Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Vielfältig und aus Überzeugung aktiv – Die Politikberatung deutscher Politikwissenschaftler*innen

Autor*innen: Jens Jungblut und Sonja Blum

Die deutsche Politikwissenschaft und Politikberatung

Die Bedeutung wissenschaftlicher Expertise für Politik ist im Zuge der COVID-19-Pandemie sicherlich gestiegen. Auch wenn die sichtbarsten Köpfe hierbei aus den Naturwissenschaften kommen, stellen auch andere Disziplinen Expertise zur Verfügung, z.B. Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Welche Rolle Wissenschaftler*innen in diesem Prozess einnehmen sollten, ist dabei Diskussionsgegenstand in Fach-Communities. So wurde auch in der deutschen Politikwissenschaft und der DVPW in den letzten Jahren debattiert, in welchem Ausmaß Wissenschaftler*innen beratend für politische Entscheidungsprozesse tätig sein sollten und inwiefern Wissenschaft hierdurch an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt (siehe DVPW-Dokumentation der Debatte).

Während diese Diskussion kontrovers geführt wurde und auch Fragen zur Rolle von außer-universitären Aktivitäten im Kontext unsicherer Karrierewege berührte, fehlte es bisher an empirischen Daten. Um einen besseren Einblick in die Beratungstätigkeiten der Politikwissenschaft zu bekommen, konnten wir für unsere nun in dms – der moderne staat erschienene Studie auf Umfragedaten von Politikwissenschaftler*innen an deutschen Universitäten zurückgreifen. Die Daten wurden 2018 im Kontext des ProSEPS-Projekts erhoben, das in mehr als 30 europäischen Ländern durchgeführt wurde. Insgesamt haben sich 376 Kolleg*innen aus Deutschland an der Umfrage beteiligt (Rücklaufquote: ca. 18,9%).

Wie aktiv sind deutsche Politikwissenschaftler*innen in der Politikberatung?

Die Daten zeigen, dass Politikwissenschaftler*innen in Deutschland durchaus politikberatend tätig sind. Im Vergleich zur Gesamtheit aller Befragten sind sie allerdings unterdurchschnittlich aktiv, sprich: Kolleg*innen in anderen Ländern geben an öfter zu beraten. Politikberatung ist für Politikwissenschaftler*innen an deutschen Universitäten kein Bestandteil der täglichen (oder wöchentlichen) Arbeit – in der Regel werden sie „mindestens einmal im Jahr“ tätig. Dabei gibt es aber einige Kolleg*innen, die aktiver sind. Insgesamt geben jedoch 70% der Befragten an, in zumindest einer Form der Politikberatung in den letzten drei Jahren aktiv gewesen zu sein.

Dabei stehen nach wie vor eher klassische und direkte Formen der Politikberatung im Vordergrund, wie z.B. Workshops, Konferenzen oder der direkte persönliche Kontakt. Gleiches gilt für die Kanäle der Beratung, wo Publikationen dominieren (z.B. gegenüber Blogbeiträgen oder Weiterbildungsprogrammen für politische Akteure*innen). Beides sind Hinweise auf Beratungstätigkeiten, die stark in der akademischen Tradition verwurzelt sind. In Bezug auf Adressat*innen der Politikberatung werden am häufigsten zivilgesellschaftliche Organisationen und Bürger*innengruppen genannt, gefolgt von politischen Parteien, Think Tanks, Politiker*innen der Exekutive und Beamt*innen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, in den letzten Jahren auf nationaler und subnationaler Ebene beraten zu haben. Beratung auf EU- oder internationaler Ebene erfolgt deutlich seltener.

Warum werden deutsche Politikwissenschaftler*innen beratend tätig und welche Bedeutung hat Beratung für sie?

Es lassen sich verschiedene Gründe identifizieren, aus denen deutsche Politikwissenschaftler*innen politikberatend tätig werden. Die meisten Befragten stimmen zu, dass sie beraten, weil sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen, dass es Teil ihres Berufsethos ist oder ihnen hilft, nah am gesellschaftlichen Geschehen zu bleiben. Weniger Unterstützung erfährt die Ansicht, dass Politikberatung die Karriere fördert oder zusätzliche Finanzierungsquellen bietet.

