Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Prof. Dr. parl. und Dr. noparl. - Vier Buchstaben mit großem Effekt. Falscher Professorentitel macht mit großer Wahrscheinlichkeit einen Unterschied.

Vor zwei Wochen wurde bekannt¹, dass der AfD Europawahlkandidat Gunnar Beck (Listenplatz 10) mit einem Professorentitel auf dem Stimmzettel geführt wird, den er in Deutschland so gar nicht führen darf. Sein Unterricht des Europarechts und der Rechtstheorie an der SOAS University of London sowie der damit einhergehende Titel des “Reader in Law” kann laut Aussagen des NRW-Wissenschaftsministeriums nicht in einen deutschen Professorentitel umgewandelt werden².

Können akademische Titel auf dem Stimmzettel einen Unterschied machen? Nach unseren Berechnungen, die zuerst in der Süddeutschen Zeitung berichtet wurden, ist die Antwort: ja. Im Durchschnitt kann der falsche Professorentitel einen Effekt von 0.91 Prozentpunkten haben und liegt im 5/6 Kredibilitätsintervall zwischen 0.096 und 1.68 Prozentpunkten. Das heißt, dass der Effekt außerhalb dieses Intervalls liegt ist genauso wahrscheinlich wie mit einem Würfel eine 6 zu würfeln – prinzipiell möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Bei der vergangenen Europawahl führte der Effekt eines falschen Professorentitels dazu, dass die AfD mit einer Wahrscheinlichkeit von 77% einen zusätzlichen Sitz gewonnen hat, den sie mit einem korrigierten Stimmzettel nicht gewonnen hätte.

Unser Vorgehen zur Identifikation eines Titel-Effekts

Wie kann man sowas abschätzen? Wir haben uns die Listen und Ergebnisse der letzten vier Europawahlen angesehen und stellten fest, dass Professoren (richtige oder falsche) recht selten kandidieren – zumindest nicht auf den ersten 10 Plätzen, die maximal auf den Stimmzetteln abgedruckt sind. Natürlich ist auch ein Einfluss eines Professorentitels auf weiteren Listenplätzen denkbar, aber für unsere Berechnungen nehmen wir an, dass wenn ein Titel nicht auf dem Wahlzettel steht, dieser auch keinen systematischen Einfluss auf die Stimmabgabe hat.

Zur Abschätzung des Effekts eines falschen Professorentitels auf der AfD Liste betrachten wir die Listen der Union, weil sie uns ermöglichen zu jeder Europawahl 16 verschiedene Landeslisten systematisch zu vergleichen (die CSU wird aus Praxisgründen als 16. Landesverband der CDU betrachtet). Damit lässt sich prinzipiell der Effekt eines Professorentitels sauberer identifizieren, da der Kontext der Europawahl fix ist.

Allerdings finden wir selbst auf den Unions-Landeslisten keine starke Varianz hinsichtlich Kandidierenden mit Professorentitel. Ohne Varianz kann man schwerlich einen Effekt identifizieren. Einzig die Europawahl von 2009 scheint uns von dem Kandidierenden-Portfolio her gut geeignet zu sein. Insgesamt finden wird 16 Kandidierende mit Doktortitel und vier Kandidierende mit Professorentitel die sich über die 16 Landeslisten der Union wie folgt verteilen:

Hinsichtlich Doktortitel finden wir

  • vier Listen ohne Kandidierende mit Doktortitel,
  • fünf Listen mit jeweils einem Kandidierenden mit Doktortitel,
  • vier Listen mit zwei Kandidierenden mit Doktortitel,
  • zwei Listen mit drei Kandidierenden mit Doktortitel
  • eine Liste mit vier Kandidierenden mit Doktortitel

Hinsichtlich Professorentitel finden wir

  • 13 Listen mit Kandidierenden ohne Professorentitel,
  • zwei Listen mit jeweils einem Professor
  • eine Liste mit zwei Professoren.

Wenn man für die 16 Listen den Stimmanteil der CDU in den jeweiligen Ländern auf das Ergebnis bei der vorherigen Europawahl regressiert und zudem noch für den Anteil der Kandidierenden auf dem Wahlzettel kontrolliert, die einen Doktortitel bzw. einen Professorentitel führen, lassen sich je einen separater Effekt für Kandierende mit Doktortitel und Professorentitel identifizieren. Diese Effekte sind folglich unabhängig von der zu erwartenden Stärke einer Landesliste sofern das durch den Stimmenanteil bei der vorherigen Wahl kontrolliert werden kann.

Unsere Ergebnisse – Der falsche Professorentitel macht einen Unterschied

Die Ergebnisse der Regression für 2009 benutzen wir als Vorwissen (Prior), um die Effekte für Kandierende mit Doktortitel und Professorentitel in einem Bayesianischen Mehrebenenmodell über alle Europawahllandeslisten der Union hinweg für die Jahre 1999 bis 2014 zu schätzen. Die Regressionskoeffizienten des Bayesianischen Mehrebenenmodells sind wie folgt:

Wir benutzen nun die Ergebnisse um ein hypothetisches Szenario abzuschätzen, nämlich wenn die AfD korrekterweise mit Dr. Gunnar Beck (auf Listenplatz 10) angetreten wäre, statt fälschlicherweise mit Professor Dr. Gunnar Beck. Wir interessieren uns also für die vom Modell vorhergesagte Differenz der Stimmenanteile der AfD, wenn wir die Anzahl der Professoren auf der Liste um einen vermindern (von tatsächlichen 20% der Kandidierenden mit Professorentitel auf eigentlich korrekte 10%) und gleichzeitig den Anteil der Kandierenden mit Doktortitel um eins erhöhen (d.h. von tatsächlichen 30% auf 40%), da Herr Beck korrekterweise einen Doktortitel führen darf. Auf Basis des vorläufigen Wahlergebnisses möchten wir herausfinden, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass die AfD ihren elften Sitz aufgrund des falschen Professorentitels gewonnen hat. Diese Wahrscheinlichkeit ist erheblich. Unser Modell sagt, dass die AfD mit einer Wahrscheinlichkeit von 77% ohne den falschen Professorentitel (dafür mit einem zusätzlichen legitimen Doktortitel) weniger als 11 Sitze erhalten hätte. Diese Wahrscheinlichkeit ist auch deshalb so groß, weil die AfD ein Rundungsgewinner der Umrechnung von Stimmen auf Sitze ist. Dementsprechend reichen kleine Titel-Effekte schon aus um der AfD einen Sitz zu kosten. Der falsche Professorentitel brachte der AfD vermutlich den elften Sitz.