Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Ethik-Kodex

der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)

(Fassung vom 15.05.2017)[1]

Präambel

Die Erarbeitung und Verbreitung politikwissenschaftlichen Wissens sind soziale Prozesse, die in jedem Stadium ethische Erwägungen und Entscheidungen erfordern. Dieser Bestandteil politikwissenschaftlicher Wissensproduktion, -verwendung und -weitergabe soll Politikwissenschaftler/innen stets bewusst sein.

Der Ethik-Kodex lebt von seiner ständigen Diskussion und seiner Anwendung durch die Angehörigen der politikwissenschaftlichen Profession. Er soll dazu beitragen, die Politikwissenschaft in Deutschland weiter zu professionalisieren. Der Kodex formuliert einen Konsens über ethisches Handeln innerhalb der professionellen und organisierten Politikwissenschaft in Deutschland. Er benennt die Grundlagen, auf denen die Arbeit der Ethik-Kommission beruht.

Dieser Kodex soll dazu dienen, Politikwissenschaftler/innen für ethische Probleme ihrer Arbeit zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, ihr eigenes berufliches Handeln kritisch zu prüfen. Insbesondere sind die universitär tätigen Politikwissenschaftler/innen aufgefordert, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studierenden die Elemente berufsethischen Handelns zu vermitteln und sie zu einer entsprechenden Praxis anzuhalten.

Die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis ist von hohem Wert für die wissenschaftliche Integrität von Politikwissenschaftler/innen wie auch für die gesamte DVPW. Der Ethik-Kodex fordert Politikwissenschaftler/innen deshalb dazu auf, jegliche Form von wissenschaftlichem Fehlverhalten, fachlicher und persönlicher Diskriminierung zu benennen und auf ihre Beseitigung hinzuwirken. Politikwissenschaftler/innen sollen sich dabei ihren Kolleg/innen, ihren Mitarbeiter/innen, ihren Studierenden und anderen Personengruppen gegenüber aufrichtig, rücksichtsvoll, fair und mit Respekt verhalten, insbesondere auch in Konfliktfällen.

Zugleich schützt dieser Ethik-Kodex vor Anforderungen und Erwartungen, die in verschiedenen Situationen von Untersuchten, Studierenden, Mitarbeiter/innen, Kolleg/innen sowie privaten und öffentlichen Auftraggeber/innen an politikwissenschaftliche Forschung und Praxis gestellt werden und in ethische Konflikte führen könnten.

Personen, die unter Berufung auf diesen Kodex Beanstandungen bei der Ethik-Kommission vorbringen, dürfen wegen der Ausübung dieses Rechts keine Benachteiligungen erfahren.

Um die in der Präambel genannten Ziele zu erreichen, bestätigen und unterstützen die Mitglieder der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft den folgenden Ethik-Kodex.

I. Forschung

A. Integrität und Objektivität

(1) Politikwissenschaftler/innen streben in Ausübung ihres Berufes nach wissenschaftlicher Integrität und Objektivität. Sie sind den bestmöglichen Standards in Forschung, Lehre und sonstiger beruflicher Praxis verpflichtet. Geben sie fachspezifische Urteile ab, sollen sie ihr Arbeitsgebiet, ihren Wissensstand, ihre Fachkenntnis, ihre Methoden und ihre Erfahrungen eindeutig und angemessen darlegen.

(2) Bei der Präsentation oder Publikation politikwissenschaftlicher Erkenntnisse werden die Resultate ohne verfälschende Auslassung von Ergebnissen dargestellt. Einzelheiten der Theorien, Methoden und Forschungsdesigns, die für die Einschätzung der Forschungsergebnisse und der Grenzen ihrer Gültigkeit wichtig sind, werden nach bestem Wissen mitgeteilt.

(3) Politikwissenschaftler/innen sollen in ihren Publikationen sämtliche Finanzierungsquellen ihrer Forschungen benennen. Sie gewährleisten, dass ihre Befunde nicht durch spezifische Interessen der Geldgeber verzerrt sind.

(4) Politikwissenschaftler/innen dürfen keine Zuwendungen, Verträge oder Forschungsaufträge akzeptieren, die in diesem Kodex festgehaltene Prinzipien verletzen.

