Seit einigen Jahren wird die AfD für ihre vermeintlich erfolgreichen TikTok-Kampagnen sowohl gepriesen als auch gefürchtet. Vor allem unter jungen Menschen, und insbesondere unter jungen Männern, soll die AfD auf TikTok Anklang gefunden und diese somit als Sympathisant*innen gewonnen haben. Ob die TikTok-Präsenz der AfD tatsächlich zu ihren jüngsten Wahlerfolgen beigetragen hat, wird sowohl in den Medien als auch in wissenschaftlichen Kreisen heftig diskutiert.
Aber was sagen empirische Befunde darüber ob die TikTok-Präsenz der AfD tatsächlich ursächlich zu einem größeren Wahlerfolg unter jungen Wählenden führt? Unsere Untersuchung des vermuteten kausalen Zusammenhangs zwischen der Nutzung von TikTok und der Wahlentscheidung bei der Europawahl 2024 zeigt, dass dies nicht unbedingt der Fall ist (siehe Gattermann & Tulin, 2025, im kürzlich erschienenen Sammelband „The 2024 European Parliament Elections : A Turn to the Right in the Shadow of War“).
Wahlerfolg durch TikTok-Präsenz?
Der Zusammenhang zwischen der TikTok-Nutzung und den Wahlerfolgen der AfD wird üblicherweise wie folgt begründet: Erstens die AfD sei auf TikTok aktiver als andere Parteien. Zweitens jüngere Wählende seien eher geneigt, TikTok und andere soziale Medien als Informationsquellen für Nachrichten zu nutzen. Drittens vor allem junge Wählende hätten in den letzten Wahlen die AfD gewählt. Obwohl die Nutzung nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Umfang, in dem User*innen bestimmten Inhalten ausgesetzt sind, ist die Nutzung eine elementare Voraussetzung für einen etwaigen Einfluss von Social-Media-Kampagnen auf User*innen. Zur Untersuchung des Einflusses werten wir neue Umfragedaten aus, die vor, während und nach der Europawahl 2024 unter einer repräsentativen Stichprobe von 2.033 Bürger*innen in Deutschland erhoben wurden. Ein kausaler Zusammenhang ist wahrscheinlicher, wenn nachgewiesen werden kann, dass diejenigen, die ihre TikTok-Nutzung im Laufe der Zeit erhöhen, auch öfter die AfD wählen. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um Selektionseffekte oder umgekehrte Kausalität handelt. Die Beobachtung, dass TikTok-Nutzer*innen öfter die AfD wählen, lässt allein nicht unbedingt auf Kausalität schließen. Dies könnte auch bedeuten, dass diejenigen, die der AfD sowieso schon positiv gesinnt waren, eher geneigt waren, ihr auch auf TikTok zu folgen. Damit hätten die TikTok-Kampagnen der AfD keinen Mehrwert.
Neue Befunde zeigen keinen kausalen Zusammenhang
Wenn wir die zeitliche Komponente außer Acht lassen, finden wir in der Auswertung unserer Umfragedaten tatsächlich einen positiven Zusammenhang zwischen der Nutzung von TikTok und der Entscheidung, bei der Europawahl 2024 die AfD zu wählen. Das heißt, dass diejenigen, die öfter TikTok nutzten, auch öfter die AfD ins Europaparlament gewählt haben. Ähnliche positive Zusammenhänge bestehen aber auch zwischen der Nutzung von Facebook oder Telegram und der Wahl der AfD, womit TikTok keine Besonderheit unter den sozialen Medien darstellt. Außerdem finden wir auch einen negativen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Instagram und der Wahl der AfD. Wenn wir die zeitliche Komponente berücksichtigen, finden wir jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen der TikTok-Nutzung und AfD-Wahl. Mit anderen Worten, eine vermehrte TikTok-Nutzung über einen gewissen Zeitraum hinweg führt nicht zwangsläufig zu einer höheren Bereitschaft die AfD zu wählen.
Alter und Geschlecht, die in der gesellschaftlichen Debatte häufig als wichtige Faktoren für Social-Media-Nutzung gesehen werden, beeinflussen zu einem gewissen Grad tatsächlich Präferenzen für die Nutzung sozialer Medien: Jüngere Altersgruppen bevorzugen zum Beispiel TikTok und Instagram, während Wählende mittleren Alters Facebook bevorzugen. Einfluss auf einen möglichen kausalen Zusammenhang zwischen TikTok-Nutzung und AfD haben Alter und Geschlecht in unseren Analysen jedoch nicht wie man an nicht-signifikanten Interaktionseffekten sehen kann.
Fazit
Obwohl in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte der Wahlerfolg der AfD oft auf ihre starke Präsenz bei TikTok zurückgeführt wird, fehlen nach wie vor klare empirische Befunde, die diesen kausalen Zusammenhang belegen. Basierend auf neuen Ergebnissen einer repräsentativen Langzeitstudie haben wir diesen Zusammenhang auf die Probe gestellt und finden keinen Beweis dafür, dass eine zunehmende TikTok-Nutzung zur Wahl der AfD beiträgt. Es gibt zwar eine positive Korrelation zwischen der Nutzung von TikTok und einer Stimmabgabe für die AfD, aber einen Kausalzusammenhang können wir nicht nachweisen und es gibt ähnliche Zusammenhänge bei der Nutzung von Facebook und Telegram; und sogar eine negative Korrelation zwischen Instagram-Nutzung und Stimmabgabe für die AfD. Die Nutzung von Sozialen Medien unter jungen Menschen ist damit nicht so ausschlaggebend für die Wahlergebnisse der AfD, wie allgemein angenommen unter politischen Beobachtenden.
Obwohl wir keinen kausalen Zusammenhang zwischen TikTok-Nutzung und AfD-Wahl ins Europaparlament feststellen konnten, sollte der Befund, dass diejenigen, die öfter TikTok nutzen auch öfter die AfD wählen, in zukünftiger Forschung noch einmal ausführlicher unter die Lupe genommen werden. Was zeichnet diese Wählenden aus, was sind die zugrunde liegenden Mechanismen, die sie dazu motivieren, eine rechtsextreme Partei zu wählen, und was genau ist die Rolle von TikTok in diesem Zusammenhang?
Alle Details unserer Studie können im kürzlich erschienen Sammelband „The 2024 European Parliament Elections : A Turn to the Right in the Shadow of War“ nachgelesen werden. Eine deutschsprachige Version wird in Kürze unter dem Namen „Die Europawahl 2024: Rechtsruck im Schatten des Krieges“ (Springer VS, Wiesbaden) erscheinen.
Über die Autor*innen:
Katjana Gattermann ist Associate Professor für Politische Kommunikation an der Amsterdam School of Communication Research (ASCoR).
Marina Tulin ist Juniorprofessorin für Digital Citizenship an der Amsterdam School of Communication Research (ASCoR).