsbedarf besteht. Zum Einsatz kamen deshalb das formative und summative Feedback (Gallagher 2017). Das formative Feedback diente während des Semesters dazu, den Lerninhalt besser auf die Lernziele und die Prüfungsform abstimmen und an den geeigneten Stellen ggf. nachjustieren zu können. Es erfolgte als Blitz-Feedback und über one-minute-paper, die am Ende ausgewählter Seminarsitzungen angefertigt wurden. In den one-minute-papers sollten die Studierenden skizzieren, was ihnen an der jeweiligen Sitzung gefiel oder verbessert werden könnte und ob die Sitzung einen Mehrwert zur Erreichung der Lernziele bot. Das summative Feedback zum Abschluss des gesamten Seminars diente dem Zweck, eine abschließende Beurteilung durch die Studierenden zu erhalten, u.a. durch eine individuelle Feedbackrunde in der Abschlusssitzung sowie eine standardisierte Befragung nach Abschluss des gesamten Seminars.

Über den Autor: Dr. Michael Angenendt ist Senior Researcher am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRUF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Über die Reihe „Herausragende Lehre in der deutschen Politikwissenschaft“
 
Dieser Beitrag wurde für den Lehrpreis Politikwissenschaft 2022 eingereicht. Der gemeinsame Preis von DVPW und Schader-Stiftung wurde 2020 neu geschaffen, um die besondere Bedeutung der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sichtbar zu machen und die Qualität der Lehre in der deutschen Politikwissenschaft zu stärken. Der Lehrpreis Politikwissenschaft wurde in diesem Jahr an Dr. Julia Schwanholz und Dr. Ray Hebestreit für ihr Lehr-Forschungs-Projekt „Smart Cities in Theorie, Empirie und Praxis – Eine Lehrveranstaltung in Kooperation mit der Stadt Wesel“ im Wintersemester 2021/2022 an der Universität Duisburg-Essen verliehen. Die Jury möchte mit dieser Blog-Reihe die Vielzahl der Einreichungen innovativer und didaktisch anspruchsvoller Lehrprojekte würdigen.

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