Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Grundlagen der Politikwissenschaft vermitteln...aber wie? Ein Beitrag von Sylvia Kritzinger und Thomas Bernauer

Autor*innen: Sylvia Kritzinger und Thomas Bernauer

 

 

Die fünfte Auflage des Lehrbuches „Einführung in die Politikwissenschaft" ist vor kurzem im Nomos Verlag erschienen. Das überarbeitete Lehrbuch legt in umfassender Weise die wichtigsten Konzepte, Theorien, Forschungsansätze und -inhalte der Politikwissenschaft dar. Es soll hier jedoch nicht um eine Besprechung des Buchinhaltes gehen, sondern um zwei grundsätzlichere Fragen, die sich wohl viele Lehrende von Einführungskursen in die Politikwissenschaft in Bachelor-Studiengängen stellen:

(1) Ist ein breit angelegter Einführungskurs zur Politikwissenschaft sinnvoll?

(2) Und wenn ja, wie könnte dann ein Lehrbuch mit dieser umfassenden Ausrichtung eingesetzt werden?

Beim Einstieg in das Studium der Politikwissenschaft ist eine integrative methodische und inhaltliche Fokussierung durch einen breit angelegten Einführungskurs sinnvoll. Durch ein flipped class room-Vorgehen, bei welchem die aktive Beteiligung der Studierenden gefördert und gleichzeitig auf offene Fragen eingegangen wird, kann das Lehrbuch von Lehrenden sinnvoll eingesetzt werden.

 

Konkrete Vorstellungen vom Studium der Politikwissenschaft fördern

Während Vorstellungen über die Inhalte des Fachs in Studienrichtungen wie z.B. Chemie, Physik, Geschichte, Mathematik oder Sprachen bei Studienanfänger*innen relativ klar ausgeprägt und noch von Schule und Gymnasium beeinflusst sind, ist dies bei Studienrichtungen wie z.B. Politikwissenschaft, Soziologie oder Psychologie weniger der Fall. Vielfach besteht bei Studierenden der Politikwissenschaft zu Beginn des Studiums noch die (fehlgeleitete) Idee, dass in Lehrveranstaltungen des Fachs schwergewichtig über tagesaktuelle politische Ereignisse diskutiert wird und Studierende vor allem etwas über rechtliche und historische Rahmenbedingungen von politischen Systemen oder ähnliche Dinge lernen. Organisator:innen von politikwissenschaftlichen Studiengängen erachten es deshalb meist als wichtig, den Studierenden gleich zu Beginn ihres Studiums einen Überblick über die Breite des Fachs zu verschaffen, sodass Studierende häufig bereits im ersten Semester dazu angehalten werden Kurse zu Teilbereichen der Politikwissenschaft zu besuchen. Dabei kommen Querbezüge und Schnittstellen zwischen den Teilbereichen häufig zu kurz und es fällt den Studierenden bisweilen schwer, spezifische Lerninhalte in das „große Ganze“ des Faches einzuordnen und die Tiefe des Faches zu erfassen.

Dieser Herausforderung kann mit einer integrativen Vermittlung der methodischen und inhaltlichen Grundlagen der Politikwissenschaft im 1. Semester des Studiums begegnet werden. Dadurch kann ein besseres Verständnis für das Fach geschaffen und die Erwartungshaltung für die nächsten Semester angepasst werden. Dabei sind aus unserer Sicht vor allem drei Kernkurse relevant, welche diese Grundlagen vermitteln können: Einführung in die Politikwissenschaft, Grundlagen zur Vermittlung von wissenschaftlichem Arbeiten, inklusive der breiten Palette an methodischen Herangehensweisen an politikwissenschaftliche Fragestellungen, sowie politische Theorie. Mit diesem Grundlagenstock sind Studierende dann für Vertiefungskurse in unterschiedlichen Ausrichtungen und Teilbereichen der Politikwissenschaft (z.B. Internationale Politik, Vergleichende Politik) gerüstet. Die Antwort zur ersten Frage ist daher aus unserer Sicht: Ja, ein breit angelegter Einführungskurs sollte im ersten Semester im Zentrum stehen und durch die beiden anderen genannten Kurse ergänzt werden. Er bereitet Studierende nicht nur für die nächsten Semester vor, sondern kann auch motivierend und wegweisend wirken. 

 

Einsatz eines Lehrbuchs – eine Beispiel

Kommen wir also zu unserer zweiten Frage. Fast jede:r Lehrende war schon mit der Frage konfrontiert ob und wenn ja wie sehr sie/er Lehrbücher mit den Lehrveranstaltungen – v.a. Vorlesungen – verknüpft. Dies trifft insbesondere auf Einführungsveranstaltungen zu Beginn des Studiums zu.

Einerseits verführen Lehrbücher dazu, sich eventuell zu eng an den Buchinhalt zu halten und das Lehrbuch quasi als Vorlesungsskript zu verwenden. Dies führt jedoch im Extremfall dazu, dass Studierende für die Lehrveranstaltung angelockt werden, die sich das selbständige Lesen ersparen wollen, oder aber Studierende lediglich zur Prüfung erscheinen, da sie sich den Stoff selbst erlesen können.

Andererseits kann dies auch zu einer starken Erweiterung des Lernstoffes und womöglich zu einer Überforderung eines Teils der Studierenden führen, wenn die Lektüre eines Lehrbuches bzw. einzelner Kapitel zur Pflicht erklärt wird, aber im Kurs selbst dann vor allem weiterführende Fragen und Studien behandelt werden.

Der Mittelweg zwischen diesen beiden Varianten ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Lösung, auch bedingt durch neue didaktische Konzepte, die in die Lehre der Universitäten Einzug gehalten haben. Im Sinne eines flipped class rooms können z.B. im ersten Teil der Lehrveranstaltung Studierende die wichtigsten Inhalte des zu lesenden Lehrbuchkapitels präsentieren und dabei auch gleich jene Punkte benennen, die sie nicht ganz verstanden haben oder vertiefen möchten. Im zweiten Teil der Lehrveranstaltung können dann offene Fragen, Übungsfragen sowie einzelne Studien zum entsprechenden Thema im Zentrum stehen – eine große Auswahl von Übungsfragen, die unser Lehrbuch in seiner ganzen Breite abdecken, ist z.B.  an der ETH Zürich verfügbar.

Diese beiden Elemente ermöglichen einerseits einen sinnvollen Einsatz eines Lehrbuchs ohne die oben erwähnten möglichen Probleme heraufzubeschwören. Anderseits können sie in einer frühen Phase des Studiums Interesse und kritische Auseinandersetzung mit Lerninhalten und auch mit dem Fach(gebiet) bei den Studierenden erzeugen. Diese Herangehensweise – regelmäßiges Lesen der Buchkapitel im Einführungsbuch, aktive Teilnahme an der Lehrveranstaltung durch das Vorbringen eigener Fragen sowie das gemeinsame Beantworten der Übungsfragen in der Lehrveranstaltung – führt auch dazu, dass Studierende für ihre ersten Prüfungen gut vorbereitet sind und somit auch motiviert ins Studium starten.

Mit diesen Anregungen hoffen wir einige Möglichkeiten zur Verwendung des Lehrbuchs aufgezeigt zu haben. An weiteren Anwendungsmöglichkeiten und grundsätzlichem Feedback sind wir sehr interessiert und freuen uns auf den Austausch.

 

 

Über die Autor*innen:

Thomas Bernauer ist Professor für Internationale Politik an der ETH Zürich.

Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.