Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Gleichstellungs-Paradox? Formelle Gleichstellung und die Ablehnung einer Geschlechterquote für Aufsichtsräte

Autorinnen: Katja Möhring und Céline Teney

 

Die Implementierung von Antidiskriminierungsmaßnahmen, die eine Benachteiligung von Angehörigen unterrepräsentierter Gruppen wie Frauen, LSBTIQ oder ethnischen Minderheiten beseitigen sollen, gehört zu den umstrittensten und am stärksten polarisierenden Formen von Identitätspolitik. Darunter fallen auch Regelungen zur Bevorzugung von Kandidat*innen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit in Bewerbungsprozessen für begehrte und gesellschaftlich angesehene Führungspositionen.

Die Einführung einer Geschlechterquote für die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen ist die bekannteste dieser Maßnahmen und erregte in Deutschland und anderen europäischen Ländern großes mediales Interesse, da sie einen starken staatlichen Eingriff in die Wirtschaft zur Beseitigung von Geschlechterungleichheit darstellt. Nationale Regelungen zur Geschlechterquote gehen auf einen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2012 zurück, wonach der Anteil von Frauen in den Leitungsgremien börsennotierter Unternehmen auf 40 % zu erhöhen sei. Trotz dessen entfielen 2019 nur 27,8 % der Aufsichtsratsposten der größten börsennotierten Unternehmen in der EU auf Frauen.

In zwei kürzlich erschienen Studien haben wir die Polarisierung der öffentlichen Meinung zur Einführung einer Geschlechterquote für Leitungsgremien von Unternehmen untersucht. Unsere Analyse wurde von zwei zentralen Fragen geleitet: Warum befürworten Bürgerinnen und Bürger eine solche Maßnahme oder lehnen sie ab? Welche kontextuellen Merkmale erklären die Unterschiede zwischen den EU-Ländern, in denen eine insgesamt hohe oder niedrige Unterstützung der Geschlechterquote zu beobachten ist?


Unterschiede in der allgemeinen Unterstützung einer Quotezwischen Ländern der EU

Um einen Einblick in die kontextuellen Determinanten für die Unterstützung der Quote zu erhalten, haben wir die Unterschiede in der allgemeinen Zustimmung zu einer Geschlechterquote für Vorstände innerhalb der EU mit Daten des Eurobarometers von 2011 untersucht. Die Unterstützung der Vorstandsquote für Frauen variiert sehr stark zwischen den Ländern (siehe Abbildung 1). Ein interessantes Hauptergebnis dabei: Die Ablehnung einer Geschlechterquote ist in Ländern am größten, in denen das Maß an Geschlechtergleichstellung in Politik und Wirtschaft besonders hoch ist – zum Beispiel in den skandinavischen Ländern. Dabei beziehen wir uns auf verschiedene Dimensionen des Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE). Daraus ziehen wir zwei Schlussfolgerungen. Zum einen handelt es sich um zwei distinkte Dimensionen politischer Einstellungen: Eine hohe Zustimmung zur Geschlechteregalität bedeutet nicht, dass Staatsinterventionismus in Verteilungsprozesse befürwortet wird. Zum anderen deuten die Ergebnisse auf eine potenzielle Gegenreaktion gegen Gleichstellungsmaßnahmen hin: Beispielsweise weil Bürger*innen aus Ländern, in denen ein relativ hohes Maß an Gleichstellung erreicht ist, weitere staatliche Eingriffe in die Wirtschaft für überflüssig erachten.

 

Abbildung 1: Durchschnittliches Niveau der Zustimmung sowie geschlechterspezifische Unterschiede bei der Zustimmung zu einer Geschlechterquote für Vorstände

Quelle: Eigene Berechnung anhand des Eurobarometers 2011 (76.1.)

 


Individuelle Determinante der Unterstützung einer Quote

In einer weiteren Studie fokussierten wir auf Deutschland. Hier wurde 2016, nach langer und kontroverser Debatte, eine gesetzlich festgelegte Quote für die Vorstände börsennotierter Unternehmen eingeführt. Anhand der Daten des German Internet Panel von 2017 haben wir die individuellen Determinanten der Unterstützung einer Quote analysiert. Wie zu erwarten, ist die Unterstützung unter Frauen allgemein höher als unter Männern. Jedoch zeigen unsere Ergebnisse auch, dass Frauen und Männer nicht als zwei homogene Gruppen mit gegensätzlichen Positionen betrachtet werden können. Tatsächlich finden sich interessante Unterschiede innerhalb beider Gruppen.

Die größten Unterstützerinnen der Quote sind Frauen, die am stärksten von ihr profitieren würden: Alleinstehende Frauen mittleren Alters in Führungspositionen bilden die Gruppe mit der stärksten Zustimmung. Im Gegensatz dazu lehnen Männer jüngeren Alters sowie jene, die selbst eine Führungsposition bekleiden, eine Quote ab (siehe Abbildung 2).

Diese Ergebnisse können anhand einer interessenbasierten Perspektive erklärt werden: Junge Männer und männliche Führungskräfte sind diejenigen, die ihre zukünftigen Arbeitsmarktchancen durch die Einführung einer Geschlechterquote für hohe Führungspositionen am ehesten gefährdet sehen. Ältere Frauen in Führungspositionen hingegen bilden die Gruppe, die am stärksten für die Quote stimmen und potenziell am ehesten von einer solchen Maßnahme profitieren. Das Zusammenspiel von Geschlecht und Position auf dem Arbeitsmarkt scheint entscheidend für die Einstellung zu Gleichstellungsmaßnahmen zugunsten von Frauen zu sein.

 

Abbildung 2: Zustimmung zu einer Geschlechterquote für Vorstände anhand des Zusammenhangs von Geschlecht und Führungsposition

Quelle: Eigene Analyse anhand des German Internet Panel (GIP) 2017 (N = 2544); Anmerkung: Schätzwert und 95% Konfidenzintervall

 

Interessanterweise spielt nicht nur das individuelle Interesse eine Rolle: Für die Zustimmung oder Ablehnung einer Geschlechterquote hat auch der Haushaltskontext, insbesondere die Arbeitsmarktposition des Partners, einen Einfluss auf die Einstellung. So zeigen bei den Frauen Verheiratete (inklusive Frauen in einer Partnerschaft) die größte Ablehnung einer Geschlechterquote. Verheiratete Frauen scheinen eher die Interessen des gesamten Haushalts zu vertreten, ihre Ablehnung kann als eine Reaktion auf die potenzielle Bedrohung der Arbeitsmarktchancen ihres Ehepartners interpretiert werden. Spiegelbildlich befürworten verheiratete oder in einer Partnerschaft lebende Männer die Quote besonders stark, wenn sie nicht der Hauptverdiener des Haushalts sind. Folglich spielt neben dem individuellen Nutzen das Interesse des Partners für die Unterstützung oder Ablehnung der Quote eine wichtige Rolle.

Die Ergebnisse unserer Untersuchung unterstreichen, dass die Einführung von Gleichstellungsmaßnahmen, die mit direkten staatlichen Eingriffen verbunden sind, für politische Entscheidungsträger*innen ein riskantes Unterfangen sein kann. Denn diese Maßnahmen ziehen eine klare Grenze zwischen (scheinbar) privilegierten Zielgruppen und Nicht-Zielgruppen, die von den Vorteilen ausgeschlossen sind und mit Ablehnung reagieren.

 

 

 

 

 

Information über die Autorinnen:

Katja Möhring vertritt die Professur für Makrosoziologie an der Universität Mannheim. Céline Teney ist Professorin für Grundlagen der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen.