Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Frauenanteil im Bundestag sinkt um fast 3%-Punkte. Wie Wahlrechtsreform und Rechtsruck die Frauen aus dem Parlament drängen

6. März 2025

Autorinnen: Corinna Kröber und Lena Stephan

 

 

Im neuen Bundestag wird sich vieles ändern: Er wird kleiner. Er wird ideologisch weiter rechts angesiedelte Mehrheiten haben. Und er wird männlicher. Bei der Wahl am 23. Februar 2025 wurden nur 32,38% Frauen gewählt, während es 2021 noch 35,20% waren. Wir analysieren wie die Verschiebung der politischen Mehrheiten nach rechts und die Wahlrechtsreform sich auf den sinkenden Frauenanteil im Parlament auswirken und diskutieren, was das kurz- und langfristig für die Repräsentation von Frauen bedeutet. Außerdem zeigen wir verschiedene Hebel wie paritätische Quotenregelungen oder Anreize für Parteien auf, um den beschriebenen Entwicklungen aktiv entgegenzuwirken.

Die politischen Mehrheiten sind nach rechts verschoben: 2021 erreichten die Parteien auf der rechten Seite des ideologischen Spektrums noch 50% (CDU, CSU, FDP und AfD), 2025 liegt der Wert trotz des Scheiterns der FDP an der 5%-Hürde bei 57%. Die Parteien, die erstarkt sind, haben traditionell die niedrigsten Frauenanteile. So sind unter den neu Gewählten der CDU nur 23% Frauen, der CSU 25% und der AfD 12%. Die Parteien auf der linken Seite des ideologischen Spektrums erreichen im direkten Vergleich deutlich höhere Frauenanteile, mit 42% bei der SPD, 56% bei der Linken und 61% bei den Grünen.

 

Tabelle 1: Von Wahl zu Wahl – wie weiblich ist der Bundestag? Diesjährige Kandidatinnen und gewählte Frauen bei den Bundestagswahlen 2021 & 2025

 

 

CDU

CSU

AfD

SPD

Grüne

Linke

FDP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gewählte Frauen 2021

Direktmandate

16,67

20,93

12,5

31,93

60,00

33,33

 

 

Listenmandate

38,10

 

12,86

56,25

57,94

56,41

24,24

 

Gesamt

25,16

20,93

12,79

42,79

58,20

54,76

24,24

Kandidatinnen 2025

Direktmandate

23,81

25,53

12,88

37,79

48,48

32,88

19,40

 

Vielversprechende Direktmandate [a]

13,83

23,26

6,67

31,03

73,33

33,33

 

 

Vielversprechende Listenmandate (traditionell) [b]

36,51

 

11,43

47,92

61,68

53,85

28,28

 

Vielversprechende Listenmandate (neues Wahlsystem) [c]

31,75

 

10,00

36,46

46,73

41,03

19,19

Gewählte Frauen 2025

Direktmandate

18,75

25,00

11,90

25,00

75,00

16,67

 

 

Listenmandate

36,11

 

11,82

51,32

58,90

60,34

 

 

Gesamt

22,56

25,00

11,84

41,67

61,18

56,25

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Datengrundlage: Die Bundeswahlleiterin (Stand 24.02.2025, 02:22h)

[a] identifiziert als 2021 gewonnene Wahlkreise; exkludiert die 6 Wahlkreise, deren Name sich im Zuge der Wahkreisanpassungen für die Wahl 2025 verändert hat, da dies substantielle Veränderungen im Gebiet und der Wähler*innenschaft impliziert.

[b] identifiziert nach den Listenpositionen, die 2021 zum Zug kamen.

[c] identifiziert nach den Listenpositionen, die 2021 zum Zug kamen, multipliziert mit dem Faktor 0.76, was dem Faktor entspricht, um den die Listenmandate vom BT 2021 zum BT 2025 schrumpfen (Verfassungsblog; LSE Blog).

 

Doch auch ohne ideologische Verschiebungen wäre der Frauenanteil im Bundestag gesunken, denn die Wahlrechtsreform von 2023 verstärkt den Druck auf die Chancen von Kandidatinnen durch drei Mechanismen:

(1) Es gibt weniger Listenmandate, über die besonders Frauen gewählt werden.

Nach den neuen Wahlregeln wurde das durch Zweitstimmen gewonnene Kontingent an Sitzen im Bundestag zunächst mit Direktkandidat*innen besetzt. Die übrigen Plätze wurden dann durch die Listen-Kandidat*innen aufgefüllt. Für Frauen war das fatal, denn sie ziehen über die Landeslisten der Parteien weitaus häufiger ins Parlament ein als über Direktmandate. So gewannen Frauen 2025 40% der Listenmandate, aber nur 22% der Direktmandate. Grund dafür ist, dass Entscheidungsträger*innen in den Parteien auch heute noch oft glauben, Frauen hätten geringere Chancen, Direktmandate zu gewinnen.

(2) Im Wettbewerb um vielversprechende Listenplätze setzten sich vor allem die Männer durch.

