Autor*innen: Antonia Görtz und Daniel Baron
Bedeutung der AfD und Veränderung des Parteiensystems
Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 konnte die AfD deutliche Stimmenzuwachse erzielen, bis sie mit der Bundestagswahl 2017 erstmals in den Bundestag einzog. Sie zeichnete sich besonders durch ihre rechtspopulistische, programmatische Ausrichtung auf migrations- und integrationsskeptische Inhalte aus.
Während die AfD im Zuge der Bundestagswahl 2017 an Stimmen dazugewinnen konnte, zeigten sich auf Seiten der etablierten „Volksparteien“ CDU/CSU und SPD deutliche Stimmenverluste. So verloren die beiden Parteien nicht nur 7,4 bzw. 5,2 Prozentpunkte der Zweitstimmanteile in der Bundestagswahl 2017, die SPD verzeichnete damit ihr niedrigstes Zweitstimmenresultat in der Parteiengeschichte.
Analysen auf Basis des SOEP für die Jahre 2013 und 2017 zeigten, dass Teile der verlorenen Wähler*innen der etablierten Parteien innerhalb dieser Bundestagswahl zur AfD wanderten. So bezog die AfD 2017 rund ein Viertel ihrer Wählerschaft aus Wähler*innen, die 2013 die CDU/CSU gewählt hatten und rund 12 Prozent aus ehemaligen Wähler*innen der SPD. Diese Anteile mögen auf den ersten Blick gering ausfallen, jedoch werden an diesen Wanderungsbewegungen die Verschiebungen im deutschen Parteiensystem deutlich, die unmittelbar nach der Gründung der AfD im Jahr 2013 einsetzten. Im kürzlich erschienenen PVS-Artikel untersuchen wir sozialstrukturelle und einstellungsbezogene Gründe für diese Verschiebung im Parteiensystem und die Wechselwahl von den beiden ehemaligen Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD zur AfD bei der Bundestagswahl 2017.
Besonders die Sorge um Zuwanderung begünstigt Wechselwahl zur AfD
In unseren Untersuchungen zeigen wir, dass ihr programmatischer Wandel zu einer rechtspopulistischen Partei, die ihren Fokus auf familiäre Traditionen und eine nationalkonservative Sozialpolitik legt, die konservativen Wähler*innen der CDU/CSU auffängt. Zum anderen prüfen wir, inwiefern sie dadurch Wähler*innen für sich gewinnen, die ihre Arbeits- und soziale Statusposition als gefährdet ansehen, wenngleich diese sich politisch sonst eher im sozialdemokratischen Milieu verorten würden. Auch sozialstrukturelle Begebenheiten wie das Bundesland (Ostdeutschland), Geschlecht (männlich) der Wähler*innen sowie ein eher geringer Bildungs- und Erwerbsstatus begünstigen die Entscheidung, bei der Bundestagswahl 2017 von den sogenannten Volksparteien zur AfD zu wandern.
Mithilfe der Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) der Jahre 2013 und 2017 haben wir ökonomische und migrationsskeptische Einstellungen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Wechselwahl untersucht. Dazu haben wir multiple Regressionsmodelle berechnet, in denen die Auswirkungen verschiedener erklärender Variablen auf die Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von Personen untersucht wurden, die bei der Bundestagswahl 2013 die CDU/CSU bzw. SPD gewählt hatten, zur AfD bei der Bundestagswahl 2017. Die zentralen Erklärungsvariablen waren die Sorge um den Zuzug von Migrant*innen, die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage und das monatliche Nettoäquivalenzeinkommen. Weitere wählerspezifische und sozialstrukturelle Merkmale wurden berücksichtigt, um alternative Erklärungen überprüfen zu können. Hierzu gehörten der Erwerbsstatus der CDU/CSU- bzw. SPD-Wähler*innen des Jahres 2013 und ob eine Identifikation mit der jeweiligen Koalitionspartei im Jahr 2013 vorlag. Des Weiteren wurden Auswirkungen des Bildungsstands, des Wohnorts (Ost- vs. Westdeutschland) im Jahr 2013, das Geschlecht und das Alter auf die Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von Wähler*innen der CDU/CSU bzw. der SPD des Jahres 2013 zur AfD bei der Bundestagswahl 2017 überprüft. Die Ergebnisse dieser statistischen Analysen werden nachfolgend in den Abbildungen 1 und 2 mitsamt einer Lesehilfe in der jeweiligen Fußnote dargestellt.
In der Betrachtung der CDU/CSU zeigt sich, dass vor allem die Sorgen um die Zuwanderung von Migrant*innen eine Wechselwahl zur AfD begünstigen (Abb. 1). Auch die Zunahme dieser Sorgen haben einen positiven Effekt auf den Wechsel zur AfD. Ökonomische Annahmen, wie die Sorge um die wirtschaftliche Lage haben in dieser Untersuchung hingegen keinen Einfluss auf die Wahl der AfD im Jahr 2017. Sozialstrukturelle Bedingungen wie ein geringerer Bildungsstatus, der Wohnort in Ostdeutschland oder das Geschlecht haben ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Wechselwahl zur AfD.
In der Betrachtung der SPD zeigt sich ein ähnliches Bild (siehe Abbildung 2). Auch Wähler*innen, die 2013 die SPD gewählt haben, neigen bei wenigen oder vielen Sorgen um Zuwanderung dazu, bei der Bundestagwahl 2017 mit höherer Wahrscheinlichkeit die AfD gewählt zu haben. Auch hier zeigt sich, dass die Zunahme dieser Sorgen in der Legislaturperiode einen positiven Einfluss auf die Abwanderung zur AfD hat. Bei Wähler*innen der SPD hat neben dem Geschlecht, dem Bildungsstand und dem Wohnort ebenfalls die Parteiidentifikation einen positiven Einfluss auf die Abwanderung zur AfD.
Alternative für Deutschland – Die Partei der Zukunft?
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 besonders für jene Wähler*innen der CDU/CSU und SPD des Jahres 2013 attraktiv war, die migrationsskeptische Einstellungen aufwiesen bzw. bei denen sich diese Einstellungen in der Legislatur verstärkten. Dies dürfte zur zwischenzeitlichen Etablierung der AfD im Parteiensystem beigetragen haben. Inwiefern dies aber zu einer längerfristigen Veränderung des Parteiensystems führt, ist besonders bezüglich der Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz fraglich. Ebenso könnten aktuelle Geschehnisse wie die Covid-19-Pandemie, sowie der Krieg in der Ukraine mögliche Auswirkungen auf (Ab-)Wanderungsbewegungen zu und von der AfD haben. Aus den hier beschriebenen Untersuchungen resultiert vielmehr ein Handlungsbedarf der etablierten Parteien CDU/CSU und SPD, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in Hinblick auf Migration in ihren zukünftigen Programmatiken ohne das populistische Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments zu berücksichtigen.
Über die Autor*innen:
Antonia Görtz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet empirische Sozialstrukturanalyse an der Universität Duisburg-Essen.
PD Dr. Daniel Baron ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Quantitative Methoden in den Sozialwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.