Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Ist das BSW eine linke Partei? Eine Analyse der politischen Selbstverortung der Wähler*innen bei der Europawahl 2024

Autor: Leon Heckmann

 

 

Wie positionieren sich die Wähler*innen des BSW im politischen Spektrum? In diesem Beitrag soll die Selbsteinordnung der Wähler*innen mit der inhaltlichen Einordnung der Wahlprogramme für die Europawahl 2024 verglichen werden. Es zeigt sich, dass BSW-Wähler*innen sich auch selbst als gesellschaftlich konservativ einordnen. In der ökonomischen Dimension tun sie dies allerdings ebenso. Damit weicht die Selbsteinschätzung von der inhaltlichen Einordnung des BSW als ökonomisch linke Partei ab.

Seit Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Januar 2024 konnte die Partei bereits bemerkenswerte Erfolge bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg einfahren. Auch eine Regierungsbeteiligung ist in allen drei Bundesländern aufgrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse realistisch. Der Erfolg des BSW wird maßgeblich auf seine spezielle thematische Ausrichtung im links-autoritären Raum zurückgeführt. So zeigen beispielsweise Sarah Wagner, Constantin Wurthmann und Jan Philipp Thomeczek, dass Wagenknecht insbesondere von Wähler*innen positiv gesehen wird, die soziokulturell rechter und kritischer gegenüber Migration eingestellt sind.

Jan Philipp Thomeczek, Constantin Wurthmann und Christian Stecker bestätigen diese Einordnung durch die GEPARTEE-Expert*innenbefragung. Diese ordnet das BSW klar als wirtschaftlich links aber gesellschaftlich konservativ ein. Während das BSW durch die Expert*innen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf der Höhe der Grünen eingeordnet wird, vertritt es gesellschaftspolitisch Positionen auf der Höhe der CDU.

Methodik

Dem gegenüber basiert diese Analyse der BSW-Wähler*innen  der Auswertung der GLES-Wellen 26 und 25, die im Juni 2024 nach der Europawahl bzw. im Oktober 2023 erhoben wurden. Dabei wurden die Fragen in den beiden Wellen herangezogen, die am besten die Politikfelder aus der GEPARTEE-Expert*innenbefragung abbilden. Die Expert*innen bestimmten die Parteipositionen für die Europawahl, indem sie die Parteiprogramme analysierten und diese sowohl auf einer ökonomischen als auch auf einer gesellschaftlichen Dimension bewerteten.

Die ökonomische Dimension setzt sich aus je einer Frage zu allgemeinen staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, der Einstellung zum Freihandel und der Einstellung zu staatlicher Umverteilung zusammen. Für die gesellschaftliche Dimension wurden die Fragen zur Einschränkung von Freiheitsrechten, Migrations- und Integrationspolitik, der Priorität des Klimaschutzes, sowie der Einstellung zu staatlichen Gleichstellungsmaßnahmen und dem Adoptionsrecht für Homosexuelle zusammengefasst. Die Frage nach städtische vs. ländliche Interessen, die in der GEPARTEE-Analyse vorhanden ist, konnte nicht abgedeckt werden, da die GLES dazu keine entsprechende Frage enthält.

Die Durchschnitte der einzelnen Fragen bilden die Werte der beiden Dimensionen, wobei die Fragen zur Gleichstellung und zum Adoptionsrecht nur halb so stark gewichtet wurden.

Allgemeine links/rechts Selbstverortung

Zunächst wurde die Frage in der GLES-Befragung nach der allgemeinen politischen Einordnung auf der links/rechts Achse analysiert. Der durchschnittliche Score der BSW-Wähler*innen ist mit 4,98 unter der arithmetischen Mitte der GLES-Skala von 6, aber auch leicht rechter als die Wähler*innen der SPD. Auf der politisch linken Seite ist das BSW nach dieser Einordnung die rechteste Partei.

Wahlentscheidung Europawahl 2024

Durchschnittliche links/rechts Selbstverortung
von 1 (sehr links) bis 11 (sehr rechts)

AfD

7,27

Union

6,34

FDP

6,11

BSW

4,98

SPD

4,69

Die Grünen

4,41

Die LINKE

2,99

Tabelle 1: Durchschnittliche links/rechts Selbstverortung nach Wahlentscheidung bei der Europawahl 2024

Auch die Verteilung der Selbsteinordnung in Abbildung 1 zeigt, dass das BSW auf der einen Seite leicht mehr Wähler*innen innerhalb der politischen Mitte anzieht als SPD und Grüne, aber auch politisch linkere Menschen. Hier könnte sich auch das noch junge Alter der Partei und das damit einhergehende vage inhaltliche Profil zeigen.

