Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Haben gebrochene Wahlversprechen einen Einfluss auf Wahlentscheidungen und politisches Vertrauen?

Wahlversprechen sind aus demokratischen Wahlkämpfen nicht wegzudenken; ebenso wie Informationen dazu, ob die Wahlversprechen aus dem letzten Wahlkampf gebrochen wurden. Die Erwartung ist hierbei, dass die Bürger*innen diese Information in ihre Wahlentscheidung mit einfließen lassen, also einer ihre Versprechen brechenden Partei nicht ihre Stimme geben. Dies klingt selbstverständlich, kann aber aus den folgenden Gründen hinterfragt werden: Erstens sind die Bürger*innen im Wahlkampf vielen Informationen ausgesetzt, sodass die  gebrochenen Wahlversprechen schlicht untergehen könnten. Zweitens geht ein Großteil der Bürger*innen sowieso nicht davon aus, dass Wahlversprechen gehalten werden. So stimmen laut der Allbus-Umfrage 2016 nur 24% der Befragten der Aussage „Die Politiker, die wir in den Bundestag wählen, versuchen, ihre Versprechen aus dem Wahlkampf zu halten“ zu. Informationen zu gebrochenen Wahlversprechen entsprechen somit den Erwartungen und haben wenig Neuigkeitswert.

Zu welchem Ergebnis kommt nun die politikwissenschaftliche Forschung hinsichtlich der Erwartung, dass gebrochene Wahlversprechen einen Einfluss auf Wahlentscheidungen haben? Hiermit beschäftigt sich beispielsweise Theres Matthieß. In einer 2020 veröffentlichten Studie konnte sie auf der Aggregatebene anhand von 69 Wahlen zwischen 1977 und 2015 in 14 Ländern zeigen, dass eine Regierungspartei, die 50% ihrer Wahlversprechen hält, durchschnittlich 7% an Stimmen verliert; hält sie jedoch 80% ihrer Wahlversprechen, verliert sie nur 2% der Stimmen. Diesen Befund konnte sie anhand eines experimentellen Designs auf der Individualebene bestätigen: Die Wahrscheinlichkeit, eine ihre Wahlversprechen brechende Partei zu wählen ist signifikant geringer als die Wahl derselben fiktiven Partei ohne die Information, dass ein Wahlversprechen gebrochen wurde. In dieser Studie bezieht sie auch das generelle Vertrauen der Teilnehmenden in die Absicht der Parteien, ihre Wahlversprechen zu halten, mit ein und kann zeigen, dass misstrauische Teilnehmende die Partei noch einmal stärker für das Brechen eines Wahlversprechens bestrafen. Dies deutet auf politisches Vertrauen als wichtiges Glied in der Kette zwischen Wahlversprechen und Wahlentscheidung hin.

Unsere eigene Studie untersucht daher den Effekt von Informationen zu gebrochenen vs. gehaltenen Wahlversprechen auf das Vertrauen in die Regierungsparteien anhand eines zweiwelligen experimentellen Designs mit zwei Experimental- und einer Kontrollgruppe. Hierfür wurde das Vertrauen in die Bundesregierung in der ersten und zweiten Welle gemessen und vor der zweiten Messung Informationen zu Wahlversprechen gegeben. Die erste Experimentalgruppe bekam einen fiktiven Online-Zeitungsartikel mit der Aussage zu sehen, dass die aktuelle Bundesregierung die meisten ihrer Wahlversprechen gebrochen hat. Der zweiten Experimentalgruppe wurde dagegen ein Artikel mit der Kernaussage gezeigt, dass die meisten Wahlversprechen gehalten wurden. Das Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass das Vertrauen in die Bundesregierung durch die Information zu gebrochenen Wahlversprechen leicht sank und durch die Information zu gehaltenen Wahlversprechen leicht anstieg.

Da wir nicht erwarten, dass alle Teilnehmenden gleichförmig auf politische Informationen reagieren, haben wir zusätzlich Faktoren untersucht, die den Effekt gebrochener Wahlversprechen auf politisches Vertrauen beeinflussen dürften. Hier zeigte sich, dass der Unterschied zwischen den Gruppen mit Informationen zu gebrochenen oder gehaltenen Wahlversprechen insbesondere bei denjenigen ausgeprägt war, die mit der Regierung eher oder sehr zufrieden waren. Die Bürger*innen, die nicht zufrieden mit der Regierung waren, konnte also auch die Information zu gehaltenen Wahlversprechen in ihrem negativen Urteil nicht umstimmen. Zudem hatte die Information zu Wahlversprechen bei denjenigen einen Effekt auf das politische Vertrauen, die die Information persönlich relevant fanden. Vor dem Hintergrund, dass politikverdrossene Bürger*innen Wahlversprechen als reine Rhetorik abtun dürften, spricht dies dafür, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung durch Informationen zu gehaltenen und gebrochenen Wahlversprechen nicht erreicht werden dürfte.

Fasst man die Ergebnisse der genannten Studien zusammen, zeigt sich ein doppelter negativer Effekt des Brechens von Wahlversprechen auf Wahlentscheidungen: erstens direkt und zweitens vermittelt über das politische Vertrauen. Dass durch gebrochene Wahlversprechen auch das Vertrauen in die Regierungsparteien in Mitleidenschaft gezogen werden kann, dürfte zudem eine profundere Wirkung haben als die kurzfristige Wahlentscheidung gegen eine Partei. Durch den Effekt auf politisches Vertrauen könnte das Brechen von Wahlversprechen den Parteien also längerfristig schaden. Dies könnte sich auch auf die zweite wichtige Funktion von Wahlversprechen in Wahlkämpfen auswirken: Anhand von Wahlversprechen informieren die Parteien die Bürger*innen über ihre politischen Vorhaben für die nächste Legislaturperiode. Laut des Ansatz der Promissory Representation wählen die Bürger*innen dann die Partei, die ihren Vorstellungen am nächsten kommt. Fehlt den Bürger*innen durch das Brechen von Wahlversprechen jedoch das Vertrauen in die Parteien, dass diese ihre Wahlversprechen halten werden, funktioniert diese wichtige Verbindung zwischen Wähler*innen und Politik nicht. Die Parteien sind also nicht nur wegen des Vermeidens von Stimmverlusten gut beraten, ihre Wahlversprechen zu halten, sondern auch zur Aufrechterhaltung der Repräsentation der Wähler*innen durch Wahlversprechen im Sinne der Promissory Representation

 

 

 

Über die Autor*innen:

Dr. Evelyn Bytzek ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Politikwissenschaft an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (Campus Landau).

Dr. Julia C. Dupont hat an der Universität Koblenz-Landau (jetzt Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau) zum Thema „Perception, Credibility, & Trust. Citizens‘ Perspectives on Election Pledges“ promoviert. Aktuell arbeitet sie als Organisationsentwicklerin bei Capgemini Invent und begleitet Organisationen bei der Umsetzung komplexer Transformationen.

Prof. Dr. Melanie Steffens ist Professorin für Sozialpsychologie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (Campus Landau).

Dr. Nadine Knab ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe affektive Neurowissenschaften an der Charité Berlin und war zuvor Postdoctoral Fellow und Lecturer an der Tel Aviv University, Israel.

Dr. Frank M. Schneider ist festangestellter Postdoc am Institut für Publizistik, Arbeitsbereich Medienwirkung und Medienpsychologie, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.