Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Esoterische Überzeugungen und Widerstand gegen Corona-Beschränkungen in Deutschland

Autor: Nils Weidmann

 

Die Debatte um die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung prägte in den letzten Jahren den öffentlichen Diskurs in Deutschland. Der Widerstand gegen diese Maßnahmen war und ist daher ein wichtiges Thema für die Sozialwissenschaften. Neue Befunde legen nahe, dass sich dieser Widerstand nicht nur im traditionellen rechten Milieu verorten lässt, sondern auch in esoterischen und anthroposophischen Kreisen. In meinem Artikel in der Politischen Vierteljahresschrift untersuche ich den Zusammenhang zwischen esoterischen Einstellungen und Corona-Widerstand mithilfe neuer räumlicher Indikatoren und den Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2021. Die Ergebnisse zeigen, dass die maßnahmenkritische Partei dieBasis an Orten mit einer hohen Dichte homöopathischer Ärzt*innen und Waldorfschulen mehr Zustimmung bekam, sich ein solcher Zusammenhang aber nicht für die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) findet.

Widerstand gegen Maßnahmen aus dem anthroposophischen und esoterischen Milieu

Ein Teil der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Corona hat sich mit der Frage beschäftigt, aus welchem politischen Hintergrund der Widerstand gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus kommt. Hier sieht man, dass dieser Widerstand häufig mit dem traditionellen rechten Spektrum in Verbindung steht, wie wir z.B. aus Umfragen wissen, oder was Forschungsergebnisse aus anderen europäischen Ländern zeigen. Auch in Deutschland assoziierte sich die rechte AfD mit dem Corona-Widerstand und war häufig an der Organisation der Querdenker-Proteste beteiligt. 

Aber die These der einzig am rechten Rand des politischen Spektrums verorteten Corona-Gegner greift zu kurz. Die Forschung von Nadine Frei und Oliver Nachtwey an der Universität Basel hat gezeigt, dass Querdenker-Proteste häufig auch von Menschen aus dem anthroposophischen und esoterischen Milieu besucht werden, welches sich nicht so einfach der etablierten Rechten zuordnen lässt. Mein Kollege an der Universität Konstanz, der Soziologe Sebastian Koos, kam in seiner Untersuchung einer hiesigen Protestveranstaltung zum einem ähnlichen Ergebnis. Andere Befunde, wie z.B. die Häufung von Verstößen gegen die Corona-Verordnung an Waldorf-Schulen, zeigten in eine ähnliche Richtung. Die Kultusministerin Baden-Württembergs, Theresa Schopper, sah allerdings keinen generellen Zusammenhang zwischen Anthroposophie und Maßnahmenkritik, und bemerkte im Dezember 2021, dass Waldorfschulen „keine Horte der Querdenker“ seien.

Untersuchung anhand von Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2021

Auch wenn sich die „Horte der Querdenker“ anderswo befanden: was ist der Zusammenhang zwischen esoterischen Einstellungen und Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen? Lassen sich die Befunde aus der soziologischen Feldforschung generell bestätigen oder widerlegen? In einer neuen Studie in der Politischen Vierteljahresschrift gehe ich dieser Frage nach. Die Bundestagswahl 2021 bot dazu eine einmalige Gelegenheit. Bei dieser Wahl in der Hochzeit der Pandemie trat eine neue Partei an, die aus der Querdenker-Bewegung entstanden war: die basisdemokratische Partei Deutschland (dieBasis). Das Programm dieser Partei war einzig auf die Eindämmung der Corona-Maßnahmen ausgerichtet. Ein Vergleich mit den Wahlergebnissen für die AfD erlaubt es zu prüfen, inwieweit esoterische Einstellungen sich auf reinen Corona-Widerstand (dieBasis) und auf die traditionelle Rechte (AfD) auswirken. 

Wie lassen sich esoterische Überzeugungen flächendeckend messen?

Um eine solche Analyse durchführen zu können, müssen wir allerdings das Vorhandensein esoterischer Einstellungen in der Bevölkerung messen. Die Studie zieht hier drei Indikatoren heran: Die Dichte von Naturheilpraktiker*innen, von homöopathischen Ärzt*innen und von Waldorfschulen. All diese Daten sind aus öffentlichen Online-Registern der jeweiligen Fachverbände erhältlich. Sie eignen sich gut, um esoterische Einstellungen zu erfassen: Heilpraktiker*innen und Ärzt*innen werden typischerweise in der Nähe des eigenen Wohnortes aufgesucht, siedeln sich also dort an, wo eine Nachfrage nach den jeweiligen Behandlungsmethoden besteht. Waldorfschulen gründen sich häufig auf Initiative der Elternschaft vor Ort, unterliegen also auch einer ähnlichen Logik der Nachfrage.

Die so gesammelten Daten erlauben es, mit verschiedenen räumlichen Auflösungen Indikatoren für esoterische Überzeugungen zu generieren. Abb. 1 (links) zeigt die Dichte homöopathischer Ärzt*innen (pro 1000 Einwohner) in den Wahlkreisen der Bundestagswahl 2021. Berlin sticht hier hervor, aber auch in Freiburg im Südwesten ist die Dichte besonders groß. In der Karte in Abb. 1 (rechts) sind diejenigen Gemeinden gelb markiert, in denen eine Waldorfschule existiert.

Abb. 1: Links: Dichte von homöopathischen Ärzt*innen auf der Ebene von Wahlkreisen. Rechts: Gemeinden mit Waldorfschulen (gelb). Quelle: Weidmann (PVS 2023)

Esoterische Überzeugungen und Wahlerfolg für dieBasis

In einer statistischen Analyse wurde geprüft, inwieweit diese Indikatoren mit den Wahlergebnissen für dieBasis und die AfD zusammenhängen. Für die Dichte von homöopathischen Ärzt*innen und von Waldorfschulen zeigt sich ein positiver Zusammenhang mit der Unterstützung für dieBasis – deren Wahlergebnisse sind höher, je  mehr esoterische Einstellungen in der Bevölkerung vorhanden sind. Diese Ergebnisse zeigen sich sowohl in der Analyse auf Wahlkreisebene, aber auch in einer feiner aufgelösten Analyse auf Gemeindeebene. Beispielsweise erreicht dieBasis in einer Gemeinde mit Waldorfschule 0,3 Prozentpunkte mehr als in einer – in allen Merkmalen gleichen – Gemeinde ohne eine solche Schule. Das ist absolut gesehen nicht viel, aber angesichts des geringen Ergebnisses der Partei (bundesweit 1,4%) doch ein bedeutender Effekt. Für die AfD hingegen lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht finden.

Die Ergebnisse der Analyse bestätigen also den Zusammenhang zwischen esoterischen Überzeugungen und dem Widerstand gegen Corona-Maßnahmen, der oft vermutet wurde. Dieser Zusammenhang zeigt sich für eine Corona-spezifische Protestpartei, nicht aber bei der Zustimmung für die etablierte rechte Partei AfD. Die sehr unterschiedlichen Wahlergebnisse (1,4% bundesweit für dieBasis, 10,3% für die AfD) zeigen aber auch, dass der mit esoterischen Einstellungen zusammenhängende Widerstand eine deutlich geringere Größenordnung hat als derjenige, der vom rechten Spektrum ausging. 

 

Über den Autor:

Nils Weidmann ist Professor für Politikwissenschaft und Leiter der Forschungsgruppe „Communication, Networks and Contention“ an der Universität Konstanz.