Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

#WirVsVirus Hackathon: Wie die digitale Zivilgesellschaft die Politik erreicht – und warum sich das Versprechen auf Demokratisierung dennoch nicht einlöst

#WirVsVirus, so lautete das Motto eines von der Bundesregierung unterstützen digital durchgeführten Civic Hackathons, bei dem sich im März 2020 mehr als 28.000 Teilnehmer*innen virtuell zusammenfanden, um den in der Corona-Krise entstandenen gesellschaftlichen Herausforderungen gemeinsam und gemeinwohlorientiert entgegenzutreten. Civic Hackathons sind Veranstaltungen, in denen intensiv und gemeinschaftlich an (informations-)technologischen Lösungen für gesellschaftliche Probleme gearbeitet wird. Initiator*innen des Hackathons waren sieben Organisationen der digitalen Zivilgesellschaft, die gegenüber der Politik erfolgreich dafür geworben haben, dass gerade die Krisensituation eine Gelegenheit darstelle, Bürger*innen aktiv einzubinden. Die Bundesregierung übernahm anschließend die Schirmherrschaft. Doch wie demokratisch ist diese Mobilisierung “von unten” tatsächlich? Als wie substantiell erwies sich das Angebot an die Bürger*innen die Krisenbewältigung gemeinsam zu gestalten?

In diesem Beitrag und unserem ausführlichen PVS-Artikel argumentieren wir, dass ein alleiniger Fokus auf Partizipationsoffenheit unzureichend ist, um die demokratischen Implikationen des Formats zu erfassen. Wir richten den Blick stattdessen auf die Frage, wie sich das “Wir”, das hier gegen den Virus mobilisiert wird, als politisches Subjekt konstituiert: Wie können sich Bürger*innen einbringen, wie werden Ansprüche auf Herausforderungen und Lösungen vorgebracht und wird über deren Anerkennung entschieden? Wie werden im Format des Civic Hackathon das Vorbringen solcher Ansprüche (claim-making) und ihre Annahme (claim-taking) strukturiert? Diese Vorgänge lassen sich mit Hilfe aktueller Repräsentationstheorie beschreiben und analysieren. So lässt sich jenseits der rein quantitativen Analyse der Beteiligung – die im Falle des #WirVsVirus Hackathons alle Erwartungen übertraf – auch qualitativ diskutieren, wie der Anspruch auf gemeinwohlorientierte Lösungen in einem demokratischen Sinne eingelöst wurde.

#WirVsVirus und der Aufruf an die Politik

Seinen Ausgangspunkt hatte der #WirVsVirus-Hackathon in einer am 15. März 2020 stattfindenden Twitter-Konversation.  Das Bundeskanzleramt ließ sich rasch überzeugen, es vertraute den Initiator*innen, zu denen es teilweise bereits vorher enge Kontakte pflegte. Doch es machte seine Beteiligung davon abhängig, dass der Hackathon auf nachhaltige Lösungen ausgerichtet sein müsse. Nur drei Tage nach der initialen Konversation riefen die Organisator*innen bereits im Namen der Bundesregierung zur Teilnahme am Hackathon auf, der wiederum schon am nächsten Wochenende stattfinden sollte. Sie ermunterten alle Bürger*innen, Problemstellungen einzusenden, die es als Herausforderungen in der Corona-Krise zu meistern gelte. Die Teilnehmenden konnten sich dann selbstständig einem der Lösungsansätze zuteilen, um ein Wochenende lang in Teams an deren Prototypen zu arbeiten. Die eingereichten Projekte wurden anschließend in zwei Phasen von einer Jury aus Expert*innen bewertet, um die erfolgversprechendsten Lösungen herauszufiltern. Auf dieser Basis wurden insgesamt zwanzig “von der Jury ausgezeichneten Projekte” gekürt. Nach Abschluss des Hackathons bemühten sich die Organisator*innen und koordinierende Instanzen im Bundeskanzleramt für die ausgewählten Projekte ideelle, personelle und teilweise auch finanzielle Förderung zu organisieren. Beide Seiten warben außerdem für eine Verstetigung des Formats, eine abgewandelte Neuauflage fand im März diesen Jahres unter dem Namen Update Deutschland statt. Die höchsten Repräsentant*innen der Bundesrepublik – Bundespräsident und Bundeskanzlerin – suchten aktiv das Gespräch mit den Organisator*innen und unterstrichen in öffentlichen Botschaften und Treffen nicht nur die Bedeutung des konkreten Hackathons, sondern auch des digitalen zivilgesellschaftlichen Engagements allgemein.                

Beim #WirVsVirus-Hackathon handelt es sich folglich in erster Linie um einen Erfolg der digitalen Zivilgesellschaft. Die organisierenden Initiativen beanspruchten für sich, eine diverse Gruppe aktiver Bürger*innen für einen Prozess mobilisieren zu können, der konkrete Problemlösungen hervorbringt. Dass das Format vom Bundeskanzleramt aufgegriffen wurde, spiegelt die staatliche Anerkennung einer neuen Form zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation. Die Regierung hat in diesem Moment den veränderten Gestaltungsbedarf in einer digitalisierten Gesellschaft akzeptiert und war bereit, erweiterte Möglichkeiten der Organisation und Einflussnahme einzuräumen. Diese für liberale Gesellschaften wünschenswerte Aufwertung der organisierten Zivilgesellschaft gegenüber der staatlichen Politik konnte jedoch nur begrenzt in ein demokratisches Handlungsformat für die Bürger*innen übersetzt werden. Zwar wurde diesen eine öffentlichkeitswirksame Bühne geboten, auf der sie Vorschläge einbringen konnten. Wessen Stimme jedoch gehört wurde, wessen Problembeschreibung und Lösungsvorschlag also anerkannt wurde, diese Entscheidung blieb in der Hand der Organisator*innen bzw. Expert*innen. 

Zivilgesellschaft als Wettbewerb

Digitale Technologien waren für den Hackathon zentraler Bestandteil: So waren bei #WirvsVirus Lösungsvorschläge als Prototyp zu entwickeln bzw. dieser per Video zu präsentieren. Dadurch ließ sich nicht nur verbal artikulieren, auf welches Problem der Vorschlag reagieren möchte, sondern Lösungen wurden gleich in materialisierter Form erfahrbar. Obwohl Materialität und Technizität strukturieren, was und wie argumentiert werden kann, ermöglichen sie doch grundsätzlich ein differenziertes Spektrum für Auseinandersetzungen. Um den möglichen Austausch in eine demokratische Form zu bringen, wäre allerdings ein Raum für gemeinsame Urteilsbildung und Austausch notwendig, der in Anlage des Hackathons zu wenig vorgesehen war.  

Innerhalb der digitalen Zivilgesellschaft wird häufig betont, dass der Wert von Hackathons nicht vorrangig in den Projekten selbst zu sehen ist. Ziel sei vielmehr das Knüpfen von Netzwerken und der experimentelle Austausch über Ideen. Demgegenüber war die Bundesregierung von Beginn an stärker auf innovative Leuchtturmprojekte fokussiert, die eine Legitimation für das Format als Ganzes erzeugen sollten. Statt einer öffentlichen Urteilsbildung setzte sich deshalb eine lösungsorientierte Struktur durch, die unter dem Label der Open Social Innovation nicht nur Zielrealisierung, sondern auch Zielsetzung im Modus des Wettbewerbs organisierte. Was eine gemeinwohlorientierte Lösung sei, hing somit vor allem von der Bewertung des Innovationsfaktor durch die Expert*innen-Jury ab.

Die Verteilung von Handlungsmacht im Hackathon bleibt daher eine Schwachstelle: Die Einreichung von Problembeschreibung wie auch die Teilnahme an der Entwicklung von Lösungen stehen allen Bürger*innen offen. Die Einladung war bewusst niedrigschwellig und die Organisator*innen bemühten sich um unterstützende Leistungen, wie etwa ein Mentor*innen-Programm. In den Bewertungsphasen war der Hackathon hingegen weniger offen organisiert. Hier lag die Handlungsmacht einseitig bei Organisator*innen aus Zivilgesellschaft und Politik, da sie den Zuschnitt der Projekte vorgaben, über Kriterien, Auswahlmechanismen und Jurymitglieder entschieden und letztlich auch die gesellschaftliche Problemwahrnehmung beeinflussten. Damit wird deutlich, dass in Bezug auf Gemeinwohlorientierung und das „Wir“ des Hackathons, handlungs- und symboltheoretische Ebene auseinander fallen: Die Projekte werden zwar einer diffusen, potentiell unbegrenzten Öffentlichkeit transparent zugänglich gemacht, die Entscheidung über ihre Anerkennungswürdigkeit trifft jedoch ein Publikum aus Expert*innen. Die Bürger*innenschaft verbleibt somit in der Rolle einer symbolisch beschworenen Legitimationsinstanz, für die zwar gesprochen wird, jedoch nicht mit ihr oder durch sie.

Dies lässt sich auch am Konflikt um das Projekt Ich bin kein Virusverdeutlichen. Dessen Team hatte sich mit dem Vorschlag für eine Plattform zum Austausch über Corona-spezifische Rassismuserfahrungen am Hackathon beteiligt, wurde allerdings bereits nach der ersten Auswahlstufe nicht mehr berücksichtigt. Die Vertreter*innen des Projekts bemängelten daraufhin die fehlende Abbildung von Diversität in den Auswahlmechanismen. Doch erst nach einer reichweitenstarken Wiederholung dieser Kritik über Twitter kam ein Austausch in Gang. Dieser resultierte in einem Bekenntnis zu einem diversitätssensibleren Umgang in zukünftigen Formaten – ein Modus der Vermittlung widerstreitender Positionen und der Möglichkeit von Kritik steht jedoch weiterhin aus.

Formwandel der Demokratie?

Der #WirVsVirus-Hackathon lässt sich in vielerlei Hinsicht selbst als Prototyp interpretieren: Mit dem Format, dass durch Akteur*innen der digitalen Zivilgesellschaft in Anschlag gebracht wurde, sollte die demokratisch wünschenswerte Möglichkeit einer neuen Form von Bürger*innenbeteiligung demonstriert werden. Mit Erfolg: Das Modell wird bereits jetzt als Blaupause für die künftige Gestaltung der Interaktionen von Bürger*innen und Politik herangezogen.

In der demokratietheoretischen Bewertung muss das Urteil ambivalenter ausfallen:  Der Fokus auf das wirkungsorientierte “Neue” und ökonomische Prozessverbesserung wirken potentiell einer nachhaltigen Entwicklung digitaler Verfahren durch die Zivilgesellschaft entgegen. Die starke Stellung der Expert*innen untergräbt zudem das demokratisierende Potential des Formats als Plattform für die politische Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens. Und trotzdem: #WirVsVirus hat eine Entwicklung in Gang gesetzt. Wie immer im Kontext der Demokratie wird es aber mehr noch auf die Wiederholung als auf das Prototyping ankommen.

 

Über die Autor*innen:

Sebastian Berg, Veza Clute-Simon, Rebecca Freudl, Niklas Rakowski und Thorsten Thiel sind bzw. waren bis vor kurzem Mitglieder der Forschungsgruppe “Demokratie und Digitalisierung” am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).