Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Über Staaten, Container und die politische Einhegung globaler Infrastrukturmacht

Autorin: Jutta Bakonyi

Moderne politische Raumbegriffe sind an den Staat und an Vorstellungen der horizontalen und der vertikalen Reichweite (scales) staatlicher Gewalt gebunden. Dies zeigt sich in der Trennung des Innen- und Außenraums eines Staates ebenso wie der Unterscheidung verschachtelter Maßstabs- und Analyseebenen (nested scales), mit denen beispielswiese Akteur*innen auf lokaler, (trans-)nationaler oder globaler Ebene verortet und die geographische Reichweite ihres Handelns abgesteckt werden. Dieser Beitrag setzt sich am Beispiel der Mogadishu International Airport (MIA)-Zone kritisch mit solchen Raum- und Ordnungsvorstellungen auseinander und zeigt, wie diese generiert, herausgefordert und ausgehöhlt werden.

Die Mogadischu International Airport-Zone

Die MIA-Zone umschreibt eine militärisch befestigte, kleinräumige Enklave in Mogadischu. Von hier wird die internationale Staatsbildung in Somalia gesteuert, die Aufstandsbekämpfung befehligt, humanitäre Hilfe organisiert und Wirtschaftsförderung betrieben.

Angesiedelt zwischen internationalem Flughafen und Indischem Ozean befinden sich in der MIA-Zone das Somaliaprogramm der Vereinten Nationen (UN), das Hauptquartier und Trainingslager der African Union Mission in Somalia (AMISOM), Konsulate und Botschaften (z.B. Europäische Union, Großbritannien, Kenia), Logistikunternehmen, Sicherheitsfirmen, Lagerhallen, Hotels und Restaurants. Die MIA-Zone ist durch ein ständiges Kommen und Gehen von Mitarbeiter*innen internationaler Organisationen, Sicherheitsexpert*innen, Logistiker*innen und Diplomat*innen geprägt. Hotels sind regelmäßig ausgebucht und beherbergen nahezu täglich Workshops. Die in der MIA-Zone arbeitenden Menschen stammen aus allen Weltregionen. Die Mitarbeiter*innen von internationalen Organisationen werden in lokales Personal (mit Wohnsitz in Somalia) und internationales Personal (auch aus der somalischen Diaspora) aufgeteilt. Personaleinstufungen entlang dieser Maßstabsebenen (Scales) bestimmen Lohngruppen. In Somalia haben sie außerdem Auswirkungen auf Sicherheitsbestimmungen. Internationale UN-Mitarbeiter*innen brauchen eine Sicherheitsgenehmigung, wenn sie die MIA-Zone auf dem Landweg verlassen. Sie reisen in militärisch gesicherten Konvoys und kugelsicheren Autos, tragen Schutzwesten und dürfen sich nur für kurze Zeit (90 Minuten) außerhalb der Zone aufhalten. Lokales Personal muss auf dem täglichen Weg zur Arbeit Checkpoints passieren und mehrfache Sicherheitskontrollen erdulden. Skalare, an die Mitgliedschaft in einem Staat gebundene Ordnungsvorstellungen bestimmen daher selbst wenn ein Staat gar nicht existiert Formen der In- und Exklusion und stratifizieren Alltagserfahrungen.

Die zentrale Bedeutung des Staates für die Politics of Scale

In Somalia wird die MIA-Zone als ein Staat im Staat beschrieben. Ein Staat wird gängig als Einheit von Regierung, Territorium und Bevölkerung definiert. Kartographisch wird der Staat durch Linien abgebildet, die wiederum der Dreieinigkeit des Staates eine solide Form verleihen. Anthony Giddens hat hierfür die Metapher des Staates als Machtcontainer geprägt und damit die Vorstellung unterstrichen, dass sich politische Räume durch Abgrenzung und Einhegung, also Unterbrechung von Interdependenzketten und gezielte politische Eingriffe in die umgrenzten Flächen, konstituieren. Dieser Einhegung liegt ein Spannungsverhältnis zugrunde. Staaten haben durch koloniale und imperiale Eroberung einerseits die Ausbildung eines Weltmarktes ermöglicht und die Zirkulation von Waren, Menschen, Geld, Ideen etc. vorangetrieben. Gleichzeitig unterbrechen Staaten den mit dem Weltmarkt geschaffenen globalen Raum und unterteilen diesen in standardisierte politische Einheiten. Vom Containerraum Staat ausgehend wird der planetare Marktraum dann durch weitere vertikale und horizontale Unterteilungen gegliedert. Gleichsam Russischen Puppen werden lokale, nationale, regionale und globale Ebenen nach innen/unten und außen/oben vom Staat, als nested scales, abgesetzt.

Wie der Container den Staat und gängige Politics of Scales herausfordert

Die Vorstellung vom Containerraum Staat wird ironischerweise durch den Container unterminiert. Ebenso wie der Aufstieg des Staates, so sind auch die Erfindung und globale Ausdehnung des Containers auf eine enge Verflechtung ökonomischer und militärischer Interessen zurückzuführen. Als intermodale, also über mehrere Verkehrsträger und -wege hinweg einsetzbare Transporteinheit, hat der Container die globale Zirkulation nicht nur rapide beschleunigt, sondern auch die Integration kapitalistischer Produktion und Zirkulation in sogenannte lean und just-in-time Produktionssysteme ermöglicht. Dies ging einher mit der massiven Ausdehnung von Infrastrukturen und Logistikoperationen, die zunehmend die staatlich gesetzten Grenzen durchkreuzen und die Macht des Staates schwächen, globale Interdependenzen zu unterbrechen und Zirkulation sowie Kapitalakkumulation national zu regulieren. Die staatlich gesetzten skalaren Raumkonzeptionen und Ordnungsvorstellungen werden ebenfalls herausgefordert.  

Zonierung als Antwort auf die Herausforderung

Dieser Herausforderung wurde mit der Einrichtung von Zonen begegnet. Freihandelszonen haben sich seit den 1970er Jahren und parallel zum Aufstieg des Containers verbreitet. Als abgegrenzte Enklaven unterstehen sie nicht vollständig der staatlichen Regulierung, sondern lassen multiple Regelwerke zu. Zonen entstehen als räumliche Einhegung von Ausnahmen (spaces of exception). Sie federn Spannungen und Widersprüche ab, die sich aus dem Drang von Kapital nach Ausdehnung und Grenzüberwindung und dem Drang souveräner Macht nach Grenzziehung und Einhegung ergeben.

Zonen unterminieren viele der durch den Staat vorangetriebenen Standardisierungen, darunter Raumvorstellungen (Staatsterritorium), Maßstabsebenen (lokal, national, global) oder Kategorisierungen (formell-informell, legal-illegal, innen-außen). Sie unterstreichen außerdem, dass Räume nicht durch Einhegung, sondern durch Zirkulation konstituiert werden. Erst durch Einsatz politischer Technologien, die Wissen, Daten (Statistik) und sozial-materielle Arrangements kombinieren, um Zirkulation zu unterbrechen, zu filtern und zu kontrollieren, erscheinen Räume als gebunden, statisch und stabil. Form und Einsatz dieser Technologien sind, wie nun am Beispiel der MIA gezeigt wird, umstritten.

Zurück zur MIA-Zone

Die MIA-Zone verdeutlicht die fortschreitenden Umformungen von Zonen. Ähnlich den Freihandelszonen dient die MIA-Zone der Aufrechterhaltung globaler Zirkulation, allerdings in einer Krisensituation. Es ist daher kein Zufall, dass die MIA-Zone den Flughafen miteinschließt, der mit der Etablierung der Zone erst wieder funktionsfähig wurde.

Die MIA-Zone bindet Somalia, oder zumindest die Teile Somalias, die von AMISOM gesichert werden, in ein globales Infrastrukturnetzwerk ein. Der Aufbau von Infrastruktur gilt mittlerweile als eines der Hauptziele von Friedens- und Staatenbildungsprozessen. Zonierung sichert den Infrastrukturaufbau vor Gefahren, auch indem der Zugang der somalischen Bevölkerung, inklusive des lokalen Personals, kontrolliert wird. Die Trennung guter von schlechter Zirkulation ist eine maßgebliche Aufgabe von Grenzen, auch wenn diese keinen Staat, sondern eine Zone umschließen.

Die Zeitlichkeit der Zone

Anders als Freihandelszonen werden Interventionszonen nicht auf Dauer eingerichtet. Ihre Zeitlichkeit erinnert an Flüchtlingslager. Interventionszonen bestehen idealerweise nur bis Gewalt gebannt, der Staat aufgebaut und die Regierung funktionsfähig gemacht wurde. Die Übergangszeit findet einen materiellen Ausdruck in modularen Designs, von denen zwei unmittelbar hervorstechen: der Container und die Hesco-Wall. Container sind omnipräsent. Sie werden nicht allein für den Transport genutzt, sondern zu Hotelzimmern, Lagerräumen, Werkstätten und Grenzbefestigungen umfunktioniert.

 

Die Hesco-Wall, ursprünglich in Großbritannien zur Flutabwehr entwickelt, wird zum Schutz vor Explosionen eingesetzt. Hesco-Walls bestehen aus mit Sand gefüllten Minicontainern, die zu Mauern in potentiell unendlicher Länge und Höhe zusammengefügt werden können. Sie sind schnell und einfach auf- und abbaubar.

