Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Impeachment Impossible? Entdemokratisierungsprozesse im Schatten des Amtsenthebungsverfahrens in den USA

Demokratien befinden sich konstant in einem Zustand der Unsicherheit, denn ob sie funktionieren oder scheitern zeigt sich erst nach einer Wahl, wenn ein friedlicher Machtwechsel erfolgt oder eben ausbleibt. Für eine kurze Zeit schien infolge der Präsidentschaftswahlen in den USA 2020 und des anschließenden Sturms auf das Kapitol die US-amerikanische Demokratie gefährdet. Folglich sind selbst etablierte Demokratien von Entdemokratisierungsprozessen (democratic backsliding) im Allgemeinen und eines Machtmissbrauchs der Regierung im Speziellen nicht gefeit. Allein aus diesem Grund ist für demokratische Regime die Möglichkeit, den Regierungschef vorzeitig des Amtes zu entheben, grundlegend. Dieser Blogbeitrag sowie der Artikel in der PVS setzen sich mit der Möglichkeit den Regierungschef im präsidentiellen System der USA vorzeitig aus dem Amt zu entfernen (impeachment) auseinander und argumentiert, dass dieses Instrument in den letzten Jahrzehnten durch eine parteipolitisch motivierte Zweckentfremdung unbenutzbar wurde und somit pathologische Züge angenommen hat. Diese Pathologisierung gefährdet die US-amerikanische Demokratie, denn es fehlt ihr dem Präsidenten gegenüber an der Kompetenz effektiv Misstrauen auszusprechen.

Vertrauen und Misstrauen

Obwohl Misstrauen für Demokratien enorm relevant ist, setzt sich die politikwissenschaftliche Literatur kaum mit diesem Phänomen auseinander, sondern zieht das weitaus geläufigere Konzept Vertrauen vor. Das mag damit zusammenhängen, dass Misstrauen häufig als negativer Wert codiert wird. Dabei ist Misstrauen und insbesondere institutionalisiertes Misstrauen (z.B. Misstrauensvoten oder Impeachment-Verfahren) elementarer Bestandteil einer gut funktionierenden Demokratie. Das Vorhandensein von Misstrauensvoten führt nicht nur zu einer Unterscheidung auf der Ebene der Regierungssysteme (parlamentarisch oder präsidentiell), sondern dient auch der Unterscheidung zwischen demokratischen und autokratischen Regimen. Keine Demokratie kann sich erlauben auf dieses Instrument als ultima ratio zu verzichten. Demokratien brauchen die Misstrauenskompetenz um Autokratisierungstendenzen frühzeitig abzuwehren, weswegen ein effektives Instrument essentiell ist. Denn: Vertrauen lässt Demokratien existieren, Misstrauen lässt sie überleben.

Im parlamentarischen System beruht das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive auf Vertrauen, und Misstrauen ist explizit in Form des Misstrauensvotums institutionalisiert. Anders in präsidentiellen Systemen: Hier basiert das grundlegende Verständnis bereits auf Misstrauen und eine Absetzungsmöglichkeit gibt es nur in Fällen, die in der Regel einer juristischen Natur entspringen und eine qualifizierte Mehrheit erfordern. In den USA ist dieses Erfordernis zudem äußerst hoch, es bedarf einer Zweidrittelmehrheit im Senat, nachdem das Repräsentantenhaus mit einer absoluten Mehrheit das Verfahren überhaupt erst eingeleitet hat. Gleichzeitig führt die zu beobachtende zunehmende Parteipolarisierung zu einer Politisierung und in Konsequenz zu einer Pathologisierung des Impeachment-Verfahrens. Parteipolitische Überlegungen spielen eine gewichtige Rolle, sowohl bei der Initiierung als auch bei der Abstimmung und rauben dem Verfahren seine grundlegende Funktion. Gerade die Kombination aus einer niedrigen Schwelle zur Initiation und einer hohen Mehrheitserfordernis zur Verurteilung machen das Verfahren zu einer leichten Beute für parteipolitisch motivierte strategische Überlegungen.

