Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Klimakrise und Wissenschaft – Die Bewegung Scientists for Future im Spannungsfeld von Expertise und Aktivismus

Die Fridays for Future (FfF) Bewegung hat in den vergangenen Jahren nicht nur in der Politik Wellen geschlagen. Auch Wissenschaftler*innen haben im Zuge der großen Mobilisierung durch FfF Position bezogen. Dies war nicht zuletzt dadurch begründet, dass FfF sich mit dem Aufruf „listen to the science“ sehr deutlich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel bezogen hat. In Reaktion haben Wissenschaftler*innen im deutschsprachigen Raum nicht nur bekräftigt, dass die Forderungen der Aktivist*innen wissenschaftlich fundiert seien, sie haben vielmehr selbst eine Bewegung gegründet – die Scientists for Future (S4F). Die Formierung einer von Wissenschaftler*innen getragenen Bewegung als „wissenschaftlicher Arm“ einer zivilgesellschaftlichen Bewegung wie den FfF ist ein Phänomen, das es so bisher – auch in vorangegangenen Wellen des Umweltaktivismus – nicht gab.

Vor diesem Hintergrund gehen wir in unserem Beitrag, der in der Politischen Vierteljahresschrift erschienen ist, den Fragen nach, wer die Aktivist*innen dieser Bewegung sind, was sie motiviert und welche Positionen sie einnehmen. Vor allem die Frage nach den Zielen und Motiven der Aktivist*innen scheint relevant, da es auch innerhalb der aktuellen Klimabewegung sowohl ein Lager gibt, das einen radikalen Systemwandel fordert, als auch ein eher moderates Lager, das einen reformorientierten Wandel präferiert (Marquardt 2020).

Mit dem Engagement bei S4F entschieden sich die Wissenschaftler*innen für eine neue Form der Interessenvertretung und für neue Möglichkeiten zur Beteiligung an Politikgestaltung. Wir wollten wissen, ob und wie dieses Engagement als Kritik am (deutschen) politischen System und seiner Fähigkeit, adäquate Lösungen in der Klimapolitik anzubieten, interpretiert werden kann.

Unser Beitrag verknüpft die Forschung zum Nexus von Demokratie und Nachhaltigkeit mit jener zur Rolle der Wissenschaft in der Politikgestaltung. In Anknüpfung an die Perspektiven einer „critical environmental political theory“ (Eckersley 2020) arbeiten wir mit zwei idealtypischen Positionen von radikaler Transformation einerseits und gradueller Reform andererseits, denen wir unterschiedliche handlungsleitende Präferenzen zuordnen. Zugespitzt gesagt wollen wir herausfinden, ob die Teilnehmer*innen von S4F die radikal transformatorische Vision einer „ökologischen Demokratie“ unterstützen. Dieser Idealtyp der ökologischen Demokratie verbindet weitreichende systemische ökozentrische Transformationen mit ebenso transformativen Veränderungen in demokratischen Prozessen und fordert sowohl inklusivere als auch deliberative partizipative Praktiken. Wenn Expert*innen sich von klassischen (und bisweilen institutionalisierten) politischen Beratungsgremien abwenden und sich einer sozialen Bewegung anschließen, könnte dies folglich nicht nur als Unterstützung für die Klimabewegung, sondern auch für einen transformativen Wandel hin zu mehr Deliberation verstanden werden.

Mehr Mitsprachemacht der Wissenschaft

Für unsere Untersuchung haben wir im Sommer 2021 eine Online-Umfrage unter den S4F durchgeführt. Unsere Analysen zeigen, dass sich drei Gruppen unter den Teilnehmer*innen der Umfrage identifizieren lassen. Die Mehrheit der befragten S4F präferiert eine ökologische, eher reformorientierte Perspektive, die Natur, Tiere und die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen berücksichtigt. Diese Aktivist*innen kennzeichnet dabei insgesamt ein Vertrauen in bestehende demokratische Strukturen und eine Präferenz für die repräsentative Demokratie (s. Abb. 1).

 

Ein erkennbarer, aber deutlich kleinerer Teil der befragten S4F Aktivist*innen präferiert einen umfassenden Wandel von Wirtschaft und Politik, wie ihn die Strömung der ökologischen Demokratie postuliert. Ein Aspekt, der für diese Gruppe besonders im Fokus steht, ist die Forderung nach Bürgerräten oder einem „Citizen Council“, die verbindliche Entscheidungen in der Klimapolitik treffen sollen.

Auch die Rolle von wissenschaftlicher Expertise wird von den Teilnehmer*innen der Umfrage unterschiedlich bewertet. Insgesamt strebt die Mehrheit der befragten S4F, angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise, nach einem grundlegenden Bewusstseinswandel und wünscht sich eine sehr viel stärkere Rolle wissenschaftlicher Erkenntnisse in der öffentlichen Debatte und in politischen Entscheidungsprozessen. Dies sind gleichzeitig zentrale Motivationen der Aktivist*innen für ihr Engagement; das Gründungsmotiv, die FfF wissenschaftlich zu flankieren, ist dabei inzwischen in den Hintergrund gerückt (s. Abb. 2).

 

Reform statt Systemwandel

In der Summe zeigen unsere Ergebnisse, dass die S4F-Bewegung, ähnlich wie die FfF, eine relativ heterogene Bewegung ist, die weder in der Radikalität der ökologischen Forderungen noch bzgl. der Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie eine gemeinsame politische Vision hat.

Obwohl die meisten befragten Wissenschaftler*innen offen dafür zu sein scheinen, eine weitgehend anthropozentrische Sichtweise in der Klimapolitik kritisch zu reflektieren, finden wir eher begrenzte Unterstützung für einen grundlegenden demokratischen Wandel. Die Mehrheit der Befragten unterstützt demokratische Reformen statt Systemwechsel. Darüber hinaus darf die Formierung dieser sozialen Bewegung nicht als allgemeine Unterstützung partizipativer, deliberativer oder gar gemeinschaftsbasierter politischer Prozesse missverstanden werden. Ähnlich wie Kolleg*innen in Bezug auf die FfF-Bewegung (della Porta und Portos 2021) herausgefunden haben, blicken die S4F eher auf Regierungen, um die Bedrohung durch den Klimawandel zu bekämpfen, als auf Maßnahmen der lokalen Gemeinschaft oder eine allgemeine Änderung des Lebensstils zu hoffen. Während letzteres ein Nebeneffekt der Bemühungen um öffentliches Empowerment sein könnte, besteht das Hauptziel der S4F darin, den öffentlichen Druck auf politische Akteure zu verstärken und hierbei als Expert*innen größeres Gehör zu finden.

 

Über die Autor*innen:

Laura Herzog ist PostDoc am Forschungszentrum Institut für Umweltsystemforschung und am Institut für Geographie an der Universität Osnabrück. Sie forscht zu Wechselwirkungen in sozial-ökologischen Systemen, dem Einfluss von uns Menschen auf Ökosysteme und zu der Frage, wie Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen Ressourcennutzung gelingen können. Hierfür arbeitet sie überwiegend inter- und transdisziplinär.

Andrea Lenschow ist Professorin für Europäische Integration und Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Sie forscht zur Europäischen Umwelt- und Klimapolitik und zu globaler Umweltgovernance.

Jan Pollex ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäische Integration und Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Er forscht zur Europäischen Umwelt- und Klimapolitik und zu Umweltbewegungen.