Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Genderstern oder Generisches Maskulinum – Welche polit-soziologischen Faktoren bedingen die jeweiligen Präferenzen in der deutschen Bevölkerung?

Was halten die Deutschen vom Gendern und inwiefern hängt diese Haltung mit politischen Grundüberzeugungen zusammen? Basierend auf einer Online-Umfrage unter mehr als 10.000 Befragten widmet sich der vorliegende Blog-Beitrag diesen Fragen. Er fasst dabei die zentralen Erkenntnisse meines in der Politischen Vierteljahresschrift erschienenen Artikels zusammen. Es zeigt sich, dass grundlegende politische Einstellungsmuster zentral für die Akzeptanz des Genderns sind. Es ist damit zu erwarten, dass das Thema geschlechterinklusiver Sprache auch in Zukunft ein großes politisches Konfliktpotential birgt.

Das Gendern als wichtiges identitätspolitisches Thema in der politischen Debatte

In den letzten Jahren konnte die Frage der sprachlichen Repräsentation verschiedener Geschlechter vermehrt als Thema in der deutschen Politik wahrgenommen werden. Das mag zu einem guten Stück daran liegen, dass identitätspolitische Themen von vielen Wählerinnen und Wählern mittlerweile als wichtige Elemente ihrer Wahlentscheidung gesehen werden.

Entsprechend verwundert es wenig, dass auch die Parteien dieses Thema vermehrt für den Wahlkampf entdeckt haben. Besonders die AfD präsentiert sich als Bastion gegen das Gendern und wähnt sich dabei in einem „Kulturkampf“ gegen eine fehlgeleitete Ideologie. Aber auch in anderen Parteien gab es im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 immer wieder sehr hitzig geführte Debatten, beispielsweise ausgelöst durch Wortmeldungen von Wolfgang Thierse und Sahra Wagenknecht innerhalb der SPD respektive der Linken. Eine Befragung von politikwissenschaftlichen Expertinnen und Experten zeigt denn auch, dass die Positionen der Parteien zum Thema inklusiver Sprache deutlich variieren (vgl. Abbildung 1). Auch eine Analyse der Wahlprogramme zur Bundestagswahl bestätigt dieses Bild der deutlichen Parteiunterschiede und die Sonderstellung der AfD. Sie ist die einzige der größeren Parteien, die in ihrem Programm konsequent auf das generische Maskulinum setzt und auch die einzige Partei, die den Begriff Gender ausschließlich kulturell und v.a. sprachlich auffasst und dabei vehement ablehnt. Andere Parteien hingegen fokussieren bei „Gender“ sehr viel stärker sozio-ökonomische Ungleichheiten (z.B. Gender-Pay-Gap).

Abbildung 1: Experteneinschätzung der Parteipositionen zum Thema Gendern (Quelle: Open Expert Survey, eigene Berechnung).

 

Wie akzeptiert ist das Gendern in der deutschen Bevölkerung?

Basierend auf der Annahme, dass sich die von Parteien propagierten Sichtweisen auch in den Einstellungen der Bevölkerung wiederfinden, habe ich im Rahmen einer Online-Umfrage untersucht welche Faktoren die Präferenz für oder gegen das Gendern bedingen: Welche Rolle spielen dabei Parteieneffekte, d.h. die Wahlabsicht der Befragten? Und inwieweit hängt die Präferenz für oder gegen das Gendern mit grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Einstellungsmustern zusammen?

Noch bevor die eigentliche Befragung begann, wurden die mehr als 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Politikpanel Deutschland Umfrage (Befragungszeitraum: 07.07.-08.08.2021), in der es eigentlich um politische Einstellungen unterschiedlicher Generationen ging, gefragt, ob sie die Umfrage als gegenderte Variante mit Genderstern oder nicht gegendert, also mit generischem Maskulinum, angezeigt bekommen möchten.

