Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Schwächt eine programmatische Annäherung der Unionsparteien an die AfD den Wahlerfolg der Rechtspopulisten? Eher nicht.

Autor: Marc Debus

 

Die momentane Stärke der Alternative für Deutschland (AfD) in Umfragen auf Landes- wie Bundesebene hat eine Debatte hinsichtlich einer Zusammenarbeit insbesondere der Christdemokraten (CDU) mit der AfD beginnen lassen. Diese Diskussion wird unter anderem auch vor dem Hintergrund der Frage geführt, ob eine programmatische Profilschärfung der CDU wie auch ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU im Sinne einer Annäherung an die Position der AfD in verschiedenen Sachfragen den Erfolg der Rechtspopulisten mindern würde. International vergleichende, Bevölkerungsumfragen verwendende Studien zeigen, dass diese Strategie jedoch eher die jeweiligen rechtspopulistischen Parteien stärkt als schwächt (siehe etwa Krause, Cohen und Abou-Chadi 2023). Gibt es Evidenz dafür, dass die programmatische Annäherung der Christdemokraten an die AfD zu einem Rückgang des Stimmenanteils dieser rechtspopulistischen Partei führt? Dieser Beitrag greift auf Daten zu den programmatischen Positionen der Parteien auf Bund- und Landesebene seit 2013 zurück, um diese Fragestellung zu beantworten. Dabei zeigt sich, dass eine Annäherung der CDU/CSU an die Position der AfD in gesellschafts- wie wirtschaftspolitischen Fragen eher dazu führt, dass der Stimmenanteil der AfD anwächst und nicht zurückgeht. 

Daten zum Parteienwettbewerb auf Bundes- und Landesebene

Eine Beantwortung der Fragestellung auf der Grundlage der Wahlergebnisse und Positionsverschiebungen der CDU/CSU auf Bundesebene ist kaum möglich, da ein etwaiges Muster basierend auf drei Bundestagswahlen, zu denen die AfD bislang angetreten ist, kaum abgeleitet werden kann. Dieses Problem der zu geringen Fallzahl kann zwar nicht behoben, jedoch zumindest vermindert werden, wenn die landespolitische Ebene in die Analyse einbezogen wird. Der Datensatz „Parteienwettbewerb in den Bundesländern“ („pwib“, siehe Bräuninger et al. 2020) umfasst – auf der Grundlage der Volltexte der Wahlprogramme – Informationen zu den programmatischen Positionen der Bundes- und Landesparteien seit 1990, die mit Hilfe quantitativer Inhaltsanalysen gewonnen werden. Diese Daten können herangezogen werden, um zu überprüfen, ob eine Positionsverschiebung der CDU und CSU in Bund und Ländern und damit eine Annäherung dieser beiden Parteien an die AfD zu einem schlechteren Abschneiden der AfD führt. Der Mechanismus hinter dieser Überlegung beruht darauf, dass Wählerinnen und Wähler aufgrund der dann geringeren Distanz zwischen ihrer Position und derjenigen der Christdemokraten einen größeren Nutzen für sich darin sehen könnten, für die CDU oder CSU statt für die AfD zu stimmen (siehe Downs 1957).

Diese die Bundes- und Landesebene kombinierende Perspektive führt zu einer Fallzahl von 37 Wahlen, bei denen das Abschneiden der AfD in Abhängigkeit ihres programmatischen Profils und der Bewegungsrichtung der CDU/CSU in zentralen Politikbereichen – Wirtschaft und Gesellschaftsordnung – analysiert werden kann. Zwar erlaubt eine Untersuchung mit 37 Fällen keine komplexen statistischen Modelle, die eine Reihe von weiteren, den Wahlerfolg einer Partei erklärenden Variablen einbauen. Allerdings können – wenn zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern wie auch zwischen bundes- und landesweiten Wahlen differenziert wird – Tendenzen abgelesen werden, ob eine Verschiebung der Position der Union in Richtung der AfD in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen zu einer Veränderung des Stimmenanteils der AfD führt.

Ergebnisse: beeinflusst eine Positionsverschiebung der Union den Stimmenanteil der AfD?

