Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

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Feindliche Arbeitskultur, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt. Befunde und Handlungsnotwendigkeiten an Hochschulen

Autorin: Heike Mauer

 

Mediale Berichte über sexuelle Belästigung und Übergriffe an Hochschulen reißen derzeit nicht ab, und mit #MeToo ist die Thematik auch an den Hochschulen wieder verstärkt in den Blick geraten. Mehrfach haben sich zuletzt die bukof, die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen, oder die Hochschulrektorenkonferenz gegen sexuelle Belästigung und Gewalt positioniert und einen Kulturwandel angemahnt.

Dabei bestätigen aktuelle Forschungen, dass sich sexualisierte Diskriminierung und Gewalt durch alle akademischen Disziplinen und Statusgruppen zieht. Übergriffe gehen auch in der Wissenschaft mehrheitlich von Männern aus, während Frauen besonders häufig von (sexueller) Gewalt betroffen sind. Neben Frauen erfahren insbesondere trans* und intergeschlechtliche Menschen geschlechterbezogene und sexuelle Gewalt; auch eine nichtheterosexuelle Orientierung, eine Migrationsgeschichte oder eine Behinderung erhöhen die Gefahr, sexuelle Belästigung zu erleben. Angesichts des erschreckenden Umfangs, kann auch in der Wissenschaft nicht sinnvoll von Einzelfällen gesprochen, sondern muss von einer Gewalt fördernden Struktur ausgegangen werden.

Betroffene berichten u. a. von fehlender oder mangelhafter Unterstützung, aber auch von ‚offenen Geheimnissen‘ , die an Instituten über Übergriffe und deren Verursacher kursieren. Auch werden prekäre Arbeitsverhältnisse und Abhängigkeiten als begünstigende Faktoren benannt. Nicht zuletzt angesichts von Schutzlücken bei der Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie Defiziten bei der Einrichtung von Beschwerdestellen stellt sich für die DVPW als Fachvereinigung die Frage, welchen Beitrag sie zum Schutz ihrer Mitglieder vor Benachteiligungen und sexualisierter Gewalt leisten kann und wie sie dazu beitragen kann, in der Politikwissenschaft ein diskriminierungsarmes Klima zu schaffen, in dem sich alle Wissenschaftler*innen entfalten können.

Der Gender-Report 2022: Befunde zu Benachteiligungserfahrungen, sexualisierter Diskriminierung und Gewalt

Der Gender-Report 2022 analysiert multidimensionale Geschlechterungleichheiten im akademischen Mittelbau in Nordrhein-Westfalen und macht mittels einer teilstandardisierten Online-Befragung des hauptberuflich beschäftigten wissenschaftlichen Personals ohne Professur an Hochschulen (ohne medizinische Fakultäten) sichtbar, dass sexualisierte Diskriminierungen in einen breiteren Kontext von Benachteiligungserfahrungen eingebettet sind. Letztere sind im Mittelbau weit verbreitet und eng mit multidimensionalen Geschlechterungleichheiten verbunden. Als Basis dienen insgesamt 5.695 vollständig ausgefüllte Fragebögen (Bezugsjahr 2021, Rücklaufquote 18 %), mit denen Geschlecht auf der Basis von Selbstauskünften nichtbinär und multidimensional erhoben wurde.

Persönliche Benachteiligungserfahrungen

Die Befragung zeigt, dass insbesondere Frauen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Fast jede zweite befragte Frau und über 40 % der trans, inter und nichtbinären Befragten (TIN*), aber nur jeder vierte Mann berichtet von eigenen Benachteiligungserfahrungen am Arbeitsplatz Hochschule (s. Abbildung 1).

 

 

Abb. 1: Erfahrungen mit Benachteiligungen nach Geschlecht. (Quelle: Online-Befragung; eigene Berechnungen. Frage 28a). Abbildung übernommen aus Mense et al. (2024: 165).

 

Doch die Frage, wer an Hochschulen Benachteiligungserfahrungen macht, kann nicht ausschließlich durch das Geschlecht beantwortet werden, wie eine differenziertere Auswertung der Frage zeigt:

 

 

Abb. 2: Benachteiligungserfahrungen nach Geschlecht und soziodemografischen Merkmalen (Quelle: Online-Befragung; eigene Berechnungen. Frage 28a) Abbildung übernommen aus Mense et al. (2024: 166) Die TIN Wissenschaftler*innen können auf Grund der geringen Fallzahlen hier nicht aufgeschlüsselt werden.