Weil die Zahl der Listenmandate vom vorherigen zum neuen Bundestag um etwa 100 Mandate sinken musste, gab es dieses Mal einen besonders intensiven Wettbewerb um die Listenplätze, welche einen Wiedereinzug in den Bundestag wahrscheinlich machen würden. In diesem Wettbewerb zogen Frauen oft den Kürzeren. Besonders sichtbar ist das bei den Kandidierendenlisten der SPD: Deren Listenmandate gewannen 2021 noch 58% Frauen; auf den gleichen Listenplätzen, die nach dem alten Wahlsystem besonders vielversprechend wären, fanden sich 2025 schon nur noch 48% Frauen. Tatsächlich gewählt wurden für die SPD über die Landeslisten 2021 56% Frauen, 2025 dann ganze 5%-Punkte weniger, also 51%. Ähnliche Tendenzen zeigten sich bei der CDU, für die 2021 noch 38% Frauen über die Landesliste gewählt wurden und 2025 nur noch 36%, sowie der AfD, wo der Frauenanteil unter den erfolgreichen Listenkandidierenden von 13% auf 12% sank. Ein Blick auf die Kandidierendenlisten zeigt, dass auch für die Linke eine ähnliche Entwicklung zu erwarten gewesen wäre (- 2%-Punkte). In der Realität konnte die Linke bei der jüngsten Wahl ihre Mandatszahl jedoch ausbauen, was diesem Trend entgegenwirkte. Lediglich die Grünen schafften es, den Frauenanteil auf den Listen trotz rückläufiger Mandatszahl sogar um 1%-Punkt von 58 auf 59% zu steigern – was darauf hindeutet, dass Kandidatinnen bei der Vergabe auch von vielversprechenden Listenplätzen berücksichtigt wurden.[1]

(3) Frauen verlieren eher als Männer ihre Direktmandate, weil sie häufiger nur mit knappen Mehrheiten gewählt werden:

Direkt gewonnene Wahlkreismandate entfallen neuerdings, wenn die Anzahl der gewonnenen Direktmandate die der laut Zweitstimmen zustehenden Sitze übersteigt. Doch wer wie viele Stimmen in einem Wahlkreis bei einer einfachen Mehrheitswahl erreicht, ist nicht unabhängig vom Geschlecht, sondern Frauen erzielen oft systematisch schlechtere Ergebnisse als Männer. Forschung zeigt, dass das in der Regel nicht daran liegt, dass die Wähler*innen Kandidatinnen weniger zutrauen – vielmehr ist es oft so, dass Frauen eher da aufgestellt werden, wo Parteien nicht ganz so stark sind. In Deutschland sehen wir, dass, während Frauen nur 22% der in den Bundestag einziehenden Direktmandate erzielten, sie 35% der Wahlkreissieger*innen stellen, die nicht durch Zweitstimmen gedeckt sind. Frauen stellen also nur gut ein Fünftel der Direktmandatar*innen, aber gut ein Drittel der gestrichenen Direktmandate. Der Effekt ist klar: Direkt gewählte Frauen haben eine niedrigere Chance als direkt gewählte Männer, in den Bundestag einzuziehen.

Immerhin - Es hätte schlimmer ausgehen können: Hätten CDU/CSU die vor der Wahl prognostizierten 32% erreicht, oder wären FDP und/oder BSW in den Bundestag eingezogen, wäre der Frauenanteil noch einmal deutlich niedriger ausgefallen. Zwar stellten CDU und CSU insgesamt mehr Frauen auf als FDP (20%) und BSW (29%), doch auf wenig erfolgversprechenden Listenplätzen und in wenig erfolgversprechenden Wahlkreisen. So kandidierten zwar 37% Frauen für die CDU und 37% für die CSU, aber gewählt wurden nur 23% bzw. 25% Frauen.

Was machen schon 3% weniger Frauen im neuen Bundestag? Wenn weniger Frauen im Bundestag sitzen, können sie weniger die Interessen von Frauen einbringen. Besonders kritisch ist, dass Frauen deutlich seltener in der CDU/CSU, den vermutlich nächsten Regierungsparteien, vertreten sind, da sie dort direkten Einfluss auf Gesetzgebung und Kabinettsbesetzung haben. Weniger Frauen als Regierungsmitglieder bedeuten nicht nur eine geringere thematische Priorisierung, sondern auch langfristig ein schwächeres politisches Netzwerk für Frauen in der Politik und weniger Frauen als politische Vorbilder für die Gesellschaft. Um dem entgegenzuwirken, könnten Paritätsgesetze, parteiinterne Quoten oder positive Anreize wie eine an Geschlechterquoten geknüpfte Parteienfinanzierung nach österreichischem Vorbild helfen.

 

[1] Vielversprechende Listenplätze sind in der Fachliteratur als die Plätze definiert, die bei der vorherigen Wahl ins Parlament eingezogen sind. Angesichts der sinkenden Anzahl an Listenmandaten nach der Wahlrechtsreform war jedoch abzusehen, dass viele dieser Listenplätze nicht wirklich vielversprechend sind. Bei früheren Analysen der Kandidierendenlisten im neugewählten Bundestag (Verfassungsblog; LSE Blog) haben wir daher pauschal mit dem Faktor 0.76 die sinkende Anzahl der Listenmandate von 437 (736-299) auf die nun maximal möglichen 331 (630-299) berücksichtigt. Bei dieser Rechnung wurde auch für die Grünen ein deutliches Absinken des Anteils der über die Landesliste gewählten Frauen prognostiziert. Dass das so bei der Wahl nicht eintrat, zeigt, dass die Partei ihre Erfolgschancen akkurater antizipierte als diese pauschale Rechnung und diese Dynamik bei der paritätischen Aufstellung der Kandidat*innen berücksichtigt wurde. Dieses realpolitische Beispiel zeigt, dass Parteien, die Wert auf die paritätische Aufstellung ihrer Kandidat*innen-Listen legen, durchaus effektiv steuern können, wie viele Mandatsträgerinnen nach der Wahl in der Fraktion sitzen.

 

 

Über die Autorinnen:

 

Corinna Kröber ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Greifswald.

Lena Stephan ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Greifswald.