Die uns interessierende und damit zentrale Variable – „Distanzveränderung Union-AfD“ – zur Erklärung der Höhe des AfD-Stimmenanteils umfasst die Differenz der programmatischen Distanz zwischen CDU bzw. CSU und AfD bei der aktuellen Wahl zur programmatischen Distanz zwischen beiden Parteien, wenn für die Unionsparteien die Position aus dem Wahlprogramm der vorherigen Wahl herangezogen wird. Es geht also um die Veränderung der programmatischen Distanz zwischen Union und AfD seit der letzten Wahl. Diese Betrachtungsweise ermöglicht es zu identifizieren, ob die Union aufgrund der Aussagen in ihren Wahlprogrammen auf die AfD im Vergleich zur letzten Wahl zugegangen ist oder nicht. Nimmt die Variable „Distanzveränderung Union-AfD“ positive Werte an, hat die Union die programmatische Distanz zur AfD im jeweiligen Bundesland vergrößert; ist der Wert negativ, ist die Union auf die AfD in wirtschafts- oder gesellschaftspolitischen Fragen zugegangen.

Die Ergebnisse der in Abbildung 1 dargestellten Regressionsanalyse zeigen, dass – wenn überhaupt – die AfD bei Wahlen eher besser abschneidet, wenn CDU oder CSU im Vergleich zur jeweils letzten Wahl im Bund oder dem entsprechenden Bundesland ihre programmatische Distanz zur AfD verkleinert haben. Ist die Union auf die AfD programmatisch zugegangen – sprich: hat den Abstand zu ihr verkleinert – dann stieg der Stimmenanteil der AfD an. Einen Unterschied für den AfD-Stimmenanteil macht es zudem, ob die Wahl in einem ostdeutschen Bundesland stattfand. Wenn ja, ist der Stimmenanteil der AfD signifikant höher. Eine gesellschaftspolitisch traditionellere Position der AfD geht mit einem leicht besseren Ergebnis für diese Partei einher, wohingegen es keinen Unterschied macht, ob es sich um eine Bundestags- oder Landtagswahl handelt.    

 

 

 

Anmerkungen: Ergebnisse einer OLS-Regressionsanalyse. Standardfehler geclustert nach Wahljahr und Region (Bundesland oder Bund). Koeffizienten in blauer (roter) Färbung geben die Ergebnisse der Schätzung wieder, wenn der Fokus auf der Positionsverschiebung in gesellschaftspolitischen (wirtschaftspolitischen) Fragen liegt. N = 37; R² (Modell gesellschaftspol. Dimension, blau) = .63, R² (Modell wirtschaftspol. Dimension, rot) = .58. Balken geben das 90%-Konfidenzintervall wieder.  

Die Daten deuten – bei aller Vorsicht, da es sich um ein Modell mit nur 37 Fällen handelt – darauf hin, dass eine Verringerung der Distanz zwischen Union und AfD im Vergleich zur jeweils letzten Wahl im Bundesland oder bei Bundestagswahlen in den beiden Politikbereichen mit einem höheren Stimmenanteil für die AfD einhergeht. Die Richtung des Effekts der Variable „Distanzveränderung Union-AfD“ ist negativ: je weniger sich die Union auf die AfD zubewegt hat bzw. wenn sie die Distanz zur AfD gar vergrößert hat und die Variable daher Werte größer als Null einnimmt, dann fällt der Stimmenanteil der AfD tendenziell niedriger aus (siehe Abbildung 2). Je stärker die Union auf die AfD programmatisch zugegangen ist (und je weiter die Werte der Variable „Distanzveränderung Union-AfD“ im negativen Bereich liegen), desto höher war tendenziell der Stimmenanteil der AfD.

 

 

Anmerkung: Balken geben das 90%-Konfidenzintervall wieder.

Natürlich sind solche Analysen auf Makroebene, die die Stimmenanteile der Parteien in Bezug zu deren programmatischem Profil und dessen Veränderungen stellen, mit Vorbehalten zu interpretieren. Angesichts der Ergebnisse vergleichender Studien, die mit Bevölkerungsumfragen und komplexen Daten und Schätzmodellen zeigen, dass ein inhaltliches Zugehen auf rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien mit der Stärkung der letzteren verbunden sind (siehe Krause et al. 2023), fügen sich die hier präsentierten Ergebnisse jedoch in diesen Stand der Forschung ein.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um eine punktuelle Zusammenarbeit der Union mit der AfD wie etwa in Thüringen implizieren damit die Ergebnisse, dass eine damit etwaig verbundene programmatische Annäherung die AfD eher stärken bzw. zumindest nicht schwächen wird – und damit die Herausforderungen der Bildung von stabilen Koalitionen jenseits der AfD gerade in den ostdeutschen Bundesländern noch größer werden würden, als sie bereits jetzt schon sind. 

Über den Autor:

Marc Debus ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim und Projektleiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES).