Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Zu heiß für Demokratie? Zur Aktualität Montesquieus politischer Klimatheorie

Die ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels sind seit langem Gegenstand intensiver Forschung. Der Stern-Report von 2006 und die Arbeiten des Wirtschafts-Nobelpreisträgers William Nordhaus haben deutlich gemacht, dass die Klimaerwärmung die Weltwirtschaft insgesamt belastet. Aktuelle Studien legen zudem nahe, dass die Auswirkungen regional sehr unterschiedlich ausfallen könnten. Während einige Länder stark unter dem Klimawandel zu leiden drohen, werden andere, wie Nordost-Sibirien und Nordkanada, womöglich unerwartete ökonomische Vorteile erfahren.

Könnte der Klimawandel eine Weltkarte nicht nur ökonomischer, sondern auch politischer Gewinner und Verlierer schaffen? Werden die politischen Systeme in manchen Ländern durch die Auswirkungen des Klimawandels gefestigt und in anderen destabilisiert? Der in der Politischen Vierteljahrsschrift veröffentlichte Beitrag wirft diese Frage auf, indem er auf Montesquieus Klimatheorie zurückgreift, die im unrühmlichen Schatten seiner berühmten Überlegungen zur Gewaltenteilung steht.

Der Beitrag betont, dass wir der Frage der klimatischen Beeinflussung von Politik nicht ausweichen dürfen und dass Montesquieu ein guter Gewährsmann für dieses heikle Unterfangen ist. Denn wer die Auswirkungen des Klimas auf politisches Verhalten untersuchen will, muss – wie Montesquieu – Erkenntnisse aus vielen, auch fachfremden Teilgebieten zusammenführen und sich zudem gegen Unter- und Überschätzungen sowie eurozentrische Voreingenommenheiten wappnen.

Beeinflusst das Klima die Politik?

Montesquieus Klimatheorie nimmt ihren Ausgang in der Beobachtung, dass im globalen Norden und Westen eher gemäßigte Regierungsformen zu finden sind, während im Süden und Osten eher despotische Regierungsformen vorherrschen. Wie lässt sich diese Verteilung erklären? Montesquieus zentrale These lautet, dass das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren – vom kontingenten politischen Gestaltungswillen der Menschen über deren Religion, Geschichte und Kultur bis hin zu natürlichen Einflüssen – diese Verteilung bestimmt. Zu diesen natürlichen Einflüssen zählen auch die klimatischen Bedingungen eines Landes. „Politische Knechtschaft“, schreibt Montesquieu in diesem Sinne in Vom Geist der Gesetze, „hängt von der Natur des Klimas ab“. 

Montesquieu widmete hier seinen Überlegungen über das Klima ebenso viel Raum wie jenen über die Gewaltenteilung, doch sie brachte ihm nur Ärger ein. Macht Hitze die Inder*innen wirklich feige, wie er behauptet? Muss man Russ*innen wirklich „die Haut abziehen, wenn man in [ihnen] eine Empfindung hervorrufen will“? Glaubte er wirklich, in Nordafrika oder Mittelamerika sei einfach aufgrund der Wärme kein demokratischer Staat zu machen? Montesquieu, so legen zeitgenössische wie heutige Kritiker*innen nahe, habe sich zur Formulierung chaostheoretischer Kurzschlüsse hinreißen lassen. Über ihre Absurdität lachen könne man nur nicht, weil sie koloniale Unterdrückung rechtfertigen.

Mehr als nur heiße Luft

Die Kritik an Montesquieu ist allerdings nicht ganz fair. Eine deterministische Rolle hatte Montesquieu dem Klima nie zugewiesen und sich davor gehütet, über den genauen Einfluss des Klimas im Vergleich zu anderen Faktoren zu spekulieren. Was jedoch wirklich erstaunt, ist die Tatsache, dass die Kritiker*innen Montesquieus Klimatheorie weder im Detail rekonstruiert noch sie empirisch überprüft haben.

Ein genauerer Blick auf Montesquieus Theorie zeigt, dass er recht konkrete Kausalketten beschrieb. Klimatische Faktoren wie Durchschnittslufttemperaturen beeinflussen demzufolge mittelbar das politische Leben. Hohe Temperaturen, so Montesquieu, lösen körperliche Reaktionen aus, die sich auf die individuelle Psyche und die kollektive Mentalität auswirken. Er argumentierte auch, dass klimatische Bedingungen die Kultivierbarkeit von Nutzpflanzen oder die Verbreitung von Parasiten beeinflussen können, was wiederum das menschliche Verhalten tangiert.