(5) Sind Politikwissenschaftler/innen, auch Studierende, an einem gemeinsamen Projekt beteiligt, werden zu Beginn des Vorhabens bezüglich der Aufgabenverteilung, der Vergütung, des Datenzugangs, der Urheberrechte sowie anderer Rechte und Verantwortlichkeiten Vereinbarungen getroffen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden. Diese können im Fortgang des Projekts aufgrund veränderter Bedingungen einvernehmlich korrigiert werden.

(6) In ihrer Rolle als Forschende, Lehrende und in der Praxis Tätige tragen Politikwissenschaftler/innen soziale Verantwortung. Ihre Empfehlungen, Entscheidungen und Aussagen können das Leben ihrer Mitmenschen beeinflussen. Sie sollen sich der Situationen und immanenten Zwänge bewusst sein, die zu einem Missbrauch ihres Einflusses führen könnten. Politikwissenschaftler/innen sollen geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ein solcher Missbrauch und daraus resultierende nachteilige Auswirkungen auf Auftraggeber/innen, Forschungsteilnehmer/innen, Kolleg/innen, Studierende und Mitarbeiter/innen vermieden werden.

B. Rechte der Untersuchten

(1) Das Befolgen von Regeln der wissenschaftlichen Methode kann ungünstige Konsequenzen oder spezielle Risiken für Individuen oder Gruppen nach sich ziehen. Darüber hinaus kann das Forschungshandeln den zukünftigen Zugang zu einer Untersuchungspopulation für den gesamten Berufsstand oder verwandte Berufsgruppen einschränken oder verschließen. Beides haben Politikwissenschaftler/innen zu antizipieren, um negative Auswirkungen zu vermeiden.

(2) In der politikwissenschaftlichen Forschung sind die Persönlichkeitsrechte der in politikwissenschaftliche Untersuchungen einbezogenen Personen ebenso wie ihr Recht zur freien Entscheidung über die Beteiligung an Forschungsvorhaben zu respektieren.

(3) Generell gilt für die Beteiligung an politikwissenschaftlichen Untersuchungen, dass diese freiwillig ist und auf der Grundlage einer möglichst ausführlichen Information über Ziele und Methoden des entsprechenden Forschungsvorhabens erfolgt. Nicht immer kann das Prinzip der informierten Einwilligung in die Praxis umgesetzt werden, z. B. wenn durch eine umfassende Vorabinformation die Forschungsergebnisse in nicht vertretbarer Weise verzerrt würden. In solchen Fällen muss versucht werden, andere Möglichkeiten der informierten Einwilligung zu nutzen.

(4) Besondere Anstrengungen zur Gewährleistung einer angemessenen Information sind erforderlich, wenn die in die Untersuchung einbezogenen Individuen über einen geringen Bildungsgrad verfügen, einen niedrigen Sozialstatus haben, Minoritäten oder Randgruppen angehören.

(5) Personen, die in Untersuchungen als Beobachtete oder Befragte oder in anderer Weise, z. B. im Zusammenhang mit der Auswertung persönlicher Dokumente, einbezogen werden, dürfen durch die Forschung keinen Nachteilen oder Gefahren ausgesetzt werden. Die Betroffenen sind über alle Risiken aufzuklären, die das Maß dessen überschreiten, was im Alltag üblich ist. Die Anonymität der befragten oder untersuchten Personen ist zu wahren.

(6) Im Rahmen des Möglichen sollen Politikwissenschaftler/innen potentielle Vertrauensverletzungen voraussehen. Verfahren, die eine Identifizierung der Untersuchten ausschließen, sollen in allen geeigneten Fällen genutzt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist den durch die elektronische Datenverarbeitung gegebenen Möglichkeiten des Zugangs zu Daten zu widmen. Auch hier sind sorgfältige Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen erforderlich.

(7) Von untersuchten Personen erlangte vertrauliche Informationen müssen entsprechend behandelt werden; diese Verpflichtung gilt für alle Mitglieder der Forschungsgruppe (auch Interviewer/innen, Codierer/innen, Schreibkräfte etc.), die über einen Datenzugriff verfügen. Es liegt in der Verantwortung der Projektleiter/ innen, die Mitarbeiter/innen hierüber zu informieren und den Zugang zu vertraulichem Material zu kontrollieren.