Impeachment in den USA

Das Verfahren zur Amtsenthebung des US-Präsidenten ist ambivalent ausgestaltet. Während in der Verfassung niedergeschriebene Gründe „Bestechung“ und „Verrat“ leicht zu identifizieren sind, bleiben „schwere Verbrechen und Vergehen“ Interpretationssache. Diese diffusen Umschreibungen mögen zwar als Grund für die hier argumentierte Schwäche des Instruments dienen, viel wichtiger scheint jedoch die Polarisierung der Parteien zu sein und damit einhergehend die parteipolitische Zweckentfremdung eines an sich überparteilichen Verfassungsinstruments, das dazu kreiert wurde, den Machtmissbrauch einer Gewalt durch die andere Gewalt zu unterbinden. Letztlich entscheiden die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus über die Einleitung eines Verfahrens und die Mehrheiten im Senat über die Verurteilung oder den Freispruch. Wann ein Verfahren eingeleitet wird und wann nicht, oder wann ein Präsident verurteilt bzw. freigesprochen werden soll, liegt im Ermessungsspielraum parteipolitischer Akteure und kann sich schnell ändern.

Zwei Punkte sprechen für diese Vermutung: In der Literatur wird die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als Beginn einer allmählichen Parteienpolarisierung wahrgenommen, die sich in den 1990er Jahren verschärfte. Im Repräsentantenhaus wurden seit 1981 bei jedem einzelnen Präsidenten – Ausnahme: Barack Obama – die Möglichkeiten eines Impeachments eruiert. Einerseits wird nun das Verfahren häufiger ins Spiel gebracht, sei es um das Drohpotential aufzuzeigen oder um Unruhe im Weißen Haus zu stiften, andererseits beeinflussen parteipolitische Zugehörigkeiten das Urteil. In den zurückliegenden knapp 230 Jahren wurden insgesamt vier Impeachment-Verfahren eingeleitet. Mit der Ausnahme von Andrew Johnson in der Mitte des 19. Jahrhunderts fanden drei in der jüngeren Vergangenheit (1998, 2017, 2020) statt. Diese drei folgten parteipolitischen Gesetzmäßigkeiten, während die einzige kontraintuitive Abstimmung bei Johnson stattfand, der trotz einer numerischen Unterlegenheit freigesprochen wurde, da genug Abgeordnete der gegnerischen Partei gegen die Amtsenthebung votierten.

Selbst das einzige Beispiel eines US-Präsidenten, der wegen einer möglichen Verurteilung ohne ein tatsächlich eingeleitetes Verfahren freiwillig zurücktrat, unterstreicht die allmähliche Tendenz einer Parteipolarisierung. Als Richard Nixon erfuhr, dass seine Parteigenossen in ausreichender Zahl einer Verurteilung zustimmen würden, trat er 1974 in Antizipation noch vor der Einleitung zurück. Diese bis dahin parteipolitisch fundierte Neutralität gegenüber der Sache verlieh dem Verfahren etwas Juristisches. Heute mangelt es an diesem juristischen Charakter, was an den beiden gescheiterten Verfahren gegenüber dem 45. Präsidenten Donald Trump zu beobachten ist. Dieser hat es nicht nur geschafft, die Hälfte aller Impeachment-Verfahren auf sich zu vereinen, sondern ist darüber hinaus der einzige Präsident, gegen den zwei Verfahren eingeleitet wurden. In beiden Fällen waren die Vorwürfe begründet, aber Trump hatte von Beginn an kaum etwas zu befürchten, denn seine republikanischen Kollegen signalisierten früh ihre Loyalität.

Fazit

Das Instrument scheint in seiner jetzigen Form unbenutzbar zu sein und diese Pathologisierung kann im Schatten der Parteienpolarisierung zu einem democratic backsliding führen, wenn lediglich Wahlen alle vier Jahre die einzige Möglichkeit darstellen einen Präsidenten aus dem Amt zu entfernen. Insbesondere, wenn selbst diese demokratische Grundvoraussetzung – bei Wahlniederlagen den Platz zu räumen – auch noch in Frage gestellt wird, wie Trump es getan und eine Verfassungskrise herbeigerufen hat. In Ermangelung eines wirksamen Mechanismus zur Absetzung eines machtmissbrauchenden Präsidenten verliert die Demokratie im Zeitalter des Populismus wesentliche Schutzmechanismen und scheint anfälliger für antidemokratische Komplotte zu sein. Sicherlich ist Vertrauen für eine Demokratie unverzichtbar, gleichzeitig kann aber das Fehlen von institutionalisiertem Misstrauen die Demokratie ernsthaft gefährden.

Die Art und Weise, wie die amerikanische Politik funktioniert, hat sich seit Gründung vor einigen Jahrhunderten stark verändert. Es ist höchste Zeit nach Wegen zu suchen, wie das politische Misstrauen an die neuen institutionellen Herausforderungen angepasst werden kann.

 

Über den Autor:

Mahir Tokatlı ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft im Bereich „Politische Systeme“ an der RWTH Aachen University.