Autor*innen: Brigitte Bargetz, Paula Diehl und Nina Elena Eggers
Politik gibt Orientierung, und Orientierung gelingt besonders dann, wenn sie in narrativer Form vermittelt wird. Über Narrative, also über den Akt des Erzählens politischer Geschichten, werden Erinnerungen aufgerufen, politische Erfahrungen verarbeitet sowie Verhältnisse (re)imaginiert und legitimiert. Erzählen ist immer auch affektiv, denn es sortiert Gefühle, macht emotionale Reaktionen erkennbar und ruft Affekte hervor. Dieses Zusammenspiel des Politischen, Affektiven und Narrativen zeigt sich auch im gegenwärtig erstarkenden Rechtspopulismus. Jede Form des Populismus entwickelt ein „Narrativ des betrogenen Volkes“ (Diehl 2011; Taguieff 2007), das die Geschichte der Wiedergewinnung der Volkssouveränität mit Hilfe einer populistischen Führungsfigur erzählt. So auch das Narrativ des Rechtspopulismus.
Vom Narrativen und Affektiven
Sowohl der Begriff des Narrativs als auch jener des Affekts ist in der politischen, medialen und wissenschaftlichen Debatte omnipräsent. Mittlerweile wird auch für die Politikwissenschaft ein narrative turn ausgerufen. Dabei kommen die meisten Ansätze nicht um Roland Barthes umhin, für den die Erzählung (récit) im Zentrum der „menschlichen Geschichte“ steht. Insbesondere Gründungsgeschichten von politischen Kollektiven werden als geschlossene Narrationen erzählt. In diesen wird eine gemeinsame Vergangenheit von einem vermeintlichen Ursprung her auf einen Zweck hingeleitet. Nationale Narrative verhandeln politische Zugehörigkeiten und bedienen sich dabei gerne Formen des autobiographischen Erzählens, in denen das eigene Erleben und Erfahren mit bekannten Narrationen verknüpft wird.
Eine politisch wichtige Rolle spielen auch Gefühle – dies wurde lange Zeit von der Politikwissenschaft ignoriert. Seit der westlichen Moderne galten Gefühle vor allem als Störfaktor, weshalb Politik idealerweise als objektiv, neutral und rational imaginiert wurde. Spätestens der Aufstieg des Rechtspopulismus zeigt jedoch, dass Gefühle aus dem Politischen nicht einfach ,weggedacht‘ werden können, sondern in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Hier schließt der affective turn an, von dem seit geraumer Zeit in unterschiedlichen Disziplinen die Rede ist. Inzwischen haben Neurologie und Psychologie eine klare Trennung zwischen Rational-Artikulierbarem und Affektivem überwunden. Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Brian Massumi geht weiter und differenziert zwischen Affekten und Emotionen. Affekte fasst er als „a-soziale“ körperliche Intensität auf, während Emotionen als deren sprachlicher Ausdruck verstanden werden. Anders als Emotionen stehen Affekte durch ihre unmittelbare körperliche Komponente gerade jenseits von Narration.
Affektive Narrative
Politische Narrative mit Affekten zusammenzudenken, erscheint aus dieser Perspektive – wenn Affekt der Narration quasi vorgelagert ist – zunächst kontraintuitiv. Für eine politiktheoretische Auseinandersetzung ist daher weniger eine Auffassung affektiver Unmittelbarkeit brauchbar, als vielmehr ein Affektbegriff, der Gefühle als historisch-spezifisch und erzählerisch vermittelt begreift. Erzählen wird hierbei im Anschluss an Paul Ricœur als ein umfassenderer Prozess verstanden, als ein Deutungsakt und eine Inszenierungspraktik, in die die Erzähler*innen gleichermaßen wie ihr Publikum eingebunden sind. Erzählen ist so gesehen ein konstitutiver und strukturierender politischer Modus.
Narrative, die zwischen Erzähler*innen, erzählter Geschichte und Publikum vermitteln, sind auf mehrere Weisen affektiv: Erstens geben Geschichten Affekten eine Form sowie einen Verlauf und evozieren durch Spannungsbögen und Identifikationsfiguren Gefühle wie etwa Mitgefühl, Empathie, Liebe aber auch Angst, Hass, Zorn oder Abneigung. Ebenso werden Vergangenheit und Zukunft in Narrationen affektiv vergegenwärtigt. Zweitens dienen affektive Narrative als Projektionsflächen, Resonanz- und Identifikationsräume. Über das Wahrnehmen von Erzählungen ordnen Menschen das Erzählte in ihre Erfahrungshorizonte auch affektiv ein. Drittens sind die Erzähler*innen selbst aus diesem performativen Prozess nicht auszuklammern. Affektive Narrative wirken auch durch Bindungen an und Identifikation mit den Erzähler*innen.