Der Vorteil von modularen Designs liegt in der Austauschbarkeit von Einzelteilen, wodurch das Gesamtprodukt schockresistent und flexibel wird. Modulare Einheiten werden zusammengebaut, angepasst, abgebaut, an andere Orte transportiert und in neuen Variationen wiederaufgebaut. Modularität reduziert materielle Spuren, denn modulare Einheiten können am Ende der Intervention abgebaut und zusammen mit den Interventionskräften abgezogen werden. Internationale Interventionen werden damit buchstäblich zum Verschwinden gebracht.

Die Zukunft liegt in der Zone

Der Beitrag hat verdeutlicht, dass weder Räume noch Scales naturgegeben  bestimmbar sind oder politisch neutral konstituiert werden. In ihnen verdichten und materialisieren sich Beziehungsgeflechte, Machtrelationen, Konflikte, (politische) Vorstellungen und Phantasien. Räume werden nicht durch Grenzziehung und Einhegung, sondern primär durch Bewegung konstituiert. Sie gewinnen ihre spezifische Form durch Versuche, Bewegung zu filtern und zu kontrollieren. Einhegung ist eine häufig praktizierte, aber nicht die einzige Form der Bewegungskontrolle. Infrastrukturen und Logistikoperationen avancieren zu bedeutenden Faktoren in politischen Verhandlungen von Raumordnungen und daran gebundenen Maßstabsebenen (Politics of Scale). Sie stellen neue Technologien bereit, mit denen Bewegung zielgerichtet dirigiert und bestehende Einhegungen und skalare Ordnungsvorstellungen in Frage gestellt, neu ausgehandelt oder gewaltsam durchgesetzt werden.

Zonierung fordert den Staat als zentrale Bezugs- und Maßstabsebene der Raumordnung heraus. An der MIA-Zone bricht sich beispielsweise die Fiktion eines souveränen Staates. Sie ist im Zentrum Mogadischus angesiedelt, aber weder der Stadtverwaltung noch der Zentralregierung unterstellt, die ja beide erst mithilfe der aus der Zone heraus agierenden Akteur*innen aufgebaut werden. Die MIA-Zone umschreibt damit zugleich Ausnahme und Ursprung von Ordnung.  Ihre Akteur*innen handeln im Namen eines Staates, der nicht existiert. Der als-ob (der Staat existieren würde) Modus des Handelns bleibt an die Vorstellung des Staates als Einheit, zentrale Bezugsebene und Messgröße gebunden. Die Zone selbst sowie die Anwesenheit und Aktivitäten der internationalen Akteur*innen fordern diese Vorstellung jedoch zugleich heraus. Dieser Widerspruch findet ihren materiellen Ausdruck in einer Architektur des Verschwindens. Zonen verweisen jedoch auch auf ein Zukunftsmodell, in dem politische Souveränität sich nicht durch standardisierte politische Raumeinheiten (Staatscontainer) realisiert. Stattdessen wird Souveränität selbst modular, konstituiert sich durch mobile, sich wandelnde Räume und operiert in variablen Akteurskonstellationen, ohne identifizierbares Subjekt. An spezifische Bedingungen anpassbare, modulare Formen politischer Souveränität entsprächen ohnehin besser der kapitalistischen Anforderung nach Flexibilität, andauernder Bewegung und innovativer Erneuerung.

 

Über die Autorin:

Prof. Dr. Jutta Bakonyi ist Professorin für Conflict and Development in der School for Governance and International Affairs an der Durham University

Über die Blogserie:

Dieser Beitrag ist Teil der Blogserie zum Themenschwerpunkt „Politics of Scale in der deutschen Politikwissenschaft“. Alle Beiträge sind aus einem gemeinsamen Onlineworkshop im November 2020 entstanden, der durch die Autor*innen des einführenden Beitrags organisiert wurde. Wir danken allen Teilnehmer*innen für ihre Beiträge und der DVPW Themengruppe IB-Normenforschung für die Unterstützung des Workshops.  

Weitere Beiträge der Blogserie: 

"Die “Politics of Scale” in der deutschsprachigen Politikwissenschaft: Warum sich eine breitere Diskussion des Konzepts lohnt". Ein Beitrag von André Bank, Riccarda Flemmer, Regina Heller, Maren Hofius, Hanna Pfeifer und Jan Wilkens

"Raum und Ressourcen – Die politics of scale von Landrechtskonflikten". Ein Beitrag von Alina Brad, Riccarda Flemmer und Jonas Hein

"Die Politics of scale im Peace- und Statebuilding – Was wir aus den Interventionen in Sierra Leone und Bougainville lernen können". Ein Beitrag von Patricia Rinck

"„Lokale“ Zivilgesellschaften und ihre Akteur*innen - was steckt in dieser räumlichen Zuschreibung?" Ein Beitrag von Anne Menzel

"Global Justice Now! Für eine Politisierung der Skalen". Ein Beitrag von Felix Anderl