 

Eltern, Wissenschaftler*innen mit gesundheitlichen oder körperlichen Einschränkungen und Personen mit einer nichtheterosexuellen Orientierung berichten häufiger von Benachteiligungserfahrungen, ebenso wie Mittelbauangehörige mit Migrationsgeschichte und diejenigen, die mit rassifizierenden und ethnisierenden Zuschreibungen konfrontiert sind.

Dennoch sind all diese Dimensionen vergeschlechtlicht. Frauen geben in allen betrachteten Gruppen zu einem deutlich höheren Anteil Erfahrungen mit Benachteiligung an als Männer. In keiner dieser Gruppen reicht die Benachteiligungshäufigkeit von Wissenschaftlern an die durchschnittliche Betroffenheit von 46,8 % ihrer Kolleginnen heran (s. Abbildung 2).

 

 

Abb. 3: Benachteiligungserfahrungen nach Geschlecht (Quelle: Online-Befragung (ohne k. A.); eigene Berechnungen (n = 2.600 Frauen, 2.802 Männer, 29 TIN*), Frage 28a, Mehrfachnennungen möglich) Abbildung übernommen aus Mense et al. (2024: 169)

 

Zugleich ist das Geschlecht der häufigste Anlass für Benachteiligungen und wird von knapp 30 % der Frauen genannt (s. Abbildung 3). Dies gilt auch für Frauen mit Migrationsgeschichte oder für diejenigen, die potenziell von Rassifizierung oder Ethnisierung betroffen sind. TIN*-Befragte nennen ihre Geschlechtsidentität besonders häufig. Doch auch die Nationalität und das Vorliegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung sind zentrale Dimensionen von Benachteiligungen. Denn wie häufig die vorgeschlagenen Benachteiligungsdimensionen gewählt werden (können), hängt von der Anzahl der potentiell betroffenen Personen ab. So haben 19 % der Befragten eine Migrationsgeschichte, 12 % sind dem Risiko rassifizierender und ethnisierender Zuschreibungen ausgesetzt, 9 % der Befragten geben eine nichtheterosexuelle Orientierung an, etwa jede zehnte Person ist körperlich oder gesundheitlich eingeschränkt.

Erfahrungen sexualisierter Diskriminierung und Gewalt

Deutlich wird, dass einige Frauen eine alltägliche Erfahrung mit Sexismus machen, der sie in ihrem Status als Wissenschaftlerinnen in Frage stellt, wie folgende Zitate aus den offenen Antworten der Online-Befragung zeigen:

„Nach einem Konferenzvortrag: Mann wurde von einem Professor für hervorragende Arbeit gelobt, ich hingegen für meinen Lippenstift.“

Es zeigt sich ein Kontinuum, das von Alltagssexismus bis hin zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt reicht. Berichtet wird unter anderem von „sexualisierte[r] Sprache in Seminaren“, „sexuelle[n] Anspielungen“, „unangemessenen privaten Annäherungen“, „Berührungen“, von „‚Grapschen‘“ und „Grenzüberschreitungen“. Einzelne Befragte schildern schwere gewaltförmige Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wie eine Vergewaltigung oder sexualisierte Übergriffe durch männliche Professoren.

Konkret nach den Erfahrungen mit sexueller Belästigung gefragt, berichten TIN*-Personen und Frauen deutlich häufiger von sexueller Belästigung als Männer.

 

 

Abb. 4: Erfahrungen mit sexueller Belästigung nach Geschlecht. (Quelle: Online-Befragung (ohne Nein und k. A.), eigene Berechnungen (n = 2.680 Frauen, 2.890 Männer, 33 TIN*), Frage 29. Abbildung übernommen aus Mense et al. (2024: 182).