Führungsfigur und Volk in Harmonie
In der Populismusforschung wird vielfach auf den Gegensatz von Volk und Elite verwiesen. Das Volk soll demnach Widerstand gegen den Machtmissbrauch und, mehr noch, den Verrat durch die liberalen Eliten leisten. Es geht aber nicht allein um die Mobilisierung des ‚Volkes‘ im Sinne seiner Selbstartikulation, sondern zugleich um die zentrale Bedeutung der Beziehung zwischen charismatischer Führungsfigur und dem Volk, die als harmonische Beziehung konstruiert wird. Diese populistische Führerperson nimmt eine doppelte und ambivalente Rolle ein: Zum einen tritt sie, häufig ein Mann, als ‚Mann des Volkes‘ auf, der sich gegen die Elite positioniert. Zum anderen steht dieser als Anführer gewissermaßen über dem Volk und inszeniert sich als Retter der Nation. Der Rechtspopulismus fügt diesem Narrativ eine Komponente hinzu: Neben der Elite werden auch die „Fremden“ als Feind*innen präsentiert.
Das Beispiel Björn Höckes
Der Rechtspopulismus entwickelt sich dabei als eine spezifische affektiv-narrative Vermittlungsform. In seinem 2018 erschienenem Band „Nie zweimal in denselben Fluss“ adressiert Höcke das Volk, indem er in seine persönlichen Gefühlswelten einlädt. Er greift bereits vorgefundene Stimmungslagen auf, wenn er vor „Gender-Irrsinn“ und „gescheiterter Ausländerintegration“ warnt, und schafft Projektionsflächen für Ängste und Alltagserfahrungen. Höcke bietet eine Geschichte vom ‚betrogenen Volk‘ durch die ‚korrupte Elite‘ an, um den Stimmungen eine Orientierung zu geben. Er mobilisiert über Erzählplots, die auf ‚fremde‘ Männer fokussieren und an den Topos einer widererwachenden ‚deutschen‘ Männlichkeit anknüpfen. Diffuse Ängste werden hier als legitime Gefühle ‚des Volkes‘ dargestellt und so nicht nur sprechbar gemacht, sondern auch emotional umgearbeitet, indem sie auf ethnifizierte Feindbild-Figuren gelenkt und durch ein stolzes, wieder erstarkendes ‚deutsches Volk‘ konterkariert werden.
Indem Höcke aus der autobiografischen Perspektive spricht, bietet er eine Projektionsfläche für die Identifikation mit seiner Person und mit dem rechtspopulistischen Volksideal. In der kontinuierlichen Darlegung seines persönlichen Lebens verkörpert er selbst ein ethnisch homogenes und heteronormativ begrenztes Volk, das als vermeintlich wahres Volk mit Höcke als Führungsfigur zu verschmelzen scheint. Mit ‚volksnahem‘ Gestus changiert er zwischen der Einfühlung mit dem ‚einfachen Mann‘ und dem Modus politischer Souveränität durch starke Führung. Dabei greift Höcke Ohnmachtsgefühle auf und verbindet sie erzählerisch mit einem Versprechen auf Wiedergewinnung politischer Handlungsmacht. Das populistische „Narrativ des betrogenen Volkes“ bindet er so an ein nationalistisches Narrativ von der Verteidigung des ‚eigenen‘ Volkes gegenüber den ‚Fremden‘, das sein erzählerisches Telos in der Imagination einer ethnisch homogenen Gemeinschaft findet – und diese wird über Gefühle wie Angst, Schmerz oder Liebe aufgerufen.
Affektiv-narrative Vermittlungen im Populismus
Populistische Narrative schaffen Imaginationen, Identifikationen und Projektionen, die eine starke affektive Bindung zwischen Führerperson und ihrer Anhänger*innen ermöglichen. Auch der Rechtspopulismus, das zeigt Höckes Beispiel, bedient sich eines solchen Narrativs. Über eine affektiv-narrative Vermittlung können rechtsextreme Ideologeme in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen werden. Wir plädieren deswegen dafür, die populistische Beziehung zwischen Führungsfigur und Volk auch im Hinblick auf seine erzählten Gefühle und gefühlten Erzählungen zu untersuchen.
Über die Autor*innen:
Brigitte Bargetz ist habilitierte Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie forscht u.a. zu Affekttheorie als politischer Theorie, zu Theorien des Politischen, zum Verhältnis Affekt, Populismus und Demokratie sowie zu feministischer Theorie.
Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie forscht vor allem zu Theorien des Populismus, Populismus und Medien sowie zu symbolischer Repräsentation und dem politischen Imaginären.
Nina Elena Eggers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Politikwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und promoviert zu Theorien des Narrativen und der kollektiven Identität am Beispiel neurechter Erzählungen von Nation und Männlichkeit.