Eine Sichtung empirischer Forschung zum Thema erweist, dass jedes einzelne Glied der Montesquieuschen Kausalketten eine Bekräftigung in Disziplinen wie der Biologie, Neurologie, Ökonomie und Soziologie bis hin zur Verhaltenspsychologie erfährt. Beispielsweise wurden biophysische Zusammenhänge zwischen Sonnenlicht, Wärme und der Produktion von Serotonin und Testosteron nachgewiesen. Diese Neurotransmitter und Hormone haben psychische Wirkungen, die u.a. mit Gewalt- und Kriminalitätsneigungen in Verbindung gebracht wurden. Aktuelle, groß angelegte Studien belegen zudem einen kulturübergreifenden Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Durchschnittstemperaturen. Schließlich ist bekannt, dass Persönlichkeitsmerkmale eine wichtige Rolle für politische Einstellungen spielen können.

Auch der Wirkungsweg über Pflanzen und Parasiten findet Bestätigung. Vom typischerweise (in frostfreien Gebieten) erhöhten Vorkommen von Krankheitserregern wurden Zusammenhänge zur Ausbildung kollektivistischer Werte und Einstellungen sowie der Verbreitung von Demokratie und sozialer Stabilität hergestellt. Die Kolonialgeschichte muss dabei nicht zwingend ausgeblendet werden: einer bekannten Theorie zufolge veranlasste Kolonialist*innen ein geringes Vorkommen von Krankheitserregern zum Siedeln und Aufbauen immerhin ansatzweise rechtsstaatlicher Strukturen, ein vermehrtes Vorkommen hingegen zur Etablierung von Ausbeutungskolonien.

Mit dem Orakel zur Integrationswissenschaft

James Madison nannte Montesquieu einst das allzeit befragte Orakel in Bezug auf Gewaltenteilungsfragen.

Für Fragen der klimatischen Bedingtheit von Politik sollte dasselbe gelten – und zwar aus vier Gründen. Erstens kann sein Werk die gegenwärtige Forschung inspirieren, zweitens jedoch nicht ersetzen. Obwohl Montesquieus Klimatheorie komplexer und plausibler ist als gemeinhin angenommen, entspricht sie nicht den heutigen wissenschaftlichen Standards. Drittens ermutigt uns Montesquieu zum integrationswissenschaftlichen Dilettantismus, den die Zusammenschau fachfremder Untersuchungsergebnisse zum Zweck einer ganzheitlichen Erkenntnis nun einmal verlangt.

Schließlich erinnert uns Montesquieu, ähnlich wie das Orakel von Delphi mit seiner Aufforderung „Erkenne dich selbst“, daran, dass Vorurteile „nicht das sind, was uns daran hindert, bestimmte Dinge zu wissen, sondern das, was uns daran hindert, uns selbst zu erkennen“. Seine Warnung ist vielleicht gerade deshalb so eindringlich, weil er trotz aller Vorsicht das klimatische Optimum für gemäßigte Systeme letztendlich doch in Frankreich verortete – genau wie Hippokrates es zuvor in Griechenland und Ibn Khaldun im Nahen Osten getan hatten.

Von der Klimatheorie zum Klimawandel

Und wie beeinflusst nun der Klimawandel die politische Weltkarte? Nach aktuellen Temperaturprojektionen und der rekonstruierten Logik Montesquieus sollten sich die natürlichen Bedingungen für die Demokratie in Ländern wie Kasachstan verbessern, während sie sich in Neuseeland oder Nigeria verschlechtern könnten.

Doch diese Tendenz kann nur, wie es uns Montesquieus Lehre vom esprit général unterstreicht, ein Teil eines viel größeren Puzzles sein. Sie gibt uns weder Grund noch Anlass, von ungünstigen Klimabedingungen auf die Unvermeidbarkeit oder gar Wünschbarkeit autoritärer Institutionen zu schließen. Vielmehr sollten wir uns bemühen, so gut und verantwortungsbewusst wie möglich über den Bereich des politisch Beeinflussbaren nachzudenken. Ein erster Ansatzpunkt wäre ja vielleicht einfach, über die Tages- und Jahreszeiten nachzudenken, an denen Wahlen durchgeführt werden.

Über den Autor:

Martin Beckstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen und Privatdozent an der Universität Zürich.