 

 

Selbstverortung im zweidimensionalen politischen Raum

Abbildung 2 zeigt die Selbstverortung der Wähler*innen im politischen Raum entlang der zwei wichtigsten Dimensionen des politischen Spektrums. Dargestellt sind die jeweiligen Mittelwerte der Parteien. Auf der ökonomischen Achse ordnen sich Wähler*innen der Linken am weitesten links ein, während die der FDP durchschnittlich am weitesten rechts stehen. Auf der gesellschaftlichen Achse sind Wähler*innen der Grünen knapp am progressivsten, während die der AfD sich selbst am konservativsten einschätzen.

 

Die Selbstverortung der BSW-Wähler*innen weicht von der GEPARTEE-Einordung in der ökonomischen Dimension ab. BSW-Wähler*innen verorten sich selbst auf der ökonomischen Achse durchschnittlich genauso wie SPD-Wähler*innen, auf der gesellschaftlichen Achse bewegen sie sich auf Höhe der Union und FDP. Es zeigt sich, dass BSW-Wähler*innen ökonomisch deutlich rechter eingestellt sind als die inhaltliche GEPARTEE-Einordnung, die das BSW zwischen SPD und Linken verortete.

Ökonomische Dimension

Die ökonomische Dimension setzt sich aus drei Einzelfragen zusammen, deren Verteilung in Abbildung 3 einzeln aufgeschlüsselt ist. Dem Freihandel stehen AfD und BSW-Wähler*innen am kritischsten gegenüber, während Wähler*innen von SPD, FDP, Grünen und Union Handelsbarrieren lieber abbauen möchten. Auch unter den Wähler*innen der Linken ist die Ablehnung des Freihandels nicht so groß wie bei BSW-Wählern.

Bei Umverteilung und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft zeigt sich ein recht lineares Bild. Hier ordnen sich die Wähler*innen relativ konsistent zu ihrer allgemeinen links/rechts Verortung ein. Wähler*innen des BSW vertreten in beiden Fällen im Durchschnitt ökonomisch rechtere Positionen als die von SPD und Grünen. Diese Selbsteinordnung weicht von der GEPARTEE-Einordnung der Parteiposition ab, die das BSW in diesen Themen als ökonomisch linker klassifiziert.

 

Gesellschaftliche Dimension

Die gesellschaftliche Dimension setzt sich aus 6 Einzelfragen zusammen, deren Einzelergebnisse in Abbildung 4 dargestellt sind. Es zeigt sich, dass sich Wähler*innen des BSW bis auf die Frage nach “Law and Order” durchgehend als konservativer einordnen als die Wähler*innen von SPD und Grünen. Besonders deutlich wird dies bei der Einstellung zur Migrations- und Integrationspolitik; hier sind BSW-Wähler*innen sogar durchschnittlich konservativer als Wähler*innen von Union und FDP.

Die Selbstverortung zu “Law and Order” weicht von den klassischen Erwartungen ab. Hier sind es AfD- und BSW-Wähler*innen, die am stärksten die Einschränkung von Freiheitsrechten ablehnen. Dies könnte maßgeblich mit den Einstellungen zur Corona-Pandemie zusammenhängen.

In der gesellschaftlichen Dimension stimmt die GEPARTEE-Einordnung mit der Selbstverortung der Wähler*innen des BSW sehr gut überein. Tatsächlich vertreten BSW-Wähler*innen gesellschaftlich ähnlich konservative Positionen wie Union und FDP.

 

Fazit

Die Auswertung der ersten GLES-Welle nach Gründung des BSW ermöglicht es, diese neue Partei besser einzuordnen. Es zeigt sich, dass sich das BSW, laut Wahlprogramm, nicht nur inhaltlich gesellschaftlich konservativ positioniert, sondern sich auch seine Wähler*innen so verstehen. In ökonomischen Fragen zeigt sich allerdings eine Abweichung zwischen der inhaltlichen Einordnung durch die GEPARTEE-Expertenbefragung und den Einstellungen der BSW-Wähler*innen. Diese sind ökonomisch deutlich rechter, als dies bisher mit der Verortung des BSW als links-autoritär angenommen wurde.

Allgemein zeigt sich, dass das politische Spektrum eindimensionaler ist, als oft angenommen. Wer ökonomisch rechte Einstellungen vertritt, vertritt i.d.R. auch gesellschaftlich konservative Positionen und umgekehrt. Dies könnte in Zukunft noch zu Spannungen für das BSW führen; schon jetzt sind die BSW-Wähler*innen in beiden Dimensionen rechter als SPD-Wähler*innen. Insofern ist das BSW, mit Blick auf die Einstellungen seiner Wähler*innen, die rechteste linke Partei.      

Über den Autor:

Leon Heckmann studierte Politikwissenschaft und VWL in München (M. Sc.), Mannheim (B.A.) und Prag. Seine Forschung konzentriert sich auf quantitative Methoden und die politische Ökonomie des globalen Finanzsystems. Er arbeitet in der Finanzbranche.