(8) Politikwissenschaftler/innen sollen unter Verweis auf entsprechende Regelungen für andere Professionen der Schweigepflicht unterliegen und für sich das Recht auf Zeugnisverweigerung beanspruchen, wenn zu befürchten steht, dass auf der Basis der im Rahmen politikwissenschaftlicher Forschung gewonnenen Informationen die Informanten irgendwelche - insbesondere strafrechtliche - Sanktionen zu gewärtigen haben.

II. Publikationen

(1) Politikwissenschaftler/innen nennen alle Personen, die maßgeblich zu ihrer Forschung und zu ihren Publikationen beigetragen haben. Die Ansprüche auf Autor/innenschaft und die Reihenfolge der Autor/innen sollen deren Beteiligung am Forschungsprozess und an der Veröffentlichung abbilden. Daten und Materialien, die wörtlich oder sinngemäß von einer veröffentlichten oder unveröffentlichten Arbeit anderer übernommen wurden, müssen kenntlich gemacht und ihren Urheber/innen zugeschrieben werden. Verweise auf Gedanken, die in Arbeiten anderer entwickelt wurden, dürfen nicht wissentlich unterlassen werden.

(2) In Zeitschriften sollte der kritische Austausch zwischen den Angehörigen des Faches gefördert werden. In diesem Zusammenhang sollten Regeln publiziert werden, die die Möglichkeiten zur Stellungnahme und Erwiderung spezifizieren.

(3) Herausgeber/innen und Redaktionen von Zeitschriften sind zu einer fairen Beurteilung eingereichter Beiträge ohne persönliche oder ideologische Vorurteile in angemessener Zeit verpflichtet. Sie informieren umgehend über Entscheidungen zu eingereichten Manuskripten.

(4) Eine Veröffentlichungszusage ist bindend. Wurde die Publikation zugesichert, soll sie so bald wie möglich erfolgen.

III. Begutachtung

(1) Werden Politikwissenschaftler/innen um Einschätzungen von Personen, Manuskripten, Forschungsanträgen oder anderen Arbeiten gebeten, so sind solche Bitten um Begutachtung im Fall von Interessenkonflikten abzulehnen.

(2) Zu begutachtende Arbeiten sollen vollständig, sorgfältig, vertraulich und in einem angemessenen Zeitraum fair beurteilt werden.

(3) Begutachtungen, die im Zusammenhang mit Personalentscheidungen stehen, werden von allen Beteiligten vertraulich behandelt. An sie müssen unter den Gesichtspunkten der Integrität, der Objektivität und der Vermeidung von Interessenkonflikten höchste Anforderungen gestellt werden.

(4) Politikwissenschaftler/innen, die um Rezensionen von Büchern oder Manuskripten gebeten werden, welche sie bereits an anderer Stelle besprochen haben, sollen diesen Umstand den Anfragenden mitteilen. Die Rezension von Arbeiten, bei deren Entstehung sie direkt oder indirekt beteiligt waren, sollten sie ablehnen.

IV. Der berufliche Umgang mit Studierenden, Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen

(1) Politikwissenschaftler/innen, die Lehraufgaben wahrnehmen, verpflichten sich, durch Art und Ausmaß ihres Einsatzes und ihrer Ansprüche für eine gute Ausbildung der Studierenden zu sorgen.

(2) Politikwissenschaftler/innen müssen sich bei Einstellungen, Entlassungen, Beurteilungen, Beförderungen, Gehaltsfestsetzungen und anderen Fragen des Anstellungsverhältnisses, bei Berufungs-, Rekrutierungs- und Kooptationsentscheidungen um Objektivität und Gerechtigkeit bemühen. Sie dürfen andere Personen nicht wegen ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung, ihrer sozialen oder regionalen Herkunft, ihrer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer politischen Einstellungen benachteiligen.

(3) Politikwissenschaftler/innen dürfen Studierende oder Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen nicht zwingen, sich als Forschungsobjekte zur Verfügung zu stellen, oder sie über eine derartige Verwendung täuschen.

(4) Politikwissenschaftler/innen dürfen Leistungen anderer nicht zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen und deren Arbeit nicht undeklariert verwerten.

(5) Politikwissenschaftler/innen dürfen von niemandem - beispielsweise von Befragten, Auftraggeber/innen, Mitarbeiter/innen, Studierenden – persönliches, sexuelles, berufliches oder sonstiges Entgegenkommen oder einen persönlichen oder beruflichen Vorteil erwarten oder erzwingen. Insbesondere ist jegliche Form sexueller Belästigung und sexueller Gewalt im beruflichen Umgang als schwerwiegender ethischer Verstoß zu betrachten.

(6) Politikwissenschaftler/innen unterlassen wahrheitswidrige Anschuldigungen wissenschaftlichen oder andersartigen Fehlverhaltens. Jederzeit ist auf eine sachliche und rücksichtsvolle Kommunikation zu achten.

V. Die Ethik-Kommission

A. Zusammensetzung und Amtszeit

(1) Die Ethik-Kommission besteht aus sechs Mitgliedern. Die Mitglieder der Kommission werden durch Briefwahl oder eine entsprechend gesicherte elektronische Form der Stimmabgabe von den Mitgliedern der DVPW für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Hierfür erstellt der Vorstand zwei nach Geschlechtern getrennte Wahllisten, die jeweils mehr als vier Vorschläge enthalten sollen. Die Mitglieder können von der Liste mit den Kandidatinnen maximal drei Frauen und von der Liste der Kandidaten maximal drei Männer wählen. Gewählt sind jeweils aus der Liste der Kandidatinnen und der Liste der Kandidaten die drei Personen mit den höchsten Stimmenzahlen.

(2) Die Kommission wählt sich einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende.

(3) Die Ethik-Kommission tritt bei Bedarf oder auf eigenen Wunsch zusammen.

B. Aufgaben und Zuständigkeit

(1) Die Ethik-Kommission soll

(a) den Vorstand der DVPW zu generellen ethischen Fragen beraten,

(b) Anzeigen von Verstößen gegen den Ethik-Kodex entgegennehmen und nach einer vermittelnden Beilegung streben,

(c) die Vermittlung zwischen betroffenen Parteien bei der Beilegung ihrer Beschwerden organisieren,

(d) Anhörungen der Parteien bei formellen Beschwerden über ein Fehlverhalten durchführen,

(e) dem Vorstand der DVPW Maßnahmen empfehlen.

(2) Die Ethik-Kommission bietet ihre guten Dienste an, um innerverbandliche Streitigkeiten zu schlichten. Sie kann dazu von allen Mitgliedern der DVPW oder ihren Organen aus Gründen des inneren Friedens der Vereinigung oder der von anderen Mitgliedern zu erwartenden Kollegialität angerufen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Mitglieder geltend machen, dass die Normen des aufrichtigen, rücksichtsvollen, fairen und respektvollen Umgangs verletzt worden sind. Vor Einleitung eines strafrechtlichen Beleidigungs- oder Verleumdungsverfahrens sollen sich Mitglieder der DVPW zunächst an die Ethik-Kommission wenden.

C. Sanktionen

(1) Befindet die Ethik-Kommission, dass kein ethischer Verstoß vorliegt, werden alle betroffenen Seiten und der Vorstand der DVPW darüber informiert, womit der Vorgang abgeschlossen ist.

(2) Stellt die Ethik-Kommission im Verlauf der Anhörungen fest, dass ein Verstoß gegen den Ethik-Kodex vorliegt, informiert sie alle davon betroffenen Seiten und gibt einen Bericht an den Vorstand. Es können folgende Maßnahmen empfohlen werden:

(a) keine Sanktionen auszusprechen,

(b) einen öffentlichen Tadel in den regelmäßigen elektronischen Mitteilungen des Vorstands der DVPW auszusprechen,

(c) den freiwilligen Austritt eines Mitglieds anzuregen,

(d) die Mitgliedschaft für einen bestimmten Zeitraum auszusetzen,

(e) das Mitglied aus dem jeweiligen Verband auszuschließen.

D. Berichtspflicht

(1) Die Ethik-Kommission berichtet dem Vorstand mindestens einmal jährlich über ihre Arbeit und die verhandelten Fälle.

(2) Berichte der Ethik-Kommission werden auf der Webseite der DVPW veröffentlicht und mit den regelmäßigen elektronischen Mitteilungen des Vorstands versendet.

 

[1] Der Ethik-Kodex der DVPW wurde im Mai/Juni 2017 per Online-Abstimmung durch die Mitglieder der DVPW verabschiedet.