Die Versuchsanordnung unterscheidet sich damit von vielen bisherigen Studien darin, dass die Befragten in einer – vermeintlich für sie – unbeobachteten Situation eigenständig wählen können, welche Sprachform sie lieber lesen möchten. Dies minimiert das bei direkteren Befragungen auftretende Problem der sozialen Erwünschtheit. Die Umfrage erlaubt es somit, Aussagen darüber zu treffen, ob eine Person in einer privaten Situation bereit ist, dem Genderstern passiv ausgesetzt zu sein. Im Gegensatz zur aktiven Nutzung des Genderns (mündlich oder in Texten) ist der zusätzliche Aufwand für die Teilnehmenden somit minimal. Es ist daher wahrscheinlich, dass Personen, die das Gendern akzeptieren, in der Umfrage auch die gegenderte Variante auswählen.

21 Prozent wählen den Genderstern

Die deutliche Mehrheit der Befragten (75 Prozent) möchte die Umfrage mit generischem Maskulinum präsentiert bekommen, 21 Prozent wählen die Variante mit dem Genderstern, 4 Prozent treffen keine Auswahl. Erste deskriptive Analysen zeigen dabei bereits deutliche Unterschiede zwischen Befragten mit unterschiedlichen Wahlpräferenzen (vgl. Abbildung 2). Während Personen mit Wahlabsicht AfD, Union und auch FDP fast ausschließlich das generische Maskulinum wählen, finden sich bei Grünen und Linken deutlich mehr, die die Umfrage in der gegenderten Variante bevorzugen. Aber auch bei diesen Parteien präferiert die Mehrheit die nicht gegenderte Version. Einzig die Anhängerinnen und Anhänger von Volt wählen mehrheitlich den Genderstern.

Abbildung 2: Präferierte Schreibweise nach Sonntagsfrage, in Prozent (Quelle: eigene Berechnung; N = 10.308; Gewichtung nach Alter, Geschlecht und Bundesland).

Wer staatlichen Eingriffen zustimmt, wählt häufiger den Genderstern

Die weitere statistische Analyse zeigt, dass die Bereitschaft, die Variante mit Genderstern zu lesen, eng mit politischen Einstellungsmustern zusammenhängt: Personen, die generell eher staatlichen Eingriffen zustimmen, wählen diese häufiger, genauso wie eher linke und eher ökologisch-alternativ ausgerichtete Menschen. Abbildung 3 präsentiert getrennt für Männer und Frauen die anhand des Regressionsmodells vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten, die Variante mit Genderstern zu wählen für zwei sich in ihren politischen Einstellungen maximal unterscheidende Gruppen: erstens Personen, die sich ganz links und ganz alternativ-ökologisch sehen und zweitens solche am gegenüberliegenden Ende des politischen Spektrums, nämlich ganz rechts und ganz traditionell/konservativ. Während auch sehr links-ökologisch-alternative Personen, sofern sie staatliche Eingriffe ablehnen, so gut wie nie die Variante mit Genderstern wählen würden, erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Version des Fragebogens anzuklicken, auf 70 % für Männer und 75 % für Frauen, sofern sie eine maximale Zustimmung zu staatlichen Eingriffen aufweisen.

Abbildung 3: Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für Männer und Frauen, die Variante mit Genderstern zu wählen nach politischer Selbstpositionierung + 95% Konfidenzintervall (Quelle: eigene Berechnung).

Gendern: großes politisches Konfliktpotenzial für die Zukunft 

Diese Effekte grundlegender Einstellungsmuster überlagern auch größtenteils die Unterschiede in Bezug auf die Wahlabsicht. So lassen sich nach Kontrolle auf diese politischen Einstellungen beispielsweise keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen Personen mit CDU-Wahlabsicht und solchen feststellen, die angeben, die AfD oder die Grünen wählen zu wollen. Hinzu kommt, dass sie auch stärker sind als die Effekte soziodemographischer Kontrollfaktoren wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand. Das spricht dafür, dass bei der Frage nach dem Gendern vergleichsweise tiefliegende identitätspolitische Einstellungsmuster aktiviert werden.

Damit zeigt die Analyse – obgleich das Thema aktuell in erster Linie nur durch eine einzige Partei, nämlich die AfD aktiv, wahlkampftaktisch genutzt wird – dass die Frage, wie in Deutschland mit diskriminierungsfreier Sprache umgegangen wird, auch in Zukunft ein großes politisches Konfliktpotential besitzt, das potenziell auch für die anderen Parteien relevant werden wird.

 

Über den Autor:

Sebastian Jäckle ist Akademischer Rat am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.