 

Insgesamt 5,2 % der Befragten geben an, dass sie an ihrem aktuellen Arbeitsplatz in sexualisierter Art und Weise belästigt wurden, bei den Frauen waren es 9,1 % und bei den Männern 1,5 % (s. Abbildung 4). Anteilig am häufigsten haben TIN*-Befragte bejaht, sexuelle Belästigung erfahren zu haben (12,1 %). Insgesamt ist von einer Dunkelziffer bei der Erfassung sexueller Belästigung auszugehen, da – anders als in reinen Antidiskriminierungsstudien – nicht nach konkreten Erlebnissen, bspw. entlang der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Dimensionen, gefragt wurde. Als Verursachende geben die Befragten überwiegend Männer an. Frauen werden nur selten als Täterinnen benannt. Ein nicht unerheblicher Teil der betroffenen Frauen erlebt Belästigungen von Kollegen, aber auch von statushöheren Männern (Professoren oder Vorgesetzte).

Lediglich rund ein Drittel der von sexueller Belästigung betroffenen Wissenschaftler*innen gibt an, dass sie den Vorfall gemeldet hätten. Gefragt nach den Gründen, äußern mehr als die Hälfte, dass sie sich hiervon keine Lösung versprachen, knapp 45 % der Betroffenen befürchteten hierdurch sogar Nachteile. Mehr als jeder zehnten betroffenen Person war eine Beschwerde- bzw. Unterstützungsstelle nicht bekannt. Mit Blick auf die Abhängigkeitsverhältnisse und häufig befristeten Beschäftigungsverhältnisse im akademischen Mittelbau verwundert es nicht, dass sich die Betroffenen sexualisierter Diskriminierung und Gewalt oft nicht beschweren.

Fazit

Offensichtlich müssen die Bedingungen an Hochschulen verändert werden, die sexualisierte Diskriminierung und Gewalt begünstigen. Neben Hierarchien, Prekarität und Machtgefällen oder der Selbsterzählung der Hochschulen als besonders fortschrittliche oder aufgeklärte Organisationen sind hier auch fachspezifische Lehr- und Forschungsbedingungen sowie semiöffentliche Kontexte in den Blick zu nehmen, die Gelegenheitsstrukturen für Übergriffe bieten.

Doch was bedeuten die hier dargestellten Ergebnisse konkret für die Politikwissenschaft und die DVPW als Fachgesellschaft? Hierbei sollten sowohl forschungsbezogene als auch fach- und organisationspolitische Aspekte in Betracht gezogen werden. So stellen etwa Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken Forschungsgegenstände dar, deren Rolle als Voraussetzung demokratischer Gleichheit, Repräsentation und Partizipation in einer durch Macht, Hierarchie und Ungleichheit geprägten Gesellschaft sowohl demokratietheoretisch reflektiert als auch im Angesicht einer Zunahme autoritär-repressiver Politiken empirisch verstärkt zu untersuchen wären. Im Rahmen von Politikfeldanalysen und demokratietheoretischer Reflexion sollten die Themen auch als Gegenstände politikwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen Beachtung finden.

Die Bestellung einer Vertrauensperson für sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt in der DVPW seit 2015 ist ein wichtiger, sicherlich aber nicht der letzte Schritt hin zu einer diskriminierungsarmen Fachkultur. Wenig bekannt ist jedoch weiterhin die konkrete Lage an den Instituten. Daher könnte die DVPW im Rahmen einer Mitgliederbefragung genauer erfahren, welche Erfahrungen Wissenschaftler*innen in der Politikwissenschaft mit Benachteiligung und sexualisierter Diskriminierung und Gewalt machen und welche Mechanismen einer wirksamen Prävention entgegenwirken.

 

 

Über den Beitrag:

Dieser Beitrag ist unter Mitarbeit von Birgit Sauer, Vertrauensperson für sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt in der DVPW, entstanden. Am 7. November 2024 fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Politikwissenschaft im Gespräch“ der Vortrag „Feindliche Arbeitskultur, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt. Zur Situation an Hochschulen, und was die DVPW machen kann“ mit anschließender Diskussion statt. Die Aufzeichnung des Vortrags kann hier nachgeschaut werden.

 

Über die Autorin:

Heike Mauer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW. Derzeit ist sie Mitglied des Ausschusses für Frauenförderung und Gleichstellung in der DVPW und war langjähriges Mitglied des Sprecherinnenrates der Sektion Politik und Geschlecht.