Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Welchen Parteien steht das BSW nahe? Eine Analyse mithilfe von Wahl-O-Mat Positionsdaten

Autor: Philipp Thomeczek

 

 

Konservativ und Links

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kombiniert gesellschaftlich konservative mit sozial- und wirtschaftspolitisch linken Positionen. Keine andere etablierte Partei in Deutschland weist dieses Profil auf. Jedoch ergeben sich bezüglich bestimmter Themen Schnittmengen. Gesellschaftspolitisch konservativ ist beispielsweise die Union, auch wenn diese wirtschaftspolitisch eher unternehmensfreundlich ist. Für Umverteilung und einen „starken Staat“ stehen hingegen auch die Linkspartei, SPD und Grüne, die wiederum gesellschaftspolitisch liberal sind.

Etablierte politikwissenschaftliche Projekte wie der Chapel Hill Expert Survey, die Parteipositionen schätzen, haben das BSW bislang noch nicht berücksichtigt. Mit dem Wahl-O-Mat zur Europawahl hat das BSW erstmals an einer sogenannten Voting Advice Application, also einer Online-Wahlhilfe, teilgenommen. Insofern ist das Antwortmuster der Partei von großem Interesse für die Forschung.

Die Übereinstimmung im Wahl-O-Mat

Der Wahl-O-Mat selbst nutzt das sogenannte Näherungsmodell, um die Nähe zwischen Positionen von Parteien und Nutzer*innen zu berechnen. Auf Basis der dreistufigen Antwortskala für die Thesen (stimme zu, neutral, stimme nicht zu) ergibt sich eine „volle“ Übereinstimmung (2 Punkte - 100%) bei Auswahl der gleichen Antwortkategorie und eine „halbe“ Übereinstimmung (1 Punkte - 50%), bei der Kombination „neutral“ und „stimme nicht zu“ bzw. „stimme zu“. Keine Übereinstimmung (0 Punkte - 0%) liegt vor, wenn Partei und Wähler*in jeweils gegensätzliche Antwortkategorien, also Zustimmung und Ablehnung, ausgewählt haben. Das Ergebnis im Wahl-O-Mat gibt dann an, wie viel Prozent der maximalen Punktzahl (38 Thesen x 2 Punkte für maximale Übereinstimmung = 76) erreicht wurden.

Würde man nun das Antwortmuster einer Partei in den Wahl-O-Mat eingeben, also das Tool aus Sicht der Partei ausfüllen, würde man eine Übereinstimmung mit den jeweils anderen Parteien erhalten. Genau diese Logik liegt der folgenden Analyse zugrunde. Dabei wurde auf Doppelgewichtungen verzichtet. Das Ergebnis gibt dabei Aufschluss, wie nahe die BSW-Antworten an denen der anderen Parteien sind. Dies ist zunächst für die Bundestagsparteien von besonderem Interesse. Da der Wahl-O-Mat aber auch Positionen der Kleinstparteien, die nicht im Bundestag vertreten sind, enthält, kann mithilfe der Analyse auch untersucht werden, ob andere Kleinstparteien ein ähnliches Profil aufweisen. Die Daten zur Replikation der Analyse sind frei verfügbar.

Gesamtübereinstimmung (alle Thesen)

Abbildung 1 zeigt die Übereinstimmung, die das BSW bezüglich der 38 Thesen mit den anderen 33 Parteien, die im Tool zur Europawahl enthalten sind, erzielt. Die Bundestagsparteien sowie die Freien Wähler, die Teil der bayerischen Landesregierung sind, sind dabei farblich hervorgehoben. Auffällig ist dabei zunächst, dass das BSW die höchste Übereinstimmung mit Kleinstparteien erzielt. An der Spitze steht dabei dieBasis, die aus der „Querdenken“ Bewegung im Rahmen der Anti-Covid-Proteste hervorgegangen ist. Die Übereinstimmung mit 73,3% ist dabei beträchtlich, wenngleich nicht „perfekt“ – es gibt also trotzdem einige Thesen, bei denen beide Parteien nicht übereinstimmen. Weitere Kleinstparteien, mit denen das BSW hohe Übereinstimmungen erzielt, ist die gemäßigte AfD-Abspaltung Bündnis Deutschland, die NPD-Nachfolgepartei Heimat und die Familienpartei, die bei der letzten Europawahl einen Sitz gewonnen hat.

 

 

 

 

 

Unter den Bundestagsparteien hat das BSW die größte Übereinstimmung mit der AfD, die jedoch mit 63,2% nicht sehr hoch ausfällt. Mit der Linkspartei, den Freien Wählern, der FDP, Union und SPD kommt das BSW auf knapp über 50% Übereinstimmung. Etwas niedriger liegt der Wert bei den Grünen (46,1%).