Über 90% der Befragten stimmten der Aussage zu, dass „Politikwissenschaftler*innen an der öffentlichen Debatte teilnehmen sollten, da dies Teil ihrer Rolle als Sozialwissenschaftler*innen ist“. Auch wenn sich die deutsche Politikwissenschaft nach wie vor auf akademische Formen des Wissensaustauschs konzentriert, scheint die Selbstzuschreibung einer gesellschaftlichen Verantwortung zu dominieren und Politikberatung auf breite Akzeptanz zu treffen.

Was kennzeichnet besonders aktiv beratende Politikwissenschaftler*innen?

Wenn man auf demografische Faktoren blickt und untersucht, ob sich aktiv beratende Politikwissenschaftler*innen von weniger aktiven unterscheiden, so sticht die Art des Beschäftigungsverhältnisses hervor: Unbefristet Beschäftigte sind insgesamt aktiver in der Politikberatung. Darüber hinaus sind Befragte mit einem höheren akademischen Abschluss und männliche Befragte stärker engagiert. Da eine Festanstellung in Deutschland von einem höheren akademischen Abschluss abhängt und es nach wie vor ein Geschlechterungleichgewicht unter Professor*innen gibt, hängen alle drei Faktoren zusammen.

Angesichts des stark hierarchisch-geschichteten und wettbewerbsintensiven akademischen Arbeitsmarkts sind diese Ergebnisse nicht überraschend: Sie deuten darauf hin, dass diejenigen ohne Festanstellung entweder nicht für Politikberatung „nachgefragt“ werden bzw. keinen Zugang haben. Oder aber, dass sie sich verstärkt auf wissenschaftliche „Kerntätigkeiten“ konzentrieren, die für eine spätere Festanstellung wichtiger erscheinen. Nach den Gründen für ein Engagement in der Politikberatung gefragt, fanden sich auch deutliche Differenzen zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten: Politikwissenschaftler*innen auf befristeten Stellen scheinen sich tendenziell nur als „Überzeugungstäter*innen“ in der Politikberatung zu engagieren, während Politikwissenschaftler*innen auf unbefristeten Stellen häufig auch dann aktiv sind, wenn sie Beratung keine besonders hohe Bedeutung beimessen.

Vielfältige Tätigkeiten trotz struktureller Hindernisse

Unsere Studie zeichnet ein vielfältiges Bild der politikberatenden Tätigkeiten deutscher Politikwissenschaftler*innen. Aktivität und Akzeptanz der Politikberatung erscheinen hoch – wobei sich das Beschäftigungsverhältnis als ein entscheidender Erklärungsfaktor herauskristallisiert. Deutsche Politikwissenschaftler*innen beraten Politik in vielfältiger Weise. Allerdings tun sie dies im Vergleich zu europäischen Kolleg*innen etwas seltener – was auch mit der Struktur des akademischen Arbeitsmarktes, Anreizen und disziplinären Traditionen erklärt werden kann. Wir denken hier an das grundsätzliche Selbstverständnis der deutschen Politikwissenschaft als eine Wächterin der Demokratie, die gleichzeitig Distanz zur Tagespolitik hält.

Mit Blick auf die Repräsentativität der Ergebnisse ist einzuschränken, dass unsere Studie auf Politikwissenschaftler*innen an deutschen Universitäten konzentriert war, was daher das Ausmaß an Politikberatung – z.B. mit Blick auf außeruniversitäre Forschungsinstitute – tendenziell sogar unterschätzen könnte. Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass zumindest mit Blick auf die Angebotsseite eine stark negative Sicht auf „mangelnde gesellschaftliche bzw. politische Relevanz“ der deutschen Politikwissenschaft ungerechtfertigt erscheint. Für zukünftige Forschung und mit Blick auf „faktische“ Relevanz wäre es daher interessant, auch die Nachfrageseite einzubeziehen, d.h. zu untersuchen, wie die Empfänger*innen von Beratung die Rolle der Politikwissenschaft im deutschen Politikberatungssystem wahrnehmen.

 
 

Über die Autor*innen

Jens Jungblut ist Associate Professor am Department of Political Science der Universität Oslo.

Sonja Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrgebiet Politikfeldanalyse & Umweltpolitik der FernUniversität in Hagen.