Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Von der Eurokrise zur Nicht-Willkommenskultur: Wie neue Schwerpunkte die Wahrnehmung der AfD verändert haben.

Während die ideologische Wahrnehmung von manchen Parteien recht stabil ist, variiert sie für andere über Zeit. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist ein gutes Beispiel für deutliche Veränderungen, wie sich mithilfe von Daten der deutschen Wahlstudie GLES nachweisen lässt: Im Jahr 2013, kurz nach Gründung der Partei, lag die durchschnittliche Einschätzung der AfD zwar bereits rechts der Mitte – sie unterschied sich aber nicht wesentlich von anderen Mitte-Rechts-Parteien wie beispielsweise der CSU. Dieses Bild hat sich seitdem stark verändert. Besonders seit 2015 hat sich die AfD in der Wahrnehmung deutlich an den rechten Rand verschoben, wie in Abbildung 1 zu erkennen ist.

Abbildung 1: Die veränderte Wahrnehmung der AfD, 2013-2016

Quelle: Daten der GLES; eigene Berechnung. Weitere Informationen finden sich hier.

Die Bedeutung von „links“ und „rechts“

Warum hat sich die Wahrnehmung der AfD so stark verändert? Gründe dafür gibt es potentiell viele, aber an dieser Stelle wollen wir auf einen bestimmten Grund eingehen: was Menschen unter „links“ und „rechts“ verstehen, kann sehr kontextabhängig sein. Begriffe wie „links” und „rechts” werden in der Politik häufig als Heuristiken verwendet. Parteien werden zum Beispiel ideologisch als „mitte-links“ oder „rechtsextrem“ klassifiziert. Diese Begrifflichkeiten machen es Parteien, Medien und WählerInnen leichter, politische Konflikte und Positionen auf eine einfache Unterscheidung zu reduzieren. Das heißt umgekehrt aber auch, dass „links“ und „rechts“ nur jeweils die Bedeutung haben, die ihnen in der öffentlichen Diskussion zugeschrieben wird. Zum Beispiel assoziiert man die Zuschreibung „links“ bei grünen Parteien mit anderen Themen als bei Sozialdemokraten.

Wir folgen der Annahme, dass dem politischen Wettbewerb in europäischen Parteiensystemen zwei politische Konfliktdimensionen zugrunde liegen: einerseits die „klassische“ ökonomische Konfliktdimension, auf der „linke“ Parteien mehr staatliche Leistungen und Regulierung, und „rechte“ Parteien weniger staatliche Leistungen, das freie Spiel der Märkte und niedrigere Steuern bevorzugen. Andererseits eine sozio-kulturelle Dimension, auf der „linke“ Parteien für mehr Individualismus, Gleichberechtigung der Geschlechter und kulturelle Vielfalt eintreten, während „rechte“ Parteien Autoritarismus, Nationalismus und Traditionen propagieren. Wie Parteien demnach als „links“ oder „rechts“ eingeschätzt werden, hängt – so unser Argument – letztlich nicht nur davon ab, welche Positionen sie einnehmen, sondern auch mit welcher der beiden Subdimensionen man eine Partei eher assoziiert. Ein Beispiel: eine ökonomisch auf Umverteilung ausgerichtete Partei mit eher rechten sozio-kulturellen Positionen wird als links wahrgenommen, wenn sie eher über die ökonomische Subdimension wahrgenommen wird. Ist jedoch die sozio-kulturelle Subdimension bedeutsamer, so argumentieren wir, wird die Partei als weiter rechts eingestuft.

Die politische Agenda der AfD

Parteien haben es zum Teil selbst in der Hand, ob man sie eher mit ökonomischen oder mit sozio-kulturellen Themen assoziiert. Sie setzen thematische Schwerpunkte und bestimmen daher mit, wie WählerInnen über Parteipositionen nachdenken. Eine Partei mit radikalen sozio-kulturellen und gemäßigten ökonomischen Positionen kann also durch das Setzen ihrer Schwerpunkte mitbestimmen, ob sie durch Betonung sozio-kultureller Themen als radikaler wahrgenommen wird.

Abbildung 2: Die veränderte Themenagenda der AfD, 2013-2016

Quelle: Eigene Daten und Berechnung. Weitere Informationen finden sich hier.

Die politische Agenda der AfD hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich verändert, wie eine Analyse der Presseaussendungen von 2013 bis 2016 (Abbildung 2) zeigt: waren in der Anfangszeit vor allem wirtschaftliche Themen dominant, hat sich der Schwerpunkt zunehmend zu sozio-kulturellen Themen wie etwa der Zuwanderung verschoben. Da sie AfD auf dieser Dimension deutlich rechter eingeschätzt wird als bei wirtschaftlichen Fragen, kann diese Schwerpunktverschiebung auch die veränderte Wahrnehmung der AfD als Partei am rechten Rand erklären.

Die Wichtigkeit von Themen für WählerInnen

Ein weiterer Erklärungsansatz für die veränderte Wahrnehmung der AfD ist ein Wandel der Themenlandschaft in der Gesellschaft. Ungeachtet der Versuche von Parteien, Themen zu setzen, haben WählerInnen eigene Vorstellungen davon, welche Themen für sie oder das Land wichtig sind. Diese Perzeption kann sich zum Beispiel durch in Medien vermittelte Inhalte oder auch das persönliche Umfeld ändern. Treten sozio-kulturelle Themen in den Vordergrund, werden, wie andere Studien zeigen, Links-Rechts-Positionen der Parteien eher mit dieser Position assoziiert. Verändert sich die Themenlandschaft für viele BürgerInnen – wie während der sog. „Flüchtlingskrise“ 2015 –, dann wird eine Partei eher mit ihrer sozio-kulturellen Position in Verbindung gebracht. Im Prinzip sollte dieser Effekt für alle Parteien beobachtbar sein. Vor allem für die AfD ist der (wahrgenommene) Unterschied in ökonomischen und sozio-kulturellen Fragen aber so stark, dass er auch bei einer Verschiebung der Themenagenda in stärkerem Maß zum Tragen kommt. Gewinnen sozio-kulturelle Themen in den Augen der WählerInnen an Bedeutung – wie es vor allem 2015 und 2016 der Fall – so wird die Einschätzung der AfD auf der Links-Rechts-Dimension primär von der rechten sozio-kulturellen Position und kaum noch von der weder links noch rechts liegenden Parteiposition in ökonomische Fragen beeinflusst.

Fazit: Die sich verändernde Bedeutung von links und rechts

Aus diesen Ergebnissen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens variiert die Bedeutung von „links“ und „rechts“ über WählerInnen und Parteien, aber auch über Zeit hinweg. Linke WählerInnen werden nicht automatisch von „linken“ Parteien gut repräsentiert; es kommt vielmehr darauf an, welche Themen WählerInnen und Parteien mit den Begriffen „links“ und „rechts“ assoziieren. Zweitens können Parteien ihre (wahrgenommene) Position als „linke“ oder „rechte“ Parteien durch eine Verschiebung der Themenagenda beeinflussen. Ein stärkerer Fokus auf eine gemäßigtere wirtschaftspolitische Position kann beispielsweise radikale sozio-kulturelle Positionen in den Hintergrund rücken lassen. Diese Art der Veränderung ist vor allem dann wichtig, wenn Parteien ihre wahrgenommene Positionierung verändern wollen, ohne ihren Prinzipien und Positionen untreu zu werden.

Dieser Blog-Beitrag beruht auf dem Artikel „The Changing Meaning of Left and Right: Supply- and Demand-side Effects on the Perception of Party Positions” der Autoren, erschienen im Journal of Elections, Public Opinion and Parties.