Übereinstimmung mit einzelnen Themenbereichen

Einige Themen sind unter den 38 Thesen besonders prominent vertreten. In einem zweiten Schritt habe ich die Thesen daher zu neun Themenbereichen zusammengefasst. Da durch die Begrenzung auf drei Antwortkategorien die Varianz der Übereinstimmungswerte je These eingeschränkt ist, habe ich nur Themenbereiche, denen mindestens vier Thesen zugeordnet sind, ausgewählt.

Migration, Flucht und Asyl

Insgesamt vier Thesen widmen sich migrationspolitischen Themen. Wieder nimmt dieBasis hier den höchsten Wert ein, mit 87,5%. Die Union erreicht diesen Wert aber ebenso. Mittlere Übereinstimmungswerte ergeben sich mit SPD, FDP und AfD (62,5%). An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass die Übereinstimmung symmetrisch verläuft. Positioniert sich das BSW beispielsweise neutral bei einer migrationskritischen These, so hat es sowohl mit Parteien, die der These zustimmen, als auch mit denen, die diese ablehnen, eine 50%-ige Übereinstimmung. So lässt sich erklären, dass das BSW hier auf einen gleichen Wert für SPD und AfD kommt, obwohl beide Parteien bekanntlich für sehr unterschiedliche migrationspolitische Positionen stehen. Die niedrigsten Übereinstimmungen hat die Partei mit den Grünen und der Linkspartei (37,5%), was erneut verdeutlicht, dass Sahra Wagenknecht in diesem Bereich klar mit ihrer alten Partei gebrochen hat.

 

 

Klima und Umwelt

Ein weiterer Themenbereich, der in den letzten Wahlkämpfen äußerst salient war, ist der Klima- und Umweltschutz. Insgesamt zehn Thesen widmen sich dem Thema. Das BSW hat die höchste Übereinstimmung mit der konservativen Familienpartei, auch die Heimat kommt wieder auf einen hohen Wert. Mit den Positionen von AfD und Union hat das BSW eine Überstimmung von 65%. Unter den Bundestagsparteien sind erneut Linke und Grüne mit den niedrigsten Werten ausgewiesen (45%). Das passt zur Kritik Sahra Wagenknechts an den aus ihrer Sicht überzogenen klimapolitischen Maßnahmen, die die Linkspartei vertritt.

 

 

Das politische System der Europäischen Union (EU)

Naturgemäß nehmen auch Thesen zur Ausgestaltung des politischen Systems der EU, wozu beispielsweise der Ausbau der Kompetenzen gehört, im Europawahlkampf eine wichtige Stellung ein. Acht Thesen sind diesem Bereich zugeordnet. Tatsächlich zeigt sich hier eine große Nähe zur Linkspartei, mit denen das BSW zu 81,2% übereinstimmt. Die höchste Übereinstimmung erzielt das BSW mit Bündnis Deutschland, weitere hohe Werte mit Kleinstparteien aus dem linken Spektrum wie SGP oder MLPD. Mittlere Übereinstimmung erreicht das BSW mit FDP, Freien Wählern und SPD (68,8%), die niedrigsten mit Grünen (56,2%) und AfD (43,8%). Dies lässt sich wieder damit erklären, dass das BSW häufig eine neutrale Position bis leicht EU-skeptische Haltung einnimmt, die ähnlich weit von der stark EU-skeptischen AfD und den EU-freundlichen Grünen entfernt ist.

 

 

Eine elektorale Nische für das BSW

Insgesamt zeigt sich also ein komplexes Bild. Die Nähe des BSW zu anderen Parteien schwankt je nach Themenbereich. Bezüglich der Migrationspolitik lässt sich eine klare Nähe zur Union feststellen, bei den Vorstellungen zur EU zu Sahra Wagenknechts ehemaliger Partei, der Linkspartei. Beim Klima- und Umweltschutz zeigt sich keine besonders hohe Übereinstimmung mit etablierten Parteien. Im Gesamtbild verfestigt sich also der Eindruck, dass es sich beim BSW um eine Partei handelt, die eine neue elektorale Nische besetzt und für eine Kombination von Positionen steht, die durch keine andere Partei vertreten wird.

Über den Autor:

Jan Philipp Thomeczek ist Post-Doc an der Universität Potsdam. Er forscht zu populistischer Kommunikation und populistischen Parteien und ist daher besonders an der Entwicklung und Etablierung des BSWs interessiert. Ebenso hat er in den letzten Jahren zahlreiche Voting Advice Applications entwickelt. Im Januar hat er beispielsweise den BSW-O-Mat entwickelt.