Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Nach der Wärmepumpe ist vor den Pellets – Staat, Interessengruppen und das Gebäudeenergiegesetz

Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz zwischen medialer Aufregung und Koalitionsstreit

Nach einer letztjährig wenig beachteten Koalitionsentscheidung, fossil betriebene Heizungen mittelfristig zu ersetzen, ist das „Gebäudeenergiegesetz“ (GEG) im Frühjahr 2023 ein dominantes Thema geworden. Seit Veröffentlichung des Referenten- und Verabschiedung des Kabinettsentwurfs wird die Debatte kontrovers geführt – medial („Heiz-Hammer“, BILD) wie parteipolitisch („Heizungsverbotsgesetz“, F. Schäffler, FDP). Besondere Aufmerksamkeit erhält der Koalitionsstreit, mit gegensätzlichen Positionen von Bündnisgrünen und FDP. Bisheriger Höhepunkt (Stand Juni 2023) war die wiederholte Weigerung der FDP-Bundestagsfraktion, den Gesetzentwurf in den legislativen Beratungsprozess zu geben. Dieser Vorgang ist nicht nur für die Parteien- und Koalitionsforschung, sondern auch für die politikwissenschaftliche Forschung zu Interessengruppen interessant: Seit April 2023 ist nämlich auch zu beobachten, dass sich Interessengruppen zu dem Regierungsvorhaben positionieren. Uns interessiert hier, wie diese agieren und durch die Bundesregierung einbezogen werden.

Denn insbesondere wirtschaftliche Interessengruppen, z.B. der Energie- und Heizungsindustrie, des Handwerks oder der Immobilienwirtschaft, sind für das GEG und dessen (mögliche) Umsetzung hoch relevant. Einfach und wenig überraschend: Habeck baut keine Wärmepumpe und montiert keine Heizkessel, sondern braucht Verbände und Unternehmen, um die „Heizwende“ ins Werk zu setzen. Hierbei zeigt sich, dass es die Bundesregierung bislang nicht vermochte, die Unterstützung der Interessengruppen durch entsprechende Gegenangebote (Subventionen und/oder Einbeziehung in die Entscheidungen) zu sichern. Dies kann langfristige Folgen für die Umsetzung der „Heiz- und Energiewende“ haben.

Mechanismus der Staat-Interessengruppen-Beziehungen

Um die Rolle der Interessengruppen in der Verhandlung um das GEG zu untersuchen, greifen wir auf den von uns entwickelten „Mechanismus der Staat-Interessengruppen-Beziehungen (SIB)“ zurück (s. Abbildung 1). Zu unterscheiden sind verschiedene Elemente des Mechanismus, die sich auf das konkrete Gesetzesvorhaben (Policy-Output) ebenso auswirken (Element I-IV) wie sie zukünftige Interaktionen von Staat und Interessengruppen beeinflussen können (Element V-VIII). Der Mehrwert liegt darin, über eine eher kurzfristig angelegte ‚einflussorientierte‘ Perspektive auf das Lobbying von Interessengruppen hinauszugehen und deren langfristige Interaktionen mit dem Staat sowie ihre vielschichtige Rolle, von Politikverhandlung bis Politikumsetzung, in den Blick zu nehmen.

Quelle: Sack und Fuchs 2022

Politische Festlegungen und Abstimmungsbedarf mit Interessengruppen

Wenngleich bereits im Koalitionsvertrag (2021) festgelegt, ist der Koalitionsbeschluss im März 2022 sichtbarer Startpunkt für die Staat-Interessengruppen-Beziehungen (SIB) rund um das Gebäudeenergiegesetz. Die Präferenzen von Parteien wie Interessengruppen zur Problemlösung (Energieträger, Technologien, Instrumente) waren (und sind) gleichwohl unterschiedlich (Element I). Der Koalitionsbeschluss, 65 % aller neu eingebauten Heizungsanlagen ab 1.1.2024 aus erneuerbaren Energien zu speisen, brachte Abstimmungserfordernisse für Regierung und Wirtschaft mit sich (Element II).

 

Der „Wärmepumpengipfel“ mit 36 Unternehmen und Verbänden im Juni 2022, der an vorherige ‚Verbändegipfel‘ anknüpfte (Element III), kann als ein erstes Bemühen um diese Abstimmung verstanden werden. Er bezog sich zwar nicht auf eine – damals ausdrücklich noch nicht formulierte – Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, war jedoch eng mit den Regierungszielen zur Klimaneutralität verbunden. Ergebnis war nicht nur eine gemeinsame Absichtserklärung, in der das 65 %-Ziel anerkannt und ein schneller Hochlauf der Wärmepumpentechnologie vereinbart wurde. Auch sollten nach einem zweiten Gipfeltreffen konkrete Handlungsschritte (von Ministerien, Handwerk, Industrie, Immobilienwirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft) zur Zielerreichung in einem „Fahrplan“ festgeschrieben werden. Dieser wurde im Februar 2023 auch vorgelegt. Mit Blick auf einen später zentralen Aspekt der GEG-Novelle, die Wärmepumpentechnologie, erfolgte also bereits hier eine enge Einbindung der Interessengruppen. Diese sicherten ihre Implementationsunterstützung zu; und erwarteten im Tausch dagegen, durch entsprechende Förderprogramme unterstützt und weiterhin in die Regierungspläne einbezogen zu werden.

Exekutive Beschleunigung ohne Verbände

Allerdings erfolgte ein solcher ‚Tausch‘ nicht (Element IV). Denn die Interessengruppen waren seit Januar 2023 augenscheinlich nicht eng in die GEG-Novellierung eingebunden. Sie wurden, wie z.B. die Verbände der Immobilienwirtschaft (Spiegel, 19.05.23), nur punktuell informiert. Der Pfad der bisherigen Staat-Interessengruppen-Beziehungen wurde zugunsten exekutiver Beschleunigung verlassen. Damit büßte die GEG-Novelle an Unterstützung und Legitimierung durch Interessengruppen ein. Aber: Nach der Wärmepumpe ist vor den Pellets. Man sieht sich mehr als zweimal im Lobbyleben! Nämlich bei der Entscheidung und bei deren Umsetzung.

Nach Vorlage des Gesetzesentwurfs im April 2023 zeigten sich die widerstreitenden Interessen: Es ging z.B. für die Verbände der Immobilienwirtschaft um die Ausgestaltung von Förderprogrammen, für jene der Energiewirtschaft um die Nutzung bestimmter Energieträger (Holzpellets, Biogase) oder für Interessengruppen der Kommunalwirtschaft um die Planung von Fernwärmenetzen. Hierbei wurde teils eine Verzögerung der Gesetzgebung befürwortet, teils, z.B. durch den Verband der Elektro- und Digitalindustrie, auf eine schnelle Umsetzung gepocht. Für die Interessengruppen war dieser Moment auch strategisch günstig. Die koalitionsinterne Spaltung konnte genutzt werden, um spezifische Lobbying-Forderungen zu formulieren, und der Dissens mit (je unterschiedlichen Teilen der) Bundesregierung wurde öffentlich artikuliert. In diesem Zusammenhang bemängelte etwa die Hauptgeschäftsführerin des Energiewirtschaftsverbands, selbst ehemalige Grünen-Ausschussvorsitzende im Bundestag, aber auch die fehlende Abstimmung mit „Praktikern“ (SZ, 29.05.23), die für den Gesetzesvollzug zentral ist.

Habeck zeigte sich beeindruckt (Element II) und sicherte Ende Mai 2023 zu, er werde „eine Reihe von Gesprächen unter anderem mit Verbänden führen und dann meine Vorschläge noch mal einspeisen“ (Tagesspiegel.de, 26.05.23). In einer buchstäblich hemdsärmeligen Videobotschaft (26.05.23) wiederholte er zudem die Zusage, zu einem Fernwärmegipfel einzuladen (Element III). Nicht nur die Bearbeitung koalitionsinterner Widerstände war also von Bedeutung, sondern „die Verbände“ waren in dieser Konfliktsituation (erneut) gefragt. Und zwar, weil sie etwas anzubieten haben und – ganz im Sinne des Tauschs in den SIB (Elemente IV/VI) – für die Umsetzung der Regierungspläne hochrelevant sind; wegen ihrer technologischen Expertise, Implementationskapazitäten, politischem Einfluss im föderalen System (Stadtwerke) u.a.m.

Nach den Pellets ist vor…? Gesetzesumsetzung und die strategische Bedeutung von Interessengruppen

Die Erwartung, dass Interessengruppen sich kooperativ einbringen, hat also einen Preis, den die Bundesregierung bislang nicht bezahlt hat – nämlich den Tausch von Kooperation gegen Einfluss und Ressourcen. Im Juni 2023 ist noch nicht gut absehbar, ob ein solcher ‚Tausch‘ noch zustande kommt. Für die Interessengruppen wird es ausschlaggebend sein, gegenüber ihren Mitgliedern nachvollziehbare Erfolge ausweisen zu können (Element V). Dies, und die weitere Ausgestaltung der Verhandlung, Umsetzung und Evaluation des Gesetzes (Elemente VI/VII), entscheidet maßgeblich darüber, ob und wie sich die Interessengruppen erneut in die SIB einbringen (Element VIII) – was für die Umsetzung energie- und klimapolitischer Ziele der Bundesregierung insgesamt von hoher strategischer Bedeutung ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Über die Autoren:

Sebastian Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Demokratietheorie und Regierungssystemforschung am Institut für Politikwissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal.

Detlef Sack ist Professor für Demokratietheorie und Regierungssystemforschung am Institut für Politikwissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal und Leiter des